Essen. Vom Schutzpolizisten zum wichtigen Gegenwartsfotografen. Michael Schmidt war eine Ausnahmeerscheinung. Warum sein Nachlass nun nach Essen kommt.
Das Fotoinstitut der Republik wird in Düsseldorf angesiedelt, so hat es Kulturstaatsministerin Claudia Roth im September vergangenen Jahres nach jahrelangem Ringen verkündet. Dass man sich in Essen trotz der in Fachkreisen heftig kritisierten Entscheidung der Bundespolitik weiterhin als Fotostadt versteht und auch entsprechend engagieren wird, haben die maßgeblich beteiligten Institutionen - das Museum Folkwang, Ruhr Museum, das Historische Archiv Krupp und die Folkwang Universität der Künste - schon vor Monaten betont. Mittlerweile ist aus dem Netzwerk ein Verein mit festem Sitz auf Zollverein geworden. Gleich zum Start kann das Essener Zentrum für Fotografie nun einen veritablen Coup verkünden.
Kufen: Archiv-Übernahme ist „Anerkennung, Ehre und Ansporn“
Anders als in Düsseldorf, wo bis zum Start des Deutschen Fotoinstituts wohl noch Jahre ins Land gehen dürften, kann man in Essen die Früchte der jahrelangen Vorarbeit und gemeinschaftlichen Expertise schon einfahren. Mit dem Archiv Michael Schmidt kommt dabei der Nachlass eines der profiliertesten Fotografen (1945-2014) der deutschen Nachkriegsgeschichte ans Museum Folkwang. Für Oberbürgermeister Thomas Kufen bedeutet die Übernahme des bedeutenden Archivs als Dauerleihgabe „Anerkennung, Ehre und Ansporn“ zugleich.
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Die Stadt Essen unterstützt die Aktivitäten des Fotozentrums mit Sondermitteln. Knapp 250.000 Euro sollen in diesem und voraussichtlich auch im nächsten Jahr fließen, um die Betreuung des fotografischen Archivs personell stemmen zu können. „Wir werden weltweit die Anlaufstelle sein für die wissenschaftliche Erforschung des Werkes“, freut sich Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter und betont: „Für die Übernahme sind keine finanziellen Mittel geflossen.“
„Das Werk“ umfasst das vielseitige Schaffen von einem der innovativsten Fotografen der jüngeren deutschen Fotogeschichte, dessen Porträts und Stadtlandschaften im New Yorker Museum of Modern Art ebenso gezeigt wurden wie in anderen Museen weltweit. Angefangen hat Schmidt dabei als Schutzpolizist in Berlin. Sein „Kiez“ waren Kreuzberg und der Wedding, wo er einst Streife lief, bevor er sich als Autodidakt zu einem der stilprägenden Fotografen seiner Generation entwickelte.
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Berlin ist damals noch eine geteilte Stadt und Schmidts frühe Fotoserie „Waffenruhe“ mit ihren Menschen und Stadtansichten in „grauer Novembersuppe“ ihr bildgewaltiges Psychogramm. Waffenruhe zählt neben Serien wie „Ein-Heit“ (1986) „Frauen“ (2000), „Irgendwo“ (2005) und „Lebensmittel“ (2006-2010) zu Schmidts zentralen Werkgruppen. 1988 ist die Serie auch im Museum Folkwang zu sehen. Damals hat Schmidt schon einen Lehrauftrag an der Gesamthochschule Essen bekleidet und eine junge Generation von Fotografen mit seinem „breiten Begriff des Fotografischen“, so Gorschlüter, inspiriert.
Eng verknüpft war Schmidts Arbeit immer wieder mit Essen, was einer der Gründe gewesen sein dürfte, dem Museum Folkwang nun sein Lebenswerk anzuvertrauen. Die Depoträume sind bereits vorbereitet, anderthalb zusätzliche Personalstellen eingerichtet, die sich um die weitere Erforschung und Präsentation des Nachlasses kümmern sollen. Wobei das Archiv bereits „in hohem Maße erschlossen“ sei, lobt Folkwang-Chef Gorschlüter. „Wir übernehmen in diesem Fall keine Bananenkisten.“
Dafür bekommt das Haus eine Fülle von Materialien, darunter allein 20.000 Arbeitsabzüge, sämtliche Negative, Schmidts private Bibliothek, Buchentwürfe, Korrespondenzen. 107 Aktenordnung, „prall gefüllt“, sagt Thomas Weski, Kurator der Stiftung für Fotografie und Medienkunst mit Archiv Michael Schmidt, die sich in Berlin um die Sicherung und Bewahrung von „Kulturgut in Form von Werken und Archiven bedeutender zeitgenössischer Fotografen und Medienkünstler“ kümmert.
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Weski gehörte auch zur Expertenkommission, die sich schon 2020 für die Ansiedlung des Bundesinstituts für Fotografie in Essen ausgesprochen hat. Trotz Expertenrat und Machbarkeitsstudie fiel die von Berliner Haushaltspolitikern eingefädelte Entscheidung am Ende aber zugunsten von Düsseldorf aus. Ob und wie es in ferner Zukunft noch zu einer Kooperation beider Städte kommen könnte, steht in den Sternen. Man sehe sich nicht als Konkurrenz zum künftigen Foto-Institut, sagte Gorschlüter, sondern setze auf partnerschaftliche Zusammenarbeit. Die Übernahme des Schmidt-Archivs sei auch ein „Signal, dass wir den Kopf nicht in den Stand stecken“, so der Museumschef. In welcher Form das Werk demnächst der Öffentlichkeit vorgestellt werde, stehe noch nicht fest.
Im Lehrangebot der Folkwang Universität der Künste wird Schmidts Werk jedenfalls einen eigenen thematischen Schwerpunkt bilden, heißt es. Gemeinsam mit dem Museum Folkwang sollen darüber hinaus Forschungsprojekte auf Promotionsniveau initiiert werden. Und Schmidts Werkstatt-Begriff soll mit einem Studienzentrum auf Zollverein aufgegriffen werden, sagt Steffen Siegel, Fotografie-Professor der Folkwang-Uni und Vorstand des Essener Vereins Zentrum für Fotografie.
Ab dem kommenden Jahr will man die Fotoszene außerdem regelmäßig nach Essen einladen. Das Thema des ersten Symposiums im Februar 2025 lautet natürlich: Best Practice. Im Umgang mit Fotografischen Vor- und Nachlässen.
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