Essen. Von der „Fehlentscheidung“ zum Finanz-Coup: Nach zwölf Jahren machen sechs Stadtwerke mit dem Verkauf des Energie-Unternehmens ganz groß Kasse.

Die Geschichte eines allzu riskanten Abenteuers, sie war schon fast zu Ende erzählt. Es fehlte nur noch das letzte Kapitel: dort, wo man die Verluste bilanziert, mit den Schuldigen abrechnet und verspricht, beim nächsten Mal alles besser zu machen. Doch oh Wunder, ausgerechnet auf den letzten Metern ihres zwölfjährigen Ausflugs in die große Welt der Energie-Wirtschaft erleben die Stadtwerke Essen und ihre Mitstreiter aus fünf Nachbarstädten in diesen Tagen, dass ihre längst eingeräumte Fehl-Investition sich zu einem echten Finanz-Coup wandelt. Und am Ende bleiben in der Essener Stadtkasse annähernd 140 Millionen Euro hängen.

Ein warmer Geldregen, möglich gemacht durch den Verkauf der Steag an den spanischen Investor Asterion Industrial Partners. Die Vertreter der sechs beteiligten Städte können ihr Glück kaum fassen. Es ist schließlich erst zwei Jahre her, dass einige von ihnen dem schlechten Geld für die damals von der Pleite bedrohte Steag nur mit argem Bauchweh gutes hinterherwarfen: 56 Millionen Euro hatten zuvor allein die Essener Stadtwerke investiert, weitere 20 Millionen die Stadt-Holding EVV als Darlehen herübergereicht, und die Stadtwerke legten in jenem Mai 2021 noch einmal ein Darlehen über 5,9 Millionen Euro nach. Prädikat: hoch riskant.

Der Steag-Chef über seinen Start im Hause: „Kein Geld in der Kasse und schlechte Laune“

Dahinter steckte, sagt Essens Stadtwerke-Chef Peter Schäfer, „unsere Hoffnung, dass ein Sanierer im Unternehmen Werte hebt, die uns bis dato verborgen geblieben waren“. Die Rechnung ging tatsächlich auf in einer Firma, deren Startbedingungen Chefsanierer und Mit-Geschäftsführer Ralf Schmitz aus der Erinnerung so beschreibt: „Kein Geld in der Kasse und schlechte Laune.“

„Sehr glücklich und absolut zufrieden“ zeigte sich Heike Heim (links), Vorstandschefin der Dortmunder Stadtwerke DSW21, mit dem Verkauf. Und Dietmar Spohn, Koordinator der sechs beteiligten Stadtwerke, betont, dass man mit Asterion die Steag „in gute Hände“ abgibt. Für den spanischen Investor sagte Nicole Hildebrand (Mitte) zu, den Firmensitz in Essen zu belassen.
„Sehr glücklich und absolut zufrieden“ zeigte sich Heike Heim (links), Vorstandschefin der Dortmunder Stadtwerke DSW21, mit dem Verkauf. Und Dietmar Spohn, Koordinator der sechs beteiligten Stadtwerke, betont, dass man mit Asterion die Steag „in gute Hände“ abgibt. Für den spanischen Investor sagte Nicole Hildebrand (Mitte) zu, den Firmensitz in Essen zu belassen. © wk

Das eine wie das andere besserte sich schlagartig im vergangenen Jahr, weil im Energiesektor eine Zeitenwende die andere ablöste und der Angriffskrieg Russlands samt Gaskrise dem teils verpönten Steag-Geschäft neue Ertrags-Chancen bot. „Zufallsgewinn“ nennt Essens Stadtwerke-Chef Schäfer die explodierenden Erlöse der Steag – und resümiert ebenso erleichtert wie lakonisch: „Wir haben zu einem großen Teil einfach Glück gehabt.“

„Das war kein Dusel, sondern ein harter Restrukturierungs-Prozess“

Ganz so entwaffnend offen mögen nicht alle Vertreter der beteiligten Stadtwerke sein. Heike Heim, Vorstandschefin der Dortmunder Stadtwerke DSW21 und Aufsichtsratsvorsitzende der städteübergreifenden Beteiligungsgesellschaft KSBG, schrieb die Wiederauferstehung der Steag allenfalls „zu einem Drittel“ der im Geschäftsleben nun mal erforderlichen Fortune zu: „Das war kein Dusel, sondern ein harter Restrukturierungs-Prozess.“

Sechs Stadtwerke an einem Strang

Im Jahr 2011 kauften sieben Stadtwerke aus sechs Ruhrgebiets-Städten dem Evonik-Konzern zunächst eine 51 Prozent-Mehrheit am Energie-Unternehmen Steag ab. 2014 erfolgte dann die Komplett-Übernahme, weil sich kein internationaler Partner fand.

