Essen. Aggressives Betteln mindert die Aufenthaltsqualität in der Essener City: Nun ziehen Essen Marketing und die Gastronomen an einem Strang.

Das aggressive Betteln rund um den Kennedyplatz in Essen hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen, die Klagen genervter Gäste und Servicekräfte in der Außengastronomie werden immer lauter. Sogar von Beschimpfungen, Spuckattacken und Trickdiebstählen ist die Rede. Jetzt hat die Essen Marketing Gesellschaft (EMG) auf den Hilferuf der Gastronomen reagiert: In einem dreimonatigen Modellversuch soll ein privater Sicherheitsdienst die Bettler auf Distanz halten. Die ersten Reaktionen auf die neue „Gastro-Streife“ sind positiv.

Wie Svenja Krämer, die Innenstadt-Managerin der EMG, betont, zieht die EMG mit allen Gastronomen rund um den Kennedyplatz einschließlich des Hotels „Motel One“ an einem Strang. „Die Gastronomen und die EMG teilen sich die Kosten für den Sicherheitsdienst“, fügt sie hinzu. Zu den Gastrobetrieben zählen Leo‘s Casa, Hans im Glück, das Extrablatt, Bar Celona, Sixth Sense, Ma, L‘Osteria, Sausalitos und das Block House.

Essen folgt dem guten Beispiel aus Dortmund

Vorbild des Essener Modellversuchs sei Dortmund. Am dortigen Alten Markt habe man im vergangenen Jahr ausgesprochen positive Erfahrungen mit der Verpflichtung eines privaten Sicherheitsdienstes im Einsatz gegen aggressive Bettler gemacht. Experten der Revierstadt hätten darüber im „Arbeitskreis Sichere Innenstadt“ unter Vorsitz von Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg berichtet. Nun soll das Beispiel Dortmund auch in Essen Schule machen.

Nicht nur die Gäste in der Außengastronomie litten unter aktivem und aggressivem Betteln, berichtet die Innenstadt-Managerin. Auch Servicekräfte, überwiegend weiblich, seien betroffen. „Gäste fühlen sich unwohl und die Bedienungen haben vielfach sogar Angst.“ Gäste seien bespuckt worden, als sie sich geweigert hätten, Geld zu geben. Servicekräfte würden ungern im Außenbereich arbeiten, weil es immer wieder Stress mit Bettlern gebe, die sich uneinsichtig zeigten.

Im April sei die „Gastro-Streife“ täglich zunächst noch in geringer Stundenzahl unterwegs: vier Stunden über den ganzen Tag verteilt. Erst zum Wochenende hin, wenn die Innenstadt ein größeres Publikum anlockt, soll aufgestockt werden. Auch im Mai und Juni, wenn die Tage länger und wärmer werden, werde die Präsenz weiter ausgeweitet. Die Innenstadt-Managerin betont, dass der Modellversuch „Gastro-Streife“ mit dem Ordnungsamt und der Polizei abgestimmt sei. Nach Informationen dieser Zeitung handelt es sich bei dem privaten Sicherheits-Unternehmen um das in Essen ansässige Unternehmen „Issa Security“.

Schichtleiterin von „Hans im Glück“ spricht offen über die Auswüchse von aggressivem Betteln

Ein Zwei-Euro-Stück wechselt den Besitzer. Drogensüchtige brauchen die Münzen oft für den nächsten Schuss (Symbolbild)ö.
Ein Zwei-Euro-Stück wechselt den Besitzer. Drogensüchtige brauchen die Münzen oft für den nächsten Schuss (Symbolbild)ö. © dpa | Silas Stein

Ortstermin auf dem Kennedyplatz: Fabienne Gecin ist Schichtleiterin im „Hans im Glück“ an der Westseite des Platzes. Das Bar-Restaurant hat eine große Terrasse mit rund 200 Sitzplätzen und ist deshalb eine feste Anlaufstelle für Bettler. „Aggressives Betteln ist besonders im Sommer echt belastend, einige von ihnen kennen wir schon mit Namen.“ Beschwerden von Gästen, die sich belästigt fühlten, seien an der Tagesordnung.

Die Chefin spricht offen aus, wer die Bettler in der Mehrzahl sind: „Meistens Drogensüchtige, die allerdings vorgeben, ihre Mutter sei krank oder man sei obdachlos und brauche etwas Geld für ein Nachtlager.“ Servicepersonal gerate immer wieder mit Bettlern aneinander. Es sei auch schon zu Handgreiflichkeiten gekommen. Ein sicheres Indiz für die Drogensucht der Bettler: Auf der Rückseite des Gebäudes zum Salzmarkt hin würden sie immer wieder Spritzen finden.

Wenn Gäste nicht aufpassen, ziehen Trickdiebe beim Betteln das Handy vom Tisch“
Leserin aus Essen

Zu den Junkies gesellten sich häufig Armutszuwanderer, die aus EU-Staaten wie Rumänien und Bulgarien stammten. Da sei der Übergang von Betteln zu Trickbetrug schon mal fließend. „Wenn Gäste nicht aufpassen, ziehen die Leute das Handy vom Tisch.“

Die Schichtleiterin begrüßt die Sicherheits-Initiative von Essen Marketing. Allerdings wünscht sie sich noch mehr Präsenz der Security-Leute: „Besonders sonntags morgens und abends nach 20 Uhr.“

Die Terrasse des „Motel One“, so berichtet die Rezeptionistin, sei ebenfalls das Ziel aggressiver Bettler. Ob morgens beim Cappuccino oder abends beim Aperol - Bettler würden die Gäste an den Tischen ansprechen und Bargeld verlangen. „Das Problem gibt‘s schon länger.“

So hat sich die Drogenszene vom Rheinischen Platz in die Innenstadt verlagert

Den Kampf gegen das Betteln in der Essener Innenstadt führen Gastronomen und Marktkaufleute schon seit Jahren. Dieser Aushang des Schaustellers Benjamin Vogel stammt vom Weihnachtsmarkt 2022.
Den Kampf gegen das Betteln in der Essener Innenstadt führen Gastronomen und Marktkaufleute schon seit Jahren. Dieser Aushang des Schaustellers Benjamin Vogel stammt vom Weihnachtsmarkt 2022.

Die Verlagerung der Drogenszene vom Rheinischen Platz in die Innenstadt bis hin zur Porschekanzel ist seit Jahren zu beobachten. Grund der Verdrängung: Der Rheinische Platz wird seit einigen Jahren von der Polizei mit Videokameras überwacht. Das ist in der Innenstadt nicht der Fall. Unter den Blicken von Passanten wechseln Drogen sogar auf den Rolltreppen zum U-Bahnhof den Besitzer. Bezahlt wird das Rauschgift oft mit kurz zuvor erbetteltem Münzgeld, den Schuss setzen sich die Junkies ungeniert gleich an Ort und Stelle: in einem der umliegenden Parkhäuser.

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Drogensucht, Armut und Betteln - eine Leserin lobt in einer Zuschrift die neue Gastro-Streife in der Innenstadt: „Das ist phantastisch! Heute war schönes Wetter und wir haben draußen im Sixth Sense gesessen und sind nicht ein einziges Mal angesprochen worden. . . das ist wirklich eine enorme Erhöhung der Aufenthaltsqualität in der Essener Innenstadt.“

Zufriedene Gesichter auch beim Einzelhandelsverband Ruhr: Geschäftsführer Marc Heistermann begrüßt den gemeinsamen Vorstoß von EMG und Gastronomie. „Das ist ein gutes Beispiel für ein konstruktives Miteinander der verschiedenen Akteure zum Nutzen der gesamten Innenstadt.“

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