Essen. Stadtkämmerer Grabenkamp setzt auf das Hebesatz-Splitting: Dann könnten Gewerbetreibende eine Entlastung der Wohn-Nutzer finanzieren.
Seit die ersten Modellrechnungen der Stadt auf dem Tisch liegen, ist klar: Die neu kalkulierte Grundsteuer, die 2025 dräut, sie kennt auch in Essen einen klaren Gewinner. Es sind die Nutzer von Gewerbegrundstücken, die im Zuge der neuen Berechnungsform um mehr als die Hälfte entlastet werden. Die Folge: Bliebe es beim alten Hebesatz, entstünde eine Lücke von fast 20 Millionen Euro. Da aber trotz Steuerreform am Ende der gleiche Betrag in der Essener Stadtkasse landen soll wie bisher – rund 136 Millionen Euro nämlich –, müsste der Hebesatz deutlich angehoben werden, und zwar von 670 auf 791 Prozent. Das haben die Finanz-Fachleute im Rathaus ausgerechnet. Jetzt aber signalisiert der Stadtkämmerer: Wir können auch anders.
Es gilt, eine mögliche 20-Millionen-Euro-Lücke im Essener Haushalt zu stopfen
Bedingung dafür ist, dass das Land NRW den Weg für unterschiedliche Hebesätze freimacht, und genau danach sieht es seit diesem Montag aus: CDU und Grüne wollen noch in dieser Woche im Landtag einen Gesetzentwurf einbringen, der es den Städten ermöglicht, aber nicht vorschreibt, unterschiedliche Steuersätze für bebaute oder unbebaute Grundstücke („Grundsteuer B“) zu beschließen. Ziel ist es, die Wohnnutzer nicht für die Entlastung der Geschäftsleute blechen zu lassen.
Für Essen hieße das: Die 20-Millionen-Euro-Lücke ließe sich dadurch stopfen, dass man den Hebesatz für die Gewerbe-Grundstücke auf ein Niveau anhebt, bei dem die Geschäftsleute ab 2025 nicht entlastet werden, sondern in etwa genauso viel zahlen wie bisher. Klingt nur gerecht, auch wenn nicht alle Amtskollegen des Essener Kämmerers im Lande dessen Ansicht teilen. Grabenkamp fühlt sich aber nach eigenem Bekunden „den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet“, die ansonsten eine „erhebliche Belastungsverschiebung“ auszubaden hätten, eine, die in der Berechnung der neu geregelten Grundsteuer gründet: Geschäfts-Grundstücke werden nach ihrem Sachwert beurteilt, Grundstücke zu Wohnzwecken nach ihrem Ertragswert.
Der FDP-Landtagsabgeordnete Ralf Witzel beklagt die Ungerechtigkeit der „neuen“ Grundsteuer
Im Zuge der Neu-Kalkulation beim sogenannten „Bundesmodell“ würden damit Wohneigentümer und Mieter – letztere über ihre Nebenkosten-Abrechnung – die Zeche zahlen, vor allem in den Großstädten. Verschiedene Steuersätze, wie es sie in anderen Bundesländern bereits gibt, würden hier einen Ausgleich möglich machen. Grabenkamp ist zu versichtlich, dass der Essener Stadtrat seinem Vorschlag folgt, wenn im Herbst im Zuge der Haushaltsberatungen auch über die Steuersätze entschieden wird.
Immerhin, den Chef der Essener Rats-CDU, den Landtagsabgeordneten Fabian Schrumpf, weiß er bereits an seiner Seite, denn Schrumpf gehört zu den Mitunterzeichnern der Gesetzes-Initiative im Land. Und auch er appelliert, Wohnen dürfe sich in diesen Zeiten nicht noch weiter verteuern. Der späte NRW-Vorstoß ist notwendig, weil Versuche, den Bund zu einer gesetzlichen Regelung zu bewegen, zuvor gescheitert waren: „Dort hätte man die Stellschraube ansetzen müssen“, seufzt Stadtkämmerer Grabenkamp, doch von der Berliner Ampel gab es dazu kein grünes Licht.
