Essen. Beim Starkregen war sie im Fokus, beim Hochwasser blieb es still um die Emscher im Essener Norden. Das hat mehrere Gründe.
Dauerregen und Hochwasser: Die Emschergenossenschaft mit Sitz in Essen bestätigt, dass der Dezember 2023 als einer der nassesten Monate seit 1931 in die Geschichte eingegangen ist. Hochwasser, wie im Essener Süden, gab es trotzdem nicht. Im vergangenen Monat seien im Emscher-Gebiet im Schnitt 155 Liter pro Quadratmeter Niederschlag gefallen. Zum Vergleich: In eine handelsübliche Badewanne passen 180 Liter. Damit rangiert der Dezember 2023 in der Liste der nassesten Dezember auf Platz vier seit Beginn der Aufzeichnungen.
Für Hochwasser-Schlagzeilen hat seit Weihnachten in erster Linie die Ruhr im Essener Süden gesorgt. Aber die Emscher im Essener Norden und ihre Nebenläufe wie beispielsweise Berne und Borbecker Mühlenbach decken besonders im Norden große Teile des Stadtgebietes ab.
Nach dem Hochwasser 2021 wurde begonnen, die Region klimarobust zu machen
Weder die Emscher noch ihre Nebenläufe sind jedoch über die Ufer getreten. „Die meiste Zeit hatten wir in den vergangenen Wochen noch nicht einmal eine Hochwasserwarnung für die Emscher“, sagt Ilias Abawi, Sprecher der Emschergenossenschaft und erklärt, woran das liegt: „Anders als die Ruhr oder die Lippe ist die Emscher stark begradigt und tief eingedeicht, dadurch hat sie einen enorm hohen Abfluss.“ Wassermassen könnten von der Emscher schnell weggeschafft werden. Die Hochwasserwelle steige kurz an und sinke dann wieder schnell, bevor es zu einer Belastung für die Deiche komme.
Hinzu komme, dass die Emschergenossenschaft im Zuge des Emscher-Umbaus den Hochwasserschutz um mehr als fünf Millionen Kubikmeter Rückhaltung verbessert habe, unter anderem mit zahlreichen Hochwasserrückhaltebecken und unterirdischen Stauraumkanälen. Abawi: „Es ist dennoch wichtig zu betonen, dass es niemals einen 100-prozentigen technischen Schutz vor Hochwasserschäden geben kann. Je nach Art und Dauer des Regens kann auch die Emscher überlastet werden.“
Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband, fordert zusätzliche Flächen für Notpolder und Rückhalteräume; „Die aktuelle Niederschlags- und Hochwasserlage bestätigt unsere bereits vielfach geäußerte Prognose, dass wir in Folge des Klimawandels immer häufiger Regenereignisse erleben werden, deren Folgen wir heute kaum einschätzen können.“
Nassestes Kalenderjahr im Emscher-Gebiet
Das gesamte Kalenderjahr 2023 hat es im Emscher-Gebiet auf Platz eins der nassesten Jahre ab 1931 geschafft. Im Emscher-Gebiet waren es 1175 Millimeter im Gebietsmittel. Das 130-jährige Mittel liegt bei 799 Millimeter. Das sind 103 Millimeter mehr als beim bisherigen Platz eins von 1072 Millimeter im Jahr 1966. Damit beende das Kalenderjahr 2023 die fünfjährige Serie der zu trockenen Kalenderjahre von 2018 bis 2022.
Rückhalteräume sind rein wasserwirtschaftlich genutzte Flächen, zum Beispiel ein Hochwasserrückhaltebecken. Notpolder sind anders genutzte Flächen, etwa landwirtschaftliche Äcker oder Bolzplätze, die nur im Notfall gezielt geflutet werden können, um vulnerable Bereiche wie Wohnbebauung, kritische Infrastruktur, Kindergärten oder Altersheime zu schützen.
