Essen. Von der geänderten Berechnung profitieren vor allem die Nutzer von Geschäftsgrundstücken – Wohneigentümer wie Mieter zahlen die Zeche.

Sie ist da. Die Zahl, auf die alle mit Spannung gewartet haben: Mieter genauso wie Wohneigentümer, aber auch Nutzer von Büros oder Ladenlokalen. Denn bei der Grundsteuer, einer der wichtigsten Einnahmequellen der Stadt, wird ausnahmslos jeder zur Kasse gebeten, nur so richtig gerecht ging es dabei in der Vergangenheit nicht zu. Vor mehr als fünf Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht deshalb die alte Berechnungs-Grundlage für verfassungswidrig erklärt und eine neue gefordert.

Nach langem Hin und Her im Gesetzgebungs-Verfahren und einigen Geburtswehen der Finanzbürokratie liegen nun zigtausendfach die neu ermittelten Werte auch für die Grundstücke in Essen vor. Auf deren Basis hat die Stadt vor einigen Tagen den sogenannten Hebesatz für bebaute und unbebaute Grundstücke ermittelt. Und der steigt 2025 – Trommelwirbel – von jetzt 670 auf dann 791 Prozent.

Kalkuliert wurde der Hebesatz auf der Grundlage von 95 Prozent der 160.000 Grundstücke in Essen

Erstmals können Mieter und Wohneigentümer damit problemlos errechnen, wie viel sie für die „neue“ Grundsteuer berappen müssen. Denn in den allermeisten Fällen haben sie vom Finanzamt bereits jenen Betrag genannt bekommen, auf den der Hebesatz anzuwenden ist. Der beruht auf der Flächengröße, dem Bodenrichtwert und der statistisch ermittelten Nettokaltmiete, jeweils zum Stand 1. Januar 2022, was für manche Wohnlagen selbst bei einem stabilen Hebesatz bereits deutliche Korrekturen nach oben oder unten ergäbe.

Dabei sollte niemand das Rechenergebnis auf Euro und Cent bereits für bare Münze nehmen, denn die neue Kalkulation, sie beruht einstweilen nur auf den ermittelten Messbeträgen von rund 152.000 der 160.000 Grundstücke im Essener Stadtgebiet. Gut möglich also, dass noch einige Verschiebungen anstehen, wenn erst einmal die Werte für die übrigen 8000 Grundstücke festgezurrt sind.

Warenhaus statt Wohnung: In der neuen Systematik zur Berechnung der Grundsteuer zahlen die Eigentümer und Mieter von Geschäftsgrundstücken künftig deutlich weniger.
Warenhaus statt Wohnung: In der neuen Systematik zur Berechnung der Grundsteuer zahlen die Eigentümer und Mieter von Geschäftsgrundstücken künftig deutlich weniger. © Essen | Kerstin Kokoska

Denn ausgemacht ist, dass die Städte und Gemeinden im allgemeinen Wirrwarr der Neuberechnung nicht mehr als bisher die Hand aufhalten, sondern das Ganze „aufkommensneutral“ gestalten. Das heißt: Die Stadt Essen möchte mit der Grundsteuer auch künftig in etwa jene 136 Millionen Euro einnehmen, die bereits in den vergangenen Jahren in die Stadtkasse flossen. Nicht mehr. Aber eben auch nicht weniger.

Wenn der städtische Finanzchef, Kämmerer Gerhard Grabenkamp, nun mit einigem Stirnrunzeln auf die Neu-Kalkulation schaut, dann weil die Systematik der Neuberechnung hier und da in der Bürgerschaft für ziemlich schlechte Laune sorgen dürfte, kennt sie doch auch jenseits der Frage nach der Wohnlage klare Gewinner und ebenso klare Verlierer. Zu den Profiteuren gehören, wie eine Erhebung der Finanz-Fachleute im Essener Rathaus zeigt, vor allem die Eigentümer und Nutzer von Geschäftsgrundstücken: Diese steuerten in der Vergangenheit rund 40 der 136 Millionen Euro an Grundsteuer bei. Würde sich der Hebesatz nicht verändern, hätten sie nach dem neuen Recht ab 2025 aber nur noch 17,4 Millionen Euro zu zahlen – nicht einmal die Hälfte der alten Summe.

Bei einem stabilen Hebesatz der Grundsteuer würde ein 20-Millionen-Euro-Loch im Haushalt klaffen

Der Grund: Geschäfts-Grundstücke werden nach ihrem Sachwert beurteilt, Grundstücke zu Wohnzwecken nach ihrem Ertragswert. Eine ziemlich komplizierte Rechnung, die bei den anderen Grundstücksarten zeigt: Vor allem Eigentümer und Mieter von Einfamilienhäusern, aber auch die Nutzer von Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen müssten bei gleichbleibendem Hebesatz tiefer in die Tasche greifen. Bei Mietwohngrundstücken wäre minimal weniger zu zahlen. Unterm Strich aber, und das ist das Entscheidende, würde bei dem seit 2015 geltenden Hebesatz von 670 Prozent im Zuge der Neu-Kalkulation ein Loch von fast 20 Millionen Euro im städtischen Haushalt klaffen. Um das zu verhindern, eben „aufkommensneutral“ zu kalkulieren, muss der Hebesatz angehoben werden – auf jene 791 Prozent.

