Essen. Bei Grabungen am Weberplatz in der Essener Innenstadt haben Archäologen weitere Funde freigelegt. Was sie uns über die Stadtgeschichte verraten.

Als Archäologen bei Grabungen am Weberplatz in Essens nördlicher Innenstadt jüngst einen nahezu vollständig erhaltenen Holzsarg freilegten, war die Überraschung groß. Denn viel war nicht übrig geblieben vom ehemaligen evangelischen Friedhof, der an dieser Stelle im 17. Jahrhundert angelegt worden war. Inzwischen hat das Team um Grabungsleiter Roland Lavelle weitere Funde freigelegt. Und: Auch ein prominenter Bürger dieser Stadt fand dort seine vorläufig letzte Ruhestätte.

Kein Geringerer als Friedrich Krupp (1787 - 1826), der Gründer der gleichnamigen Gussstahlfabrik, aus der ein Weltkonzern erwachsen sollte, ist auf dem evangelischen Friedhof beigesetzt worden, wie Essens Stadtarchäologe Sebastian Senczek weiß. Schon ein Jahr nach seinem Tod fand auf dem etwa 1400 Quadratmeter großen Gräberfeld die letzte Bestattung statt. Der Archäologe geht deshalb davon aus, dass der Leichnam Friedrich Krupps umgebettet wurde.

Der saure Lehmboden in Essens nördlicher Innenstadt löste Knochen und sogar Zähne auf

Gehörte der leere Sarg gar einst dem „alten“ Krupp? Wohl kaum. „Der Sargdeckel war eingefallen, aber noch vorhanden, was gegen eine Umbettung spricht“, erläutert Grabungsleiter Roland Lavalle. Dass sich keine menschlichen Überreste mehr darin fanden, erklärt der Archäologe mit dem Lehmboden. Dessen Säuregehalt sei so hoch, dass Calcium und damit Knochen mit der Zeit zersetzt wurden. „Nicht einmal Zähne blieben übrig“, berichtet Lavalle, was sehr selten sei. Dass der Holzsarg wiederum sehr gut erhalten ist, schreibt der Archäologe dem hohen Grundwasserspiegel zu. Dieser habe den Holzsarg konserviert und die lange Zeit überdauern lassen.

Der gut erhaltende Holzsarg war der bislang spektakulärste Fund am Weberplatz.
Der gut erhaltende Holzsarg war der bislang spektakulärste Fund am Weberplatz. © schy

Auf dem ehemaligen evangelischen Friedhof haben Lavelle und sein Team inzwischen 275 Grabstätten dokumentiert. Das Neubauprojekt des Allbau gibt ihnen Gelegenheit, dort zu graben. Die Wohnungsgesellschaft wird auf dem Areal am Weberplatz ein Geschäftshaus und Wohnungen bauen. Das ehemalige Ledigenwohnheim, das seit 1910 dort stand, wurde dafür abgerissen. Dass sich an gleicher Stelle ein Friedhof befand, war bekannt. Das Grabfeld ist auf einer historischen Karte aus dem frühen 19. Jahrhundert verzeichnet, die den Archäologen bis heute als Orientierungshilfe dient.

Die Zahl der Gräber auf dem ehemaligen Essener Friedhof dürfte auf 300 steigen

Grabungsleiter Roland Lavelle (l.) und Essens Stadtarchäologe Sebastian Senczek zeigen auf einer zwischen 1803 und 1806 erstellten Stadtkarte den ehemaligen evangelischen Friedhof.
Grabungsleiter Roland Lavelle (l.) und Essens Stadtarchäologe Sebastian Senczek zeigen auf einer zwischen 1803 und 1806 erstellten Stadtkarte den ehemaligen evangelischen Friedhof. © schy

Noch ist der komplette Friedhof nicht freigelegt. Roland Lavelle geht deshalb davon aus, dass die Zahl der Grabstätten noch auf etwa 300 steigen wird. Der Gelände war ab 1623 von der wachsenden lutherischen Gemeinde als Friedhof genutzt worden. Gräber wurden mehrmals belegt, Tote auch übereinander bestattet. Jedes einzelne Grab wird nun dokumentiert, bevor Bagger die Baugrube für den Neubau ausheben.

Neben dem leeren Holzsarg konnten die Archäologen die Überreste von drei weiteren Särgen freilegen. Keiner war aber auch nur annähernd so gut erhalten. Der leere Sarg ist etwa zwei Meter lang, was dafür spricht, dass ein erwachsener Mensch darin bestattet wurde. Allerdings ist der Sarg auffallend schmal. Roland Lavelle führt dies auf den hohen Wasserdruck zurück, dem das Holz über zweihundert Jahre lang ausgesetzt war.

Oberbürgermeister Thomas Kufen (r.) machte sich anlässlich des ersten Spatenstichs für den Allbau-Neubau ein Bild von den Grabungen am Weberplatz.
Oberbürgermeister Thomas Kufen (r.) machte sich anlässlich des ersten Spatenstichs für den Allbau-Neubau ein Bild von den Grabungen am Weberplatz. © schy

Außerdem fanden die Archäologen drei Musketenkugeln und jede Menge Keramik. „Was heute Plastik ist, war früher Keramik“, also ein Massen- und letztendlich ein Abfallprodukt, wie Lavelle erläutert. Auf Grabsteine stießen die Experten bei ihren Grabungen hingegen nicht. Die Steine seien vermutlich abgeräumt worden, bevor der Friedhof 1845 eingeebnet wurde. Da hatte Friedrich Krupp vermutlich sein Grab bereits auf einem neuen Friedhof gefunden, außerhalb der Stadtmauer vor dem Kettwiger Tor, der ungefähr im Bereich zwischem dem heutigen Europaplatz (früher Freiheit) und der Bernestraße lag. Weil Essens Bevölkerungszahl im Zuge der Industrialisierung rasant wuchs, wurde auch dieser Friedhof bald zu klein, er hatte aber Bestand bis 1955, als er wegen des geplanten Baus des Ruhrschnellwegs aufgegeben wurde.

Nach Aufgabe des Friedhofs ließ die Stadt Essen den Weberplatz anlegen

Am ehemaligen evangelischen Friedhof in der nördlichen Innenstadt ließ die Stadt den Weberplatz errichten, um städtebaulich der wachsenden Verelendung der Stadtbevölkerung zu begegnen, erläutert Sebastian Senczek. Der Name Weberplatz erinnert an die Textilbranche, die sich seinerzeit mit einer wachsenden Billigkonkurrenz aus England konfrontiert sah. Industrielle Fertigungsprozesse waren damals auf der Insel weiter fortgeschritten. Textilien konnten dort günstiger produziert werden.

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Roland Lavelle geht davon aus, dass tief unter dem ehemaligen Friedhof am Weberplatz noch weitere potenzielle Funde schlummern, womöglich aus mittelalterlicher Zeit. Spuren, die auf einen alten Brunen hindeuten, haben die Archäologen bereits entdeckt. „Es bleibt spannend“, sagt der Grabungsleiter.

An dem gut erhalten Holzsarg hatte das Ruhrmuseum Interesse gezeigt. Proben werden derzeit in einem Labor auf Alter und Art bestimmt. Den Sarg zu konservieren, wäre aber langwierig und deshalb sehr kostspielig, sagt Sebastian Senczek. Zehn Jahre würde das dauern. Mehr als ein digitales 3-D-Modell, das die Archäologen bereits erstellt haben, wird für die Nachwelt nicht erhalten bleiben. Der Sarg sei ein interessanter Fund. Aber es bleibt eben ein Holzsarg.

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