Abawi: „Potenzielle Flächen haben wir identifiziert, aber sie gehören uns leider nicht.“ Und die Eigentümer, unter anderem Landwirte, hätten andere Pläne für diese Flächen beziehungsweise „höchsteigene Vorstellungen über die Preise, zu denen sie die Flächen verkaufen würden“. Ilias Abawi: „Wir haben bezüglich der Flächenverfügbarkeit einen Interessenskonflikt, der nicht so einfach zu lösen ist.“
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Uli Paetzel sieht sich dennoch darin bestätigt, nach dem Juli-Hochwasser 2021 frühzeitig Planungen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes an der Emscher begonnen zu haben: „Das Prinzip der ‚Schwammstadt‘ muss oberste Leitlinie der Stadtplanung werden, wenn wir in Zukunft für die Folgen des Klimawandels gewappnet sein wollen.“ Schwammstadt bedeutet, dass Regen- und Oberflächenwasser in Essen vor Ort möglichst versickert und gespeichert wird (etwa von Stadtbäumen, durch Entsiegelung und Dachbegrünungen), anstatt es zu kanalisieren und ins Emschersystem abzuleiten.
Prinzip Schwammstadt: Regenwasser versickert vor Ort, statt es abzuleiten
Dieses Prinzip hilft auch in Fällen von Starkregen. Bei den letzten Ereignissen dieser Art, im Sommer 2023, standen zahlreiche Straßen, Keller und mehrere Kleingärten unter anderem am Borbecker Mühlenbach unter Wasser. Dazu Abawi: „Der Hochwasserschutz in der Emscher ist auch bei Starkregen sehr gut – wie bereits mehrfach in der Vergangenheit bewiesen. Grundsätzlich ist es so, dass Dauerregen primär die Gewässer beansprucht, während bei Starkregen in erster Linie die Kanalisationen überlastet werden.“ Bei Starkregen steige der Pegel schneller und steiler an, sinke aber auch genauso schnell wieder. Bei Dauerregen sei die Welle etwas flacher. Auch hier gelte: Es könne immer Regenereignisse geben, bei denen auch die Emscher überlastet werde. Einen 100-prozentigen Schutz gebe es nicht.
Bei dem Starkregen im Sommer 2023 hatten sich die Hochwasserrückhaltebecken gefüllt und so den Bach entlastet. Laut Emschergenossenschaft habe zudem die Renaturierung des Mühlenbachs geholfen, weil das Wasser in den Ufer- und Auenbereichen versickern könne. Statistisch habe der Starkregen aber einem Ereignis entsprochen, das nur einmal in 100 Jahren auftritt, dafür sei das System, zu dem dann auch die Kanalisation gehört, nicht ausgelegt.
Essener forderten Verbesserung der Pumpstationen nach Starkregen
Auch Anwohner in Altenessen mussten nach den letzten Starkregenereignissen ihre Keller freipumpen. Sie forderten eine Verbesserung der 22 Pumpstationen, die die Emschergenossenschaft auf dem Essener Stadtgebiet errichtet hat. Das ankommende Wasser wird dort zunächst gesammelt, die Pumpen laufen dann laut Unternehmen automatisch an und befördern das Wasser aus dem Tiefpunkt eines Stadtteils hinauf, damit es dann wieder im freien Gefälle abfließen kann. Das sei besonders im bergbaugeprägten Essener Norden notwendig, da es dort zu entsprechenden Absenkungen gekommen ist.
Doch auch hier wird Abawi nicht müde zu betonen, dass es keinen 100-prozentigen Schutz gebe. „Pumpwerke schaffen im Notfall ungeheure Mengen an Wasser weg, doch bei extremen Starkregenereignissen kann jede Anlage überlastet sein.“ Es komme dann zu einem Rückstau in der Kanalisation. „Dagegen kann und muss sich jeder Hauseigentümer mit einer Rückstau-Sicherung im Keller wappnen.“
Rückschlagklappen und Sandsäcke: Das hatte auch die Stadt Essen ihren Bürgern und Bürgerinnen nach dem letzten Starkregen geraten. Außerdem sollte jeder die Starkregenkarte anschauen und prüfen, ob das eigene Grundstück gefährdet ist. Diese ist im Internet zu finden unter https://geoportal.essen.de/starkregenkarte/.
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