Bestätigt fühlen darf sich auch der Essener FDP-Landtagsabgeordnete Ralf Witzel, der in den vergangenen Monaten immer wieder gegen die „neue“ Grundsteuer gewettert hatte: Diese dürfte wohl „kaum dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit entsprechen“, betonte Witzel stets und erinnerte daran, dass die Wohnnebenkosten, die sogenannte „zweite Miete“, ohnehin schon spürbar gestiegen sind. Und bei der Grundsteuer biete sich „faktisch keinerlei reale Möglichkeit“, duch ein verändertes Verhalten Kosten zu senken.
Schon Ende Februar zählten Essens Finanzämter fast 47.600 Einsprüche gegen die Grundsteuerberechnung
Kein Wunder, dass sich der Ärger über die neu errechnete Grundsteuer bereits in massenhaftem Protest entlädt: Der Antwort von NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk auf eine Kleine Anfrage Witzels ist zu entnehmen, dass bis Ende Februar bei den beiden Essener Finanzämtern fast 47.600 Einsprüche gegen die festgesetzten Grundsteuerwerte oder -messbeträge eingegangen sind. Das Finanzamt Essen-Süd liegt mit einer Einspruchsquote von fast einem Viertel landesweit sogar in der Spitzengruppe. Davon abgesehen gibt es tausende Fälle, in denen die Grundsteuer von (Finanz-)Amts wegen geschätzt wurde, weil zuvor – aus welchem Grund auch immer – keine Erklärung abgegeben wurde. Auch hier droht weiterer Ärger. Das Land hat reagiert, hat die für Grundsteuer-Angelegenheiten zuständige Belegschaft schon seit längerem um fast ein Drittel aufgestockt.
Die größten Verwerfungen seien „mit einem Smart Repair zu beheben“, versicherte FDP-Mann Witzel über Monate hinweg – und sah in NRW-Finanzminister Optendrenk einen „Totalverweigerer jeglicher Verbesserungen bei der Grundsteuer“. Jetzt übernimmt die Politik die Initiative, alles gut also?
Noch nicht. Die neue Regelung müsse „belastbar und gerichtsfest sein“, mahnt Essens Kämmerer Gerhard Grabenkamp, denn Juristen sehen in unterschiedlichen Hebesätzen für Wohn- und Geschäftsgrundstücke durchaus die eine oder andere Fußangel. Zudem, so sagen Kritiker, lädt das Land das Mehr an Bürokratie genauso bei der Stadt ab wie das Prozessrisiko und – damit unmittelbar verbunden – das Risiko womöglich entfallender Grundsteuer-Einnahmen. Denn sollte sich eines Tages herausstellen, dass die höheren Hebesätze für Geschäftsgrundstücke nicht rechtens waren, müsste man den Betroffenen das Geld zurückzahlen, dürfte es bei den Wohngrundstücken aber nicht nachträglich einfordern.
Keine „Empfehlung“ vom Land – aber ein Wink mit dem Zaunpfahl, wo der Hebesatz landen soll
Das Land wäre demgegenüber in einer komfortablen Lage: Es schaut als Beobachter auf die Kommunen und gibt den Städten derweil Empfehlungen, welche Hebesätze sie ansetzen sollen. Oder halt: „Eine Empfehlung spricht das Land nicht aus“, korrigiert das Ministerium auf Anfrage. Die Finanzverwaltung arbeite nur daran, jene Hebesätze zu berechnen, die die „neue“ Grundsteuer aufkommensneutral gegenüber der jetzigen Variante gestalten. Im Sommer werde man die Zahlen öffentlich machen, ein Akt der „Transparenz“. In der Essener Finanzverwaltung bekommt man beim Gedanken daran schon Puls, denn das sei ja mehr Ausdruck des Misstrauens, Kommunen könnten die Grundsteuer für „Gewinnmitnahmen“ nutzen.
Ein Wink mit dem Zaunpfahl sozusagen, aus sicherer Entfernung.