Essen. Die Ruhrbahn sucht einen neuen Chef und macht den Betriebsratsvorsitzenden zum Arbeitsdirektor, einen „Mann mit Vergangenheit“ im Haus.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi war schon damals voll des Lobes: Er habe sich für seine Kolleginnen und Kollegen „mächtig ins Zeug gelegt“ und versucht, für sie „das Beste herauszuholen“. Da war Ahmet Avsar noch Betriebsrat bei der Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG). Seit 2018 bekleidet der heute 46-Jährige diese Funktion bei der Ruhrbahn. Nun soll Avsar als hauptamtlicher Arbeitsdirektor in den Vorstand berufen werden. Es wäre ein gewaltiger Karriereschritt für „einen Mann mit Vergangenheit“ im Unternehmen.

Die Berufung eines Arbeitsdirektors ist Teil einer neuen Geschäftsführerstruktur, auf die sich die Städte Essen und Mülheim als Gesellschafter des kommunalen Verkehrsunternehmens verständigt haben. Der Rat der Stadt wurde darüber in seiner Sitzung an diesem Mittwoch (24. April) offiziell in Kenntnis gesetzt: Bei der Ruhrbahn steht das große Stühlerücken an.

Schon am kommenden Freitag soll der Aufsichtsrat Nägel mit Köpfen machen und Ahmet Avsar zum Arbeitsdirektor wählen. Diesen Posten bekleidet Ruhrbahn-Vorstand Michael Feller seit Gründung der Ruhrbahn in Personalunion. Alleinvorstand ist Feller dort, seit Uwe Bonan 2022 seinen Posten räumen musste; dem ehemaligen Kämmerer der Stadt Mülheim war ein geschmackloses Foto zum Verhängnis geworden, das er über einen Messengerdienst statt an eine private Adresse versehentlich an Führungskräfte weitergeleitet hatte.

Die Arbeitnehmerschaft der Ruhrbahn drängt auf die Benennung eines Arbeitsdirektors

Mit der Berufung eines hauptamtlichen Arbeitsdirektors komme die Ruhrbahn dem Wunsch der Arbeitnehmerschaft nach, heißt es. Aber das ist nicht alles: Gesucht wird auch ein neuer Vorstandsvorsitzender, der Feller vor die Nase gesetzt werden soll. Aus aktuell einem Vorstandsposten werden künftig also drei.

Die Gesellschafter Essen und Mülheim begründen die personelle Aufstockung mit den Herausforderungen, vor denen das Nahverkehrsunternehmen stehe – angesichts von anstehenden Investitionen in Milliardenhöhe in den nächsten zehn Jahren und angesichts von Fachkräfte- und Fahrermangel. Gesucht werde ein Manager, die Ruhrbahn müsse wissen, wohin die Reise geht.

Ein Affront gegen Feller, dem man ankreidet, dass die Kooperation von Ruhrbahn und Bogestra, der gemeinsamen Verkehrsgesellschaft der Städte Bochum und Gelsenkirchen, nicht das hält, was Oberbürgermeister Thomas Kufen und seine Amtskollegen aus den beteiligten Städten als „Aufbruch Ruhr“ verkündeten. Angedacht war, dass Ruhrbahn und Bogestra von einer gemeinsamen Doppelspitze geführt werden: zwei Vorstandsposten für zwei Unternehmen. Daraus wurde nichts. Wie zu hören ist, ging den kleineren Partnern Gelsenkirchen und Mülheim diese Kooperation zu weit, sie fürchteten um ihren Einfluss.

