Essen. Richard Müller ist ein echtes Schausteller-Urgestein. Warum der Essener nicht nur auf moderne Karussells setzt, sondern auch auf Nostalgie.

Seit 1630 ist das Schausteller-Gewerbe bei Familie Müller Tradition. Momentan führt Richard Müller das Unternehmen in siebter Generation. Der Essener Schausteller feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag – und er hat in all den Jahrzehnten nie in einer Wohnung gelebt, sondern immer im Wohnwagen.

Von Beginn an führte Richard Müller ein echtes Schaustellerleben: „Ich kenne keine Wohnung“, sagt er, „ich bin im Wohnwagen groß geworden und genieße heute die Freiheit, mit meiner Frau Astrid jetzt in einem etwas luxuriöseren Wohnwagen in Altenessen zu leben. Da fühle ich mich wohl.“ Nach wie vor sei es aber alles in allem ein bescheidenes Leben, das Schausteller führten.

Richard Müller entstammt einer Schaustellerfamilie mit langer Tradtition

Richard Müllers Geburtsort ist Mettmann. Wie es bei Schaustellern schon einmal vorkommt, bekommt Mutter Gertrud ihren Nachwuchs auf der Reise: an jenem 8. Januar 1964, als die Geburtsstunde eines später sehr engagierten Schaustellers schlägt. Er erhält den Vornamen seines Vaters, Richard.

Für Schaustellerkinder ist das Leben nicht immer einfach. Zwar hat der kleine Richard eine „Stammschule“ in Bottrop. Aber in die geht er nur, wenn die Familie ihr Winterlager in Bottrop aufschlägt. Als einer seiner Lehrer einmal fragt, was Richard werden wolle, kommt eine klare Antwort: „Ich will das werden, was mein Papa ist.“ So tritt er mit 16 Jahren in die Jugend des Schaustellerbunds ein und wird mit 30 Jahren Zweiter Vorsitzender des Schaustellerverbandes Essen/Ruhrgebiet. Das ist er auch heute noch.

Als im Jahr 1991 der Vater Richard Müller Senior durch einen Schlaganfall plötzlich aus dem Leben gerissen wird, muss Richard Müller Junior den elterlichen Betrieb von einem Tag auf den anderen übernehmen. Zur damaligen Zeit mit viel Konkurrenz in der Branche sei das nicht leicht gewesen, er habe in den Betrieb investieren und neue Ideen entwickeln müssen, so Müller.

Müller ist Mitinitiatior des historischen Jahrmarkts im Schlosspark Borbeck

Zum Weihnachtsmarkt 1995 wurde der Grundstein für mittlerweile 26 Jahre Müllers Glühweintreff auf dem Willy-Brandt-Platz gelegt. Die Müllers waren und sind so ziemlich auf allen Events im Raum Essen dabei. Eine der Lieblingsveranstaltungen der Familie ist der historische Jahrmarkt, der seit 2014 im Sommer im Borbecker Schlosspark stattfindet, auch auf Müllers Initiative hin.

Richard Müllers historischer Autoscooter, der „Selbtsfahrer“, begeistert auch heute noch Groß und Klein beim historischen Jahrmarkt in Borbeck.
Richard Müllers historischer Autoscooter, der „Selbtsfahrer“, begeistert auch heute noch Groß und Klein beim historischen Jahrmarkt in Borbeck. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Dort präsentiert er stolz Kirmeswagen, Fahrgeschäfte und Verkaufswagen aus den frühen Nachkriegsjahren. Die hat er teils von den Eltern übernommen und teils eingekauft. Selbst restauriert hat er die guten Stücke mit Hilfe von Freunden und der Familie. Dass er für die Historie ein besonderes Faible hat, zeigt auch, dass er 2003 die Historische Gesellschaft Deutscher Schausteller mitgegründet hat und bis heute aktives Mitglied ist.

Erinnerungen an viele Kirmesmomente in Essen und Umgebung

Die Erinnerungen an den geliebten Holzpfosten-Scooter verleiteten Müller zur Suche im Internet – und er wurde fündig. Kurzerhand zeigte er das Fundstück seinem alten Jugendfreund Peter Buchholz, Besitzer der ebenfalls historischen Raupenbahn. Der habe gesagt: „Das musst du machen!“. Beide fuhren zu der Witwe eines Schaustellers, der sich nie von seinem alten Scooter getrennt hatte.

Im historischen Wagen der Familie schwelgt Richard Müller gerne in Erinnerungen.
Im historischen Wagen der Familie schwelgt Richard Müller gerne in Erinnerungen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Müller kaufte und restaurierte ihn. Auch der elterliche Holzschindel-Wohnwagen, der nach dem Tod des Vaters 1991 eingemottet wurde, erhielt wieder frischen Glanz. „Der Zusammenhalt in diesen Situationen mit Freunden und Familie, das macht das Schaustellerleben aus“, so Müller.

Sohn Steven Müller ist bereits die achte Generation der Schaustellerfamilie, die neunte Generation erblickte 2021 die Welt. Ob die Enkelin auch ins Geschäft einsteigen wird, steht noch in den Sternen. Richard Müller ist da Optimist. Er zündet sich einen Zigarillo an und genießt die Atmosphäre des historischen Wohnwagens, in dem er am liebsten auch seinen Geburtstag verbringen würde. „Hier kommen immer wieder tausende Erinnerungen zurück, die ich nicht missen möchte“, stellt er fest. Zum Beispiel an all die lachenden Gesichter auf dem Autoscooter.

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