Essen. Die Krupp-Stiftung stellt mit ihrem Forschungsprojekt zur NS-Nähe von Alfried Krupp indirekt auch Berthold Beitz in ein neues Licht. Zu Recht?
Genau zehn Jahre ist es her, als Berthold Beitz hochbetagt starb und eine Ära endete. Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung legte jüngst am Todestag, dem 30. Juli, einen Kranz am Grab in Essen-Bredeney nieder und fand einmal mehr anerkennende Worte über die Lebensleistung des langjährigen Krupp-Konzernstrategen und Stiftungsvorsitzenden. So weit, so normal.
„Beitz war sehr bestrebt, ein möglichst unkritisches Bild von Alfried Krupp zu verankern“
Nahezu zeitgleich ließ die Stiftung vor einigen Wochen aufhorchen, als sie die vorläufigen Ergebnisse des Rechercheprojekts „Alfried Krupp und der Nationalsozialismus“ vorstellte und dabei der Name Beitz in einem durchaus kritischen Zusammenhang fiel. Es sei „hervorzuheben, dass vieles darauf hinweist, dass Beitz sehr bestrebt war, ein möglichst unkritisches Bild von Alfried Krupp in der Öffentlichkeit zu verankern“, heißt es in der Zusammenfassung des Historiker-Projekts, das die Stiftung initiierte, finanziell unterstützte und weiterhin unterstützen will.
Beginnt nach der Distanzierung vom Stifter Alfried Krupp nun auch eine differenziertere Betrachtung der Rolle von Berthold Beitz, der immerhin Krupps Generalbevollmächtigter und engster Vertrauter war? Was trieb Beitz an, als er unermüdlich dessen Rehabilitierung betrieb, obwohl er selbst zu den wenigen Deutschen gehörte, die in der NS-Zeit ihr Leben riskierten, um sich dem Staatsterror entgegenzustellen? Nicht nur ein biografisch grundierter Film über Beitz versuchte vor einigen Jahren, diesem vermeintlichen oder tatsächlichen Widerspruch auf die Spur zu kommen, blieb dabei allerdings in Küchenpsychologie stecken.
Fakt ist und bleibt: Berthold Beitz bewies in der NS-Zeit großen Mut
Fakt ist und bleibt: Berthold Beitz zeigte im Zweiten Weltkrieg großen Mut, als er als leitender Angestellter einer Erdölfirma im besetzten polnischen Galizien zahlreiche jüdische Mitarbeiter vor dem Tod bewahrte, indem er sie als unersetzliche Arbeitskräfte ausgab. Dies war ein Vorwand und wurde so auch von den lokalen Machthabern des NS-Mordapparats verstanden, was Beitz mehrfach in ernste Schwierigkeiten brachte.
Ganz anders Alfried Krupp, der einen ähnlichen Grad an persönlichem Mut zu keinem Zeitpunkt aufbrachte, ohne dass dies – soweit bekannt – mit ideologischer Nähe zum Nationalsozialismus zusammenhing. Erzogen in einem Geist der Loyalität zur staatlichen Obrigkeit, war es in seinem Denken vermutlich nicht vorgesehen, sein Handeln zumindest in Extremsituationen an eigenen humanitären Werten auszurichten – so wie Beitz es tat.
Trotz großer Unterschiede bedingungslose Loyalität zu Alfried Krupp
Gleichwohl hat Beitz, wenn es um Alfried Krupp ging, lebenslang eine geradezu bedingungslose Loyalität geübt, die kaum mit dem Vorgesetztenverhältnis zwischen diesen beiden grundverschiedenen Männern zu erklären ist, schon weil es dieses weit überdauerte. „Ich lasse nichts auf Alfried Krupp kommen, wer ihn kritisiert, bekommt es mit mir zu tun“, ließ er bei vielen Gelegenheiten so und in ähnlichen Worten wissen, die durchaus kämpferischen Charakter annehmen konnten.
