Essen. Die Einstellung aller Ermittlungen nach der Clan-Randale auf dem Salzmarkt ist für Essens Oberbürgermeister „ein katastrophales Ergebnis“.
169 Mitglieder rivalisierender Clans werden identifiziert, nachdem sie sich eine Schlacht auf dem Salzmarkt in der Essener Innenstadt geliefert haben. Acht Polizisten und zwei Gäste eines dortigen Restaurants werden verletzt, bevor die Polizei eine ganze Reihe von Hieb- sowie Stichwaffen sicherstellt, und später öffentlich um Videos bittet, um Täter zu überführen. Doch nach vier Monaten aufwendigster Ermittlungen und Videoanalysen kommen alle mutmaßlich Beteiligten völlig ungeschoren davon. Die Staatsanwaltschaft Essen stellt alle Verfahren ein, weil niemandem eine Straftat zweifelsfrei zuzuordnen sei.
Auf diese ernüchternde Bilanz hat Oberbürgermeister Thomas Kufen am Donnerstag mit „wenig Verständnis“ und einem Brandbrief an das Justizministerium reagiert, während die politische Opposition im Innenausschuss des NRW-Landtags in einer hitzigen Diskussion von nicht weniger als einer „Kapitulation des Rechtsstaats“ sprach.
OB: Einstellung aller Verfahren ist ein fatales Signal
In dem Schreiben Kufens an Justizminister Benjamin Limbach, das dieser Zeitung vorliegt, macht der OB seinem Ärger erkennbar Luft: „Die Einstellung aller Verfahren ist ein fatales Signal in Richtung der Täter, Sympathisanten, Clans und auch in Richtung der Bevölkerung. Bei den Bürgerinnen und Bürgern entsteht der Eindruck, dass der Staat am Ende nicht in der Lage ist, die Kriminalität und in diesem besonderen Fall die Clans effektiv zu bekämpfen. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass keine Zuordnung, keine Ahndung, beispielsweise von Körperverletzungen, dem Tragen von Waffen oder Landfriedensbruch möglich ist, die es offenkundig gab.“
So würden die bislang erreichten Erfolge der Stadt, der Polizei und ihrer Partner bei der Bekämpfung der Clan-Kriminalität in Essen marginalisiert. Das sei auch angesichts der aktuellen politischen Situation in Deutschland „ein katastrophales Ergebnis“.
Staatsanwaltschaften sollten Ermittlungen fortsetzen
Kufen ist davon überzeugt, dass es daher notwendig sei, die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaften fortzusetzen, und sich „mit der gleichen Intensität und dem gleichen Aufwand“ wie andere Behörden der Bekämpfung der Kriminalität in allen Formen zu widmen.
Auch Landtagsabgeordnete von SPD und FDP kritisierten im Innenausschuss des Landtags, dass nach den Tumulten Mitte Juni kein einziger Straftäter zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Zum einen weil die Bilder und Videos nach Ansicht der Staatsanwaltschaft von nicht ausreichender Qualität waren, um Randalierer zu überführen. Zum anderen weil nach einem Treffen der rivalisierenden syrischen und libanesischen Großfamilien unter Leitung eines sogenannten „Friedensrichters“ keiner der Zeugen Angaben gemacht habe.
Innenminister regte mehr Videoüberwachung an
Unter anderem wurden Zweifel laut, ob denn auch tatsächlich alle Rechtsmittel ausgeschöpft worden seien – wie etwa die Beugehaft, um eine verweigerte Aussage erzwingen zu können. Was allerdings nicht infrage kommt, wenn ein Zeuge gleichzeitig ein Beschuldigter und seine Einlassung verweigern kann, um sich nicht selbst zu belasten, konterte die CDU-Fraktion, die wie die Grünen im Landtag die Kritik der Opposition zurückwies.
Bislang hat es die Staatsanwaltschaft Essen abgelehnt, juristisch einen Gang hochzuschalten, um vielleicht doch noch zum Ziel zu kommen: Die in Rede stehenden strafrechtlichen Vorwürfe wie Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, der besonders schwere Fall des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, Verstoß gegen das Waffengesetz und Sachbeschädigung sind nach Überzeugung der Juristen von der Zweigertstraße nicht geeignet, verdeckte strafprozessuale Maßnahmen zu rechtfertigen, um den Tätern beizukommen.
Kufen nimmt die Polizei ausdrücklich in Schutz
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) regte in der Sitzung mehr Videoüberwachung in den Innenstädten an, um etwaige Tumultlagen mit hochauflösenden Bildern besser dokumentieren zu können.
Die mehreren Hundert Einsatzkräfte, die vor Ort womöglich Schlimmeres verhinderten, nimmt Oberbürgermeister Thomas Kufen bei all seiner Kritik ausdrücklich in Schutz: „Die Essener Polizei hat sehr schnell reagiert, hat die rivalisierenden Personengruppen eingekesselt und so dafür gesorgt, dass es zu keiner größeren Schlägerei unter den beteiligten Gruppen kam.“