Vor einigen Jahren geriet der Kandidat durch eine „Gehaltsaffäre“ in die Schlagzeilen

Der Vorstand der Ruhrbahn wird nun aufgeblasen. Die Arbeitnehmervertretung, die laut Mitbestimmungsgesetz ein Vorschlagsrecht bei der Besetzung des Arbeitsdirektors innehat, hat sich bereits einstimmig für Ahemt Avsar ausgesprochen. Wie zu hören ist, drängt die Arbeitnehmerseite darauf, dass der Aufsichtsrat ihrem Wunsch auch entspricht

Ahmet Avsar ist in der Belegschaft wohl gelitten. Als Betriebsratsvorsitzender der MVG hatte er seinerzeit durchgesetzt, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird. Diese Regelung wurde auf die Ruhrbahn übertragen, da Beschäftigte der Evag im gemeinsamen Unternehmen nicht schlechter gestellt werden durften. Bis 2033 sind betriebsbedingte Kündigungen bei der Ruhrbahn daher ausgeschlossen.

Nicht nur dort ist aber auch in Erinnerung geblieben, dass Avsar vor einigen Jahren unfreiwillig durch eine „Gehaltsaffäre“ für Schlagzeilen sorgte. Noch zu MVG-Zeiten war er aus disziplinarischen Gründen um zwei Gehaltsstufen zurückgestuft worden, weil er als Abteilungsleiter der Kfz-Werkstätten private Pkw hatte reparieren lassen. Von einer fristlosen Kündigung sah die MVG damals ab. Bald darauf wurde Avsar, Mitglied des Betriebsrates, um gleich drei Gehaltsstufen höher eingruppiert.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte, ohne dass es zu einer Anklage kam

Die Ruhrbahn wollte dies so nicht stehen lassen, die Staatsanwaltschaft ermittelte, ohne dass es zu einer Anklage kam. Das Arbeitsgericht Essen erkannte allerdings eine unzulässige Begünstigung Avsars, lehnte Rückzahlungsforderungen der Ruhrbahn jedoch ab. 2019 scheiterte Avsar vor dem Landesarbeitsgericht mit einer Berufungsklage.

Alles in allem eine unschöne Geschichte, die einige Jahre zurückliegt. Zum Nachteil gereichen wird sie Avsar auch deshalb nicht, obwohl mancher angesichts der bevorstehenden Abstimmung im Aufsichtsrat ein Störgefühl empfindet. Ist Avsar der Aufgabe eines Arbeitsdirektors überhaupt gewachsen, in einem Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten?

Zugutegehalten wird ihm, dass er den Laden von der Pike auf kennt. Avsar ist gelernter Kraftfahrzeugmechaniker, hat sich zum Meister weitergebildet, war Abteilungsleiter für Fahrzeugtechnik und als Sachgebietsleiter für Sicherheitstechnik zuständig. Seit 2018 ist er Vorsitzender des Betriebsrates der Ruhrbahn. Das Anforderungsprofil, das diese an einen hauptamtlichen Arbeitsdirektor stellt und über das öffentlich nichts bekannt ist, erfülle er.

Mit den Arbeitnehmervertretern bei der Ruhrbahn will sich niemand anlegen

Avsars Wahl zum Arbeitsdirektor darf als sicher gelten. Mit der Arbeitnehmerschaft will sich niemand anlegen, Unruhe im Unternehmen ist nicht erwünscht. Rechnerisch gibt es im Aufsichtsrat ohnehin eine Mehrheit für ihn als Kandidaten, da sich neben den Arbeitnehmern auch die Linke auf Avsar festgelegt hat. Gleiches gilt dem Vernehmen nach für die Vertreter der Stadt Mülheim im Aufsichtsrat. Warum sich also verkämpfen?

Eine Pointe dazu: Die Linke ist im Aufsichtsrat nur deshalb vertreten, weil sich nach der Kommunalwahl SPD, Tierschutzpartei, Die Partei und Linke auf eine Listenwahl verständigt hatten, um so zu verhindern, dass die AfD einen Aufsichtsratsposten besetzt.

So steht Ahmet Avsar vor einem großen Sprung in Sachen Karriere und Gehalt. Als Arbeitsdirektor und Vorstand steht ihm ein Jahresgehalt in sechsstelliger Höhe zu. Ob er es verdient, wird er unter Beweis stellen müssen.

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