Essen. Die Ruhrbahn sucht händeringend Personal für Bus und Bahn. Ist der Job echt so schlimm? Reportage: Was Fahrer an einem ganz normalen Tag erleben.
Bus- oder Bahnfahrer bei der Ruhrbahn – ist das echt so schlimm? Warum müssen Fahrten ausfallen, weil mittlerweile Personal fehlt? Warum ist die Zahl der Krankmeldungen dauerhaft viel zu hoch?
Was erleben Bus- und Bahnfahrer in Essen? Wir sind zwei Stunden lang an einem ganz normalen Morgen durch Essen gefahren und haben versucht, den Fahrern über die Schulter zu schauen.
Woran man als Fahrgast eigentlich nie denkt, wenn man einsteigt und während der Fahrt auf sein Handy starrt oder aus dem Fenster: Dem Fahrer darf’s ja nicht nur um den Bus gehen.
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Sondern es geht um den Bus und um die Fahrgäste drinnen und um die Leute draußen an den Haltestellen und den Kreuzungen, und es geht um den Verkehr vor dem Bus und hinter und neben dem Bus. Es geht um die Baustellen überall, für diese irre langen Busse ein extremes Hindernis, und dann, beim nächsten Halt, will einer wieder sein Einzelticket mit einem 100-Euro-Schein bezahlen.
Nach zwei Stunden ist klar: Es sind die vielen kleinen Stress-Geschichten, die Fahrgäste nicht mitbekommen
Was uns klar wurde nach zwei Stunden Bus- und Bahnfahrt durch Essen: Es sind wahrscheinlich gar nicht mal die großen Dramen, die den augenscheinlichen Stress bei Busfahrern ausmachen. Die Un- und Zwischenfälle, die in der Zeitung stehen. Dass draußen einer wirklich vors Fahrzeug läuft oder sich hinten jemand am helllichten Tag auf der letzten Bank übergibt. Oder die Übergriffe aufs Personal, auch die vielen, die gar nicht öffentlich werden. Nein, es sind die vielen kleinen Stress-Geschichten, die sich überall abspielen, und die die meisten Fahrgäste gar nicht mitbekommen.
Unser Protokoll von Mittwoch, 16. August: Um 7.35 Uhr baut der Bus der Linie 145 von Heisingen bis Haarzopf fast einen Unfall. Kaum einer kriegt’s mit. Der Bus hat gehalten, will sich wieder in den Verkehr auf der Heisinger Straße einreihen, da rauscht noch ein roter Lieferwagen an ihm vorbei, hupt, der Bus wollte gerade anfahren. Die Schulkinder im Bus haben die Köpfe über ihren Smartphones zusammengesteckt, sehen und hören nichts.
Um 7.40 Uhr will ein Rollstuhlfahrer an der Haltestelle Walpurgisstraße einsteigen, der Fahrer steigt aus und legt die Klapprampe an der hinteren Tür um. Nur langsam und widerwillig machen die Kinder und Jugendlichen Platz. Es fängt an zu regnen.
Schauplatz Haltestelle Paulinenstraße, Rüttenscheid: Um 7.45 Uhr wird ein Bus der Linie 161 Richtung Borbeck angezeigt. Bloß: Der kommt und kommt nicht, stattdessen halten drei 145er nacheinander. Wachsender Unmut unter den Fahrgästen, die an der Haltestelle im Nieselregen warten. Grimmige Gesichter, verkniffene Blicke. Die nächste 145 hält, ein Mann eilt zum Bus, aus dem Schülermengen strömen, quetscht sich in die Vordertür, die gerade schon schließt, und fragt den Fahrer: „Fahren Sie bis Haarzopf?“ – „Nein, nur bis Rathaus.“ Wortlos windet sich der Mann aus der halb geschlossenen Tür. Er bedankt sich nicht für die Auskunft.
Dreimal muss der Fahrer sagen, dass der Bereich vor der Tür frei bleiben muss
Dann kommt die 161 endlich, rappelvoll mit Kindern und Jugendlichen. 20 weitere steigen ein, der übervolle Bus quält sich in Richtung Rüttenscheider Straße. Ein roter Kleinwagen fährt vorweg, bremst plötzlich, der Busfahrer steigt in die Eisen, ein Ruck geht durch Fahrzeug und Menge. Immerhin: Niemand kippt um.
Bis zur Haltestelle Landgericht wird der Fahrer an jeder Haltestelle per Mikro in den Bus rufen: „Bitte die gelben Flächen an den Türen freimachen, sonst schließen die nicht!“ Am Landgericht leert sich der Bus in Sekundenschnelle.