Am Konsortium beteiligt waren die Stadtwerke aus Dortmund mit 36 Prozent, Duisburg (19), Bochum (18), Essen (15) und Oberhausen sowie Dinslaken (je 6).

Nach drohender Pleite erfolgte die 2021 die Sanierung und jetzt der Verkauf an Asterion Industrial Partners aus Spanien.

Auch der Essener Stadtwerke-Chef Peter Schäfer, der die Steag-Beteiligung zuletzt schon auf einen Erinnerungswert von einem Euro buchstäblich abgeschrieben hatte, sieht den zuletzt eingeschlagenen Kurs, den Verkauf in professionelle Hände zu legen, als richtig an. Und zeigt sich froh, dass es weder den Versuch politischer Einflussnahme gab noch Überlegungen, den Verkaufsprozess angesichts der blühenden Steag-Aussichten kurzerhand wieder abzublasen.

280 Millionen Euro fließen Essens Stadtwerken zu – davon 51 Prozent für die Stadt

Und die Politik, die „zum Schluss immerhin keine Fehler mehr gemacht hat“, wie ein Beteiligter mit leisem Spott formuliert? Sie dürfte mit dem Ergebnis bestens leben können: Aus Aufsichtsrats-Kreisen der Stadtwerke Essen verlautet, die beteiligten kommunalen Versorger könnten nach Abzug der Schulden mit einem Erlös von 1,9 Milliarden Euro rechnen.

Auf Essen übertragen bedeutet dies: Inklusive der ausgesprochen üppigen Zinsen für das zuletzt ausgereichte Risiko-Darlehen fließen den Stadtwerken 280 Millionen Euro zu. Da der städtische Anteil an den Stadtwerken bei 51 Prozent liegt – den Rest teilen sich Westenergie (29 %) und Thüga (20 %) – bleiben mithin rund 140 Millionen Euro für die Stadtkasse hängen.

Erkenntnis für die Zukunft: Aus solchen Geschäften sollen sich Städte lieber raushalten

Der Großteil der Summe wird dabei erst 2025 ausgezahlt, mit der Ausschüttung fürs aktuell laufende Geschäftsjahr. Auch sonst sind die Zahlen derzeit noch mit etwas Vorsicht zu genießen, denn erst mit dem sogenannten „Closing“, also dem endgültigen Segen der Kartellbehörden zum Verkauf an Asterion, sind die Zahlen belastbar.

Peter Schäfer, Vorstandsvorsitzender der Stadtwerke Essen, ist sich sicher, dass das Steag-Abenteuer am Ende gut ausging, liegt an einem simplen Umstand: „Wir haben zu einem großen Teil einfach Glück gehabt.“
Peter Schäfer, Vorstandsvorsitzender der Stadtwerke Essen, ist sich sicher, dass das Steag-Abenteuer am Ende gut ausging, liegt an einem simplen Umstand: „Wir haben zu einem großen Teil einfach Glück gehabt.“ © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Was allerdings nicht nur für den Essener Stadtwerke-Chef Peter Schäfer feststeht: dass es für die Kommunen ratsam ist, sich aus Engagements vom Kaliber Steag künftig lieber herauszuhalten: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, heiße die Devise. Zum einen, weil den Städten die Steuerungs-Kompetenz für derlei komplexe Unternehmungen fehle. Und zum anderen, weil sie nicht über die nötige Finanzkraft verfügen: „Wie sollen denn“, fragt Schäfer, „Kommunen, die selbst nicht wissen, wie sie ihre Schlaglöcher stopfen sollen, große Energie-Investitionen tätigen?“

Essen bleibt auch nach dem Verkauf Sitz von Steag und der Erneuerbaren-Tochter Iqony

Asterion hat diese Substanz, weshalb Dietmar Spohn, Chef der Stadtwerke Bochum Holding sowie Koordinator der Noch-Steag-Eigner, sich nicht nur „zufrieden mit dem Verkaufserlös“ zeigt, sondern auch überzeugt ist, dass das Unternehmen mit seinen immerhin rund 5300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – davon 2800 in Deutschland – „in gute Hände“ abgegeben wird.

Nicht zuletzt, weil Nicole Hildebrand, Partnerin bei Asterion Industrial Partners, schon jetzt zusagen kann, dass der Firmensitz der Steag – fürs traditionelle Kraftwerks-Geschäft der Steag Power genauso wie für das Geschäft mit erneuerbaren Energien bei Iqony – in Essen bleibt. Im letzten Kapitel einer aufreibenden Geschichte also doch tatsächlich ein Happy End. Das las sich zwischendurch ganz anders.