Essen. Wer ist schuld, wenn sich „Die rote Zora und ihre Bande“ auf der Straße durchschlagen müssen? Die Antwort gibt es im Essener Grillo-Theater.

„Sie hat keine roten Haare“, raunt ein Junge seiner Mutter hinten links im Grillo-Theater zu. Stimmt. Die Titelfigur in dem Essener Familienstück „Die rote Zora und ihre Bande“ hat schwarze Haare und rote Schnürstiefel, die sehr angesagt und teuer aussehen (Kostüme: Emir Medić). Jedenfalls sind sie nicht die eines Flüchtlingskindes aus Albanien. Aber Schwamm drüber, wenn alles andere so stimmig ist wie in Selen Karas Inszenierung. Entstanden ist sie nach John von Düffels Bühnenversion des gleichnamigen Kurt Held-Romans und hatte jetzt im Grillo-Theater eine gefeierte Premiere mit vielen selbst gemalten Fischen in Kinderhänden.

Burgruine trifft Balkan-Rhythmus und Bühnenkomik

Wer Kinder, Eltern und Großeltern erreichen will, muss sich etwas einfallen lassen. Da wird auf der großen Bühne des Schauspiel Essen aus einer Stadtmauer eine großartige Burg(-ruine), wo einst in der realen Küstenstadt Senj die für Freiheit kämpfenden Uskoken lebten und jetzt Zoras Bande durch einen geheimen Gang (Bühne: Lydia Merkel) Zuflucht gefunden hat. Da gibt es einen Balkan-Rhythmus, komponiert vom musikalischen Leiter Torsten Kindermann, bei dem jeder mit muss, und Slapstick-Einlagen des musizierenden und spielfreudigen Ensembles, die mit viel Gelächter belohnt werden. Die Regisseurin bringt damit viel Tempo und Entspannung ins Spiel, ohne ihr Anliegen zu verraten.

Karas Inszenierung ist ein sozialkritisches Plädoyer, für obdachlose, verarmte Kinder Verantwortung zu übernehmen. Sie spiegelt eine Wohlstandsgesellschaft, die wenig Platz und Herz hat für allein gelassenen Nachwuchs. Und das im Bild einer wirklichkeitsnahen Welt. So beginnt das Theaterstück um Verlust, Armut, Solidarität und Freundschaft mit einem Trauerzug für die verstorbene Mutter des jungen Branko, bei dem er von einem Gymnasiasten des Aprikosendiebstahls bezichtigt wird. So fies wie komisch (besonders Mathias Znidarec mit seinen Otto-Bewegungen) kommen diese altbackenen Mini-Kopien ihrer Eltern, den Honoratioren von Senj, daher.

Der alleingelassene Branko landet in Zoras Bande

Vielfach adaptiert: Die rote Zora und ihre Bande

In den 1940er Jahren scheinen rothaarige Mädchen das Symbol für Stärke und Mut zu sein. Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ erschien 1945, Kurt Helds Kinderbuch „Die rote Zora und ihre Bande“ 1941. Beide wurden Kinderbuchklassiker und auf die eine oder andere Art adaptiert.

Die rote Zora wurde 1979 Titelheldin einer Fernsehserie, die in der kroatischen Küstenstadt Senj gedreht wurde, 2008 eines Kinofilms mit Mario Adorf, Ben Becker und Dominique Horwitz und zuletzt verschiedener Bühnenfassungen. In Bremen wurde John von Düffels Version 2019 herausgebracht, die Selen Kara für das Essener Grillo-Theater adaptiert hat.

Karten unter0201 81 22 200 oder auf www.theater-essen.de. Auf der Webseite kann auch die Vorlage für bemalte oder beklebte Fische der Spendenaktion heruntergeladen werden.

Dort schlagen sich „Die rote Zora und ihre Bande“ mit geklauten Lebensmitteln durch, die ohnehin niemand mehr kaufen will, und werden immer wieder beschimpft. Als Branko einen dreckigen Fisch aufhebt, landet er wegen Diebstahl im Gefängnis und dann, nach einer nicht nachahmenswerten Mutprobe, in der Bande. Nicolas Matthews gibt Branko viel Feingefühl und Kampfgeist mit, auch wenn der manchmal auf den falschen Weg führt. Zora, die von Beritan Baltic mit Mut und Pfiffigkeit ausgestattet wird, steht ihm bei. Aber auch der kugelrunde Bäcker und der coole Fischer, die Jan Pröhl in zwei der diversen Doppelrollen mit Witz und großem Gerechtigkeitssinn auszufüllen weiß, gehören zu ihren Verbündeten.

Dann werden die jungen Zuschauenden ins Spiel gezogen. Sie sind das Meer, aus dem Zora und Branko selbst bemalte und beklebte Fische fangen, die später in einer Spendenaktion für obdachlose Kinder und Jugendliche landen sollen. Und die Aktion geht weiter. Auch bei jeder weiteren Vorstellung wird die moralische Frage gestellt, wer denn schuld ist, dass die Kinder nichts zu essen haben - sie selbst oder die Erwachsenen? Die Antwort fällt laut und deutlich aus und wird nur noch vom Uskoken-Lied übertönt.

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