Essen. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Essen ist schockiert über den Krieg in Israel und Hass-Demos auf deutschen Straßen. Zum Interview.
Der Angriff der radikal-islamischen Hamas auf Israel hat Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen, die in Deutschland leben. Schockiert über die Geschehnisse im Nahen Osten, aber auch auf deutschen Straßen, zeigt sich etwa der Vorsitzende der Jüdischen Kultus-Gemeinde Essen. Schalwa Chemsuraschwili wollte in Kürze eigentlich selbst nach Israel fliegen, um dort eine Hochzeit zu feiern. Doch daraus wird nichts, das Familienfest ist abgesagt, der Bräutigam in spe in der Armee.
Ein Gespräch über Wut, Unverständnis, aber auch Hoffnung, hat Johannes Pusch mit Chemsuraschwili geführt.
Krieg in Israel: Wie die jüdische Gemeinde in Essen das Geschehen wahrnimmt
Herr Chemsuraschwili, Krieg im Nahen Osten, auf deutschen Straßen wird gegen Israel gehetzt – wie erst kürzlich in der Nachbarstadt Duisburg geschehen. Das ist nicht weit weg. Was macht das mit Ihnen?
Schalwa Chemsuraschwili: Das macht mich wütend und fassungslos. Da werden auf deutschen Straßen Enthauptungen gefeiert. Meine Meinung: Die Leute, die so etwas machen, sind nicht besser als die Terroristen, die in Israel gemordet haben. Solche Veranstaltungen muss man verbieten und auflösen, die Veranstalter müssen verurteilt werden. Der milde Umgang der Justiz mit Straftätern trägt übrigens nicht dazu bei, dass die Gewaltspirale kleiner wird. Die Instrumente dafür sind da.
Sind Sie oder ihre Gemeindemitglieder seit dem Angriff der Hamas auf Israel selbst attackiert oder angefeindet worden?
Nein, das ist seitdem glücklicherweise noch nicht passiert.
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Trotzdem erleben Sie in Ihrem Alltag Antisemitismus.
Das ist richtig, ab und zu passieren im Alltag Dinge – nicht so oft, nicht so brutal. Wenn in Israel aber etwas hochkocht, so wie jetzt, dann sind unsere Gemeindemitglieder sensibilisiert. Im Alltag versuche auch ich, Antisemitismus zu verdrängen. Aber die Wahrheit ist: Er ist immer da.
Wie präsent ist der Krieg in Israel bei Ihnen persönlich?
Das hat unmittelbare Auswirkungen. Eigentlich wäre ich jetzt am 15. Oktober nach Israel geflogen, dort wollte der Sohn meiner Cousine heiraten. Eigentlich. Die Hochzeit wurde aber abgesagt, der Sohn meiner Cousine ist jetzt in der Armee, er ist Reservist. Viele melden sich dort gerade freiwillig für die Armee, jede Familie ist dort jetzt unmittelbar betroffen.
Sie haben einmal gesagt, dass Israel für Sie so besonders ist, weil Sie dort als Jude immer mit offenen Armen empfangen würden, wenn hier etwas Schlimmes passieren würde.
Daran ändert die aktuelle Situation nichts.
Haben die Behörden wegen der Situation in Israel die Sicherheitsvorkehrungen bei Ihrer Gemeinde in Essen erhöht?
Da kann ich nicht ins Detail gehen, wir sind aber in ständigem Kontakt zu Polizei und Staatsschutz. Unsere Polizei in Essen muss ich da deutlich loben.
Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als sie von dem Angriff der Hamas auf Israel erfahren haben – von den Raketen, den Geiselnahmen, den vielen Toten?
Zunächst wusste ich von dem Ausmaß des Schreckens noch nichts – als ich später aber die Brutalität und Grausamkeit mitbekommen habe, diese Barbarei, da war ich sprachlos. Die Terroristen haben niemanden geschont, auch Frauen, Kinder und sogar Babys umgebracht. Ich habe schon einiges gesehen, aber so etwas noch nicht.
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Was muss Ihrer Meinung nach jetzt vor Ort passieren?
Dem Schrecken muss bald ein Ende gesetzt werden – mit der Hamas muss schleunigst Schluss gemacht werden. Davon würde auch die Bevölkerung Gazas profitieren. Denn die Menschen dort selbst sind es, die von den Terroristen in großer Geiselhaft gehalten werden. Ich hoffe, dass die westliche Welt Israel dabei hilft.
Was macht Ihnen in Zeiten wie diesen Hoffnung?
Unsere Gemeinde hat seit dem Angriff auf Israel viele Solidaritätsbekundungen erhalten, vor allem in Form von E-Mails. Am Schabbat kam sogar ein uniformierter General vorbei und hat uns seine Solidarität ausgesprochen. So etwas tut gut. Zusammen mit Bürgermeister Rolf Fliß gab es vor kurzem eine Mahnwache an der Alten Synagoge, am Donnerstag bin ich von Oberbürgermeister Thomas Kufen zu einem Austausch eingeladen. Solche Dinge geben uns Kraft.
>>> Zur Person:
- Schalwa Chemsuraschwili ist Vorsitzender der Jüdischen Kultus-Gemeinde Essen. Seit 2002 lebt er in Deutschland, ursprünglich stammt er aus Georgien.
- Vorsitzender der Essener Gemeinde ist Chemsuraschwili seit 2020.
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