Um 8.06 Uhr hält der Bus am Klinikum, ein Rentner mit Rollator steigt vorne beim Fahrer aus, obwohl das eigentlich verboten ist. Der Fahrer sagt nichts. Womöglich hat er Mitleid.
Um 8.09 Uhr schleicht der Bus durch die engen Straßen Holsterhausens, an der Windmühlenstraße steigt ein Vater ein, sein Kleinkind im Kinderwagen schreit. Zwei Mütter mit Kinderwagen wollen auch noch hinein – schweigend rangieren die Erwachsenen ihre Kinderwagen. Die Abfahrt verzögert sich.
Um 8.15 Uhr fragt ein Mann den Busfahrer, der sein Fahrzeug gerade am Frohnhauser S-Bahnhof gehalten hat: „Fährt der bis Bockmühle?“ – „Ja.“ Der Mann steigt wortlos ein.
Fragen, Bitten, Wünsche – ein „Danke“ hören die Fahrer selten
8.20 Uhr. An der Bockmühle kommt die Straßenbahnlinie 103 in Richtung Steele. Wir steigen um und ein in die 103. Die Bahn schiebt sich über die Altendorfer Straße, Stop and Go, Stau bis zur Kreuzung Helenenstraße. Ein weißer Renault Twingo quetscht sich vor die Tram, die Fahrerin muss bremsen. Schlagartig wird uns klar: Ganz schön blöd, dass so eine Straßenbahn nicht nach links oder rechts ausweichen kann. Wenig später versucht der Fahrer eines dunklen SUVs, sich vor die Tram zu drängeln – die Fahrerin fuchtelt mit der Hand und lässt die Warnklingel der Straßenbahn ertönen.
Man fragt sich, warum Straßenbahnen auch im Jahr 2023 noch keine vernünftigen Hupen haben gegen Drängler und Raser, sondern nur Klingeln, die überaus freundlich tönen. Ruhiger wird die Fahrt in der 103 erst dann, als – etwa ab Finanzamt – die Gleise nicht mehr mitten auf der Straße laufen, sondern ein eigenes Gleisbett haben, die Bahn also unabhängig vom Autoverkehr fahren kann. Dann rauscht die Tram in den Tunnel zum Berliner Platz.
8.42 Uhr – Umstieg in den Schnellbus 16 nach Bottrop: „Wir suchen Busfahrer*innen“, ist im Bus groß und deutlich auf einem Plakat zu lesen. „3000 Euro monatlich, je nach Zulagen und Sonntagsdiensten.“ An der Haltestelle Hafenstraße will ein Mann einsteigen, doch seine Frage ist kaum zu verstehen: „Halten Sie Niedereggstraße?“ Vielleicht sagt er auch: „Halten Sie Niederstraße?“ Die Fahrerin zuckt mit den Schultern: „Ich nicht.“ Sie will losfahren, da eilt noch ein anderer Mann im blauen T-Shirt zur Eingangstür, wird in letzter Sekunde hereingelassen. Er bedankt sich nicht.
9.07 Uhr: Umstieg in die Linie 170 nach Kray. Auf der Vogelheimer Straße muss der Bus zeitig bremsen, denn es ist schon von weitem sichtbar, dass der silberne Mercedes, der von links kommt, dem Bus die Vorfahrt nehmen wird. Der Fahrer vermindert sachte das Tempo. An der Haltestelle Altenessen-Mitte steigt eine Frau ein und hält nur ihr Handy hoch: „Halten Sie auch da?“ Sie hat offenbar die Haltestelle Portendieckstraße auf dem Display. Der Fahrer sagt freundlich „ja“.
Ein Mann mit Rollator steigt viel zu früh auf, der Wagen fährt an
An der nächsten Haltestelle gibt es keine Haltebucht für den Bus, das Fahrzeug steht auf offener Straße, mehrere Pkw hinter dem Bus wollen überholen, obwohl dichter Berufsverkehr herrscht. Ein Senior mit Rollator drückt den Halteknopf, erhebt sich schon, obwohl der Bus jetzt erst anfährt. Der Mann fällt fast um. Drei Minuten später, am Katernberger Markt, steigt er aus und schimpft, dass die Kante zwischen Fahrzeugboden und Bürgersteig so hoch ist – obwohl der Fahrer den Bus auf der Ausstiegsseite schon abgesenkt hatte, so weit es ging.
9.30 Uhr: An der Haltestelle Katernberger Markt sitzt eine Frau und redet laut mit sich selbst: „Gleich fahr’ ich nach Hause nach Altenessen“, ruft sie über den leeren Markt.
Sie wird sicherlich heile ankommen. Ist ja ein ruhiger Tag heute.
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