Im Rat der Stadt fällt im Herbst kommenden Jahres die Entscheidung, mit welchem Hebesatz die Stadt kalkuliert. Eine Erhöhung scheint unausweichlich.
Im Rat der Stadt fällt im Herbst kommenden Jahres die Entscheidung, mit welchem Hebesatz die Stadt kalkuliert. Eine Erhöhung scheint unausweichlich. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Die Wohnungs-Nutzer blechen also für die Entlastung der Geschäftsleute. Und schon jetzt schwant der Stadt, dass es nicht bei einem Hebesatz von 791 Prozent bleibt, sondern dieser am Ende eher noch auf 800 Prozent steigen dürfte, denn unter den 8000 für die exakte Berechnung noch fehlenden Grundstücken befinden sich verhältnismäßig viele Geschäfts-Immobilien. Und die – siehe oben – machen die Lücke zu einem „aufkommensneutralen“ Inkasso eher größer als kleiner.

Ob sich da wer verrechnet hat? Auch das haben sie im Rathaus geprüft, haben in rund 700 Fällen, bei denen der neue vom alten Grundsteuer-Betrag prozentual oder in der absoluten Summe besonders stark abwich, Rücksprache mit dem Finanzamt gehalten. Das ersparte dem Eigentümer eines Mehrfamilienhauses im Essener Westen immerhin einen Mond-Betrag von allein seinem Objekt zugedachten 2,5 Millionen Euro Grundsteuer, durch welchen Tipp- oder Denkfehler auch immer der zustande kam. Bei einigen Geschäfts-Grundstücken aber waren Grundsteuer-Senkungen in teils sechsstelliger Höhe auch nach der Kontrolle korrekt: Diese Entlastung, heißt es, sei durch die neue Systematik schlicht so gewollt.

Grabenkamp fordert, die Berechnung zu korrigieren, doch das Land sieht dafür „keinen Handlungsbedarf“

Nichts, was Essens Finanzchef Grabenkamp auch nur ansatzweise zufriedenstellen könnte. Wie andere Stadtkämmerer plädiert auch er dafür, eine der Berechnungs-Komponenten, die sogenannte Steuermesszahl für jene Grundstücke, die nicht zu Wohnzwecken dienen, von derzeit 0,34 Promille auf 0,73 Promille zu erhöhen. Damit ließe sich die Finanzlücke bei den Geschäftsgrundstücken weitestgehend schließen, und die ohnehin durch die permanent steigende „zweite Miete“ gebeutelten Wohn-Nutzer müssten nicht die Zeche für sinkende Grundsteuern bei Geschäftsgrundstücken zahlen. Allein: Große Hoffnung, dass das Land dem Ansinnen nachgibt, eine im Gesetz vorgesehene Öffnungsklausel für eine solche Regelung zu nutzen, macht Grabenkamp sich nicht: „Im Moment“, so das Signal aus Düsseldorf, „sieht das Land dafür keinen Handlungsbedarf“.

Der NRW-Landtag in Düsseldorf: Hier könnte man eine Öffnungsklausel des Gesetzes für eine Korrektur nutzen. Doch niemand macht dazu irgendwelche Anstalten. x
Der NRW-Landtag in Düsseldorf: Hier könnte man eine Öffnungsklausel des Gesetzes für eine Korrektur nutzen. Doch niemand macht dazu irgendwelche Anstalten. x © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Stattdessen ärgert ihn und seine Kämmerer-Kollegen die Absicht des Landes NRW, irgendwann im Frühjahr eine „Hebesatz-Empfehlung“ für jede Stadt abzugeben – gedacht offenbar, um die Kommunen öffentlich unter Druck zu setzen, damit sie nicht klammheimlich mehr als bisher Kasse machen. Bei der Stadt Essen fragt man sich allerdings, auf welcher Datengrundlage das Land eigentlich seine Empfehlung geben will. Eine bessere als die, über welche die Stadt verfüge, werde das ja kaum sein, mutmaßt Grabenkamp und ahnt: „Das bringt nur Unruhe“ – etwa, wenn das Land einen niedrigeren Hebesatz empfehlen sollte als die Stadt.

Essen plant keine Grundsteuer C

Die neue Gesetzeslage sieht ausdrücklich auch die Möglichkeit vor, neben der Grundsteuer A für land- und forstwirtschaftliche Flächen und der Grundsteuer B für bebaue und unbebaute Grundstücke eine Grundsteuer C einzuführen.

Eine solche „Baulandsteuer“ gab es schon einmal Anfang der 1960er Jahre. Sie soll mit einem erhöhten Hebesatz dazu dienen, bei baureifen Arealen den Druck auf die Eigentümer zu erhöhen, damit diese nicht ihre Grundstücke zu Spekulationszwecken horten, sondern eine Bebauung zügig in Angriff nehmen.

Allerdings müssten die Grundstücke insgesamt mindestens zehn Prozent der Gemeindefläche ausmachen – in Essen eher unwahrscheinlich. Zudem drohen viel Bürokratie und rechtliche Unsicherheiten. Die Finanzveraltung rät deshalb von einer Einführung der Grundsteuer C ab.

Die fürchtet ohnehin, im Herbst 2024, wenn die Grundsteuer-Bescheide für 2025 in die Post gehen, in einem Papier-Wust unterzugehen. „Wir rechnen mit 40.000 bis 50.000 Widersprüchen“, seufzt Grabenkamp und trifft schon jetzt erste Vorbereitungen, um die erwartete bürokratische Welle zügig abzuarbeiten. „Das bringt nur Arbeit und hilft keinem“, so der Kämmerer, denn sollte die Grundsteuer verfassungswidrig sein, müssten sowieso neue Bescheide erfolgen. Und an der Rechen-Systematik könne und dürfe die Stadt auf eigene Faust nichts ändern. Nur der Hebesatz, den der Rat der Stadt beschließt, ist allein Sache der Kommune – und damit der örtlichen Politik.

Am Ende bleibt den Essener Bürgerinnen und Bürgern ein schwacher Trost: Selbst mit einem Grundsteuer-Hebesatz von 800 Prozent läge die Stadt noch unter den Werten mancher Nachbarstädte. Und die anderen rechnen noch.