Essen-Werden. In den sozialen Medien befehden sich Befürworter und Gegner eines „klimagerechten Altstadtrings“ für Essen-Werden – genauso hart wie an der „Rü“.
Eine breite Fahrradstraße mit Tempo 30, wo Radler von Autos nicht überholt werden dürfen. Den Fußgängern stehen breitere Gehwege zur Verfügung, Bänke laden zur Rast ein, es gibt viel Grün und zusätzliche Straßenbäume. Die Aufenthaltsqualität steigt, das Stadtklima profitiert. So das rosige Bild eines „klimagerechten Altstadtrings“ für den Stadtteil Werden.
Ein Diskussionsabend der Klimainitiative „Gemeinsam für Stadtwandel Werden“ mit etwa 80 Besuchern warb für eine solche Fahrradstraße in Werdens Zentrum. Konkret gemeint sind damit die von der Brückstraße abzweigende Heckstraße, die Joseph-Breuer-Straße und die wieder auf die Brückstraße führende Körholz- bzw. Grafenstraße.
Kontrovers ging es an dem Veranstaltungsabend eher wenig zu. Aber in den sozialen Medien fliegen dafür die Fetzen. „Die Radfahrer“ sollten erst einmal lernen, die Verkehrsregeln einzuhalten. Die Geschäftswelt fürchte ums Überleben, lassen die Kritiker kein gutes Haar an der Idee einer Fahrradstraße.
Die „Rü“ führen beide Seiten für ihre Argumente an
Überraschenderweise führen beide Lager die „Fahrradstraße Rü“ als Beispiel an. Dort sei ein rein ideologisches Konzept krachend gescheitert. Einkaufsstraßen könnten halt keine Fahrradstraßen werden. Dies sei überhaupt nicht bewiesen, kontern die Befürworter. Es gebe Studien, die anderes sagen. Radfahrer seien eine kaufkräftige Klientel, Verkehrsberuhigung tue den Geschäften also gut. Während sich die einen eine Verbesserung des Stadtklimas erhoffen, sprechen die anderen von radikaler „Gängelei“.
Die Klimainitiative um Stadtplaner Michael Happe schlägt vor, zum Wohle von Klima, Natur, Fußgängern und Radfahrern auf gut ein Drittel der 139 öffentlichen Parkplätze zu verzichten. Doch rettet das unser Klima? Jüngere Stimmen monieren, dass sei keine Lösung. Das Auto müsse konsequent aus dem Innenbereich herausgehalten werden: „Es muss doch möglich sein, drei kleine Sträßchen autofrei zu bekommen.“ Wegen einiger weniger Schritte bis zu einem neu zu errichtenden Parkhaus werde doch niemand aufs Kfz verzichten.
Martina Schmitz ist Sprecherin der Initiative und ernüchtert: „Ohne Kompromisse gibt’s keine Zustimmung der Politik. In Essen ist man noch nicht soweit.“ Kann die örtliche Politik ausgleichend wirken?
Die Ortspolitik scheint gespalten zu sein
Die Bezirksvertretung scheint gespalten. Max Stahr (CDU) ist Mobilitätsbeauftragter des Bezirkes 9: „Ich sehe keine Notwendigkeit für einen gegenläufigen Radstreifen an der Grafenstraße. Das fällt mir Schöneres ein.“ Auch habe er die Sorge, dass dieser Rad-Gegenverkehr querende Fußgänger gefährde.
Hilde Hess-Steinhauer (Grüne) dagegen sieht Eile geboten: „Wir müssen möglichst viele Leute mitnehmen, können aber nicht auf die Letzten warten.“ Sie fordert bewirtschaftete Parkplätze: „Wenn ich für den ÖPNV zahlen muss, warum dürfen Autofahrer kostenfrei parken?“ Heinz Schnetger (SPD) mahnt, nicht nur Verlustängste zu bedienen, sondern die unbestreitbaren Vorteile herauszustellen. Er sieht die Werdener Krankenhäuser in der Pflicht, fürs Personal ein Parkhaus zu bauen: „Bei Krupp-Krankenhaus und Uniklinikum parkt niemand umsonst. Da gibt es gar keine Diskussion.“
Werden durch eine Fahrradstraße Existenzen gefährdet?
Die Geschäftswelt beteiligte sich nicht am Diskussionsabend, nur der Werbering-Vorsitzende Peter Allmang stellte sich. Werdener Kaufleute, die namentlich nicht genannt werden möchten, sehen keine „ergebnisoffene Diskussion“ mehr. Zu sehr sei die Stimmung polemisiert in Werden, in Deutschland überhaupt. Selbsternannte ideologische „Wohltäter“ würden ihre Nöte ignorieren. Der Verlust so vieler Parkplätze sei der Todesstoß für den Werdener Einzelhandel.
Optiker Ralf Degener hat sein Geschäft „City Optic“ direkt am Ende des besagten „Altstadtrings“. Er bittet darum, auch vom „Mainstream“ abweichende Meinungen zu akzeptieren: „Ich sehe da vieles anders.“ Dass ein Drittel der Parkplätze wegfallen soll, sei fatal für die Geschäfte: „Wir haben eher zu wenige Parkplätze, das sagen mir vor allem die auswärtigen Kunden. Ich befürchte daher noch mehr Parksuchverkehr.“ Besuche beim Optiker würden nun mal mit Einkäufen verbunden, und zwar mit dem Auto: „Und wenn die Leute 250 Meter laufen müssten vom Parkplatz zum Geschäft, lassen sie es sein. Der Mensch ist halt bequem.“
Das Abteistädtchen biete Erlebnis-Einkaufen, sagt Daniela Reimus-Wittig vom Interieur- und Feinkostgeschäft „Einzigartig“ in der Heckstraße: „Unsere Kunden aus Heiligenhaus, Velbert, Saarn oder Hösel schätzen an Werden die vielen inhabergeführten Läden und die schöne Altstadt, aber auch die kurzen Wege.“ Die Geschäftsfrau mahnt: „Wir haben gerade Corona überstanden und nun sollen noch Parkplätze wegfallen. Hier werden Existenzen gefährdet.“
Es gibt auch Parkplätze mit hoher Fluktuation
An Heckstraße und Körholzstraße sei oft Verkehrschaos: „Keine Frage. Aber mich stören genauso sehr die Radfahrer, die mit ihren hochgerüsteten E-Bikes über die Gehwege brettern.“ Die gescholtenen Langzeitparker sehe sie nicht.
Beim Schräg-Einsteller gegenüber sei hohe Fluktuation: „Länger als 30 Minuten parkt da kaum jemand. Die Werdener kommen ohnehin zu Fuß zum Einkaufen. Geschäftsleute, die hier leben, kommen zu Fuß. Die anderen stellen ihre Autos doch jetzt schon weit außerhalb ab und überlassen die Altstadt-Parkplätze den Kunden.“
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