Beitz erkannte offenbar an, dass Alfried Krupp aus seiner Biografie und Familienverpflichtung heraus ein Päckchen zu tragen hatte, das dieser nicht einfach abwerfen konnte. Er wollte dessen Persönlichkeit verstehen und ihn nicht verurteilen. Er hielt ihm vermutlich auch zugute, dass Alfried Krupp nach 1945 immerhin sechs Jahre in alliierter Haft verbringen musste und so gewissermaßen „genug“ gebüßt hatte.
Mit seinem guten Namen hat Beitz den Namen Krupp gleichsam imprägniert
Mit seinem eigenen guten Namen hat er den negativ belasteten Namen Krupp im Laufe von Jahrzehnten dann gleichsam imprägniert. In einer Art unerklärter Geschichtspolitik ließ er keine Gelegenheit aus, um Alfried Krupp, aber auch das in Teilen der Welt verfemte Unternehmen insgesamt in ein positives Licht zu rücken – und das mit beachtlichem Erfolg. Dank seines langen Lebens – er wurde 99 Jahre alt – und seiner Machtposition bis zum Schluss war ihm die dazu notwendige Zeit beschieden. Ein schönes symbolisches Beispiel dafür ist das Denkmal von Alfrieds Urgroßvater und Konzerngründer Alfred Krupp, das auf Beitz’ Initiative wieder an seinen herausgehobenen Platz in der Essener Innenstadt zurückkehren konnte.
Dabei muss ihn kein Masterplan geleitet haben, vielmehr tat Beitz wohl einfach, was ihm aus einem Bauchgefühl heraus richtig erschien. Beispielsweise initiierte und beförderte der Stiftungschef Buchveröffentlichungen, die sich um eine differenzierte Darstellung der Unternehmens- und Familiengeschichte bemühten, um als einseitig empfundene Betrachtungen in den Hintergrund zu schieben. Vor allem aber brachte und bringt das Mäzenatentum der finanzstarken Stiftung den Namen Krupp seit mehr als einem halben Jahrhundert mit Hunderten gemeinnützigen Initiativen in Verbindung, was nach dem Motto „Tue Gutes und rede drüber“ keineswegs unbemerkt blieb. Auch das hat den Imagewandel sehr befördert.
Gebäude nach einem verurteilten Kriegsverbrecher benannt, Büsten dazu obligatorisch
Bei besonders großen Sponsoring-Projekten hat Beitz den Stifter bewusst mit neuen Denkmälern ehren lassen. Der große Saal der damals faktisch neuerbauten Essener Philharmonie heißt seit 2004 nicht zufällig Alfried-Krupp-Saal. Auch der noble Kieler Yacht-Club residiert in einem Alfried-Krupp-Haus, das Wissenschaftskolleg in Greifswald trägt ebenfalls diesen Namen, selbstredend auch die kleine, von der Stiftung getragene Krankenhaus-Gruppe in Essen. Und an all diesen Orten unterstreichen noch Büsten von Alfried Krupp, wem diese Institutionen mit zu verdanken sind.
Berthold Beitz - biografische Daten
Berthold Beitz wurde am 26. September 2013 in Pommern geboren, er absolvierte eine Ausbildung als Bankkaufmann und erhielt zu Beginn des Zweiten Weltkrieges leitende Positionen bei Unternehmen, die unter dem Schutz der Wehrmacht in Polen Ölvorkommen ausbeutete. In dieser Zeit rettete er vielen Juden das Leben, indem er ihre Arbeit als kriegsnotwendig deklarierte, was oft ein Vorwand war.
Nach dem Krieg wechselte Berthold Beitz zunächst in leitender Funktion in die Versicherungswirtschaft und lernte in Hamburg Alfried Krupp kennen, der ihn 1953 zum Generalbevollmächtigten der Firma Krupp machte. Nach dem Tod des letzten Alleininhabers und der Gründung der Krupp-Stiftung wurde Beitz Kuratoriumsvorsitzender und nahm in dieser Funktion die Eigentümerrechte wahr.
Obwohl die Krupp-Stiftung im später fusionierten Thyssenkrupp-Konzern nur noch einen sinkenden Minderheitsanteil hielt, war Berthold Beitz dank seines Ansehens bis zuletzt die prägende und entscheidende Figur des Unternehmens. Er starb am 30. Juli 2013, kurz vor seinem 100. Geburtstag.
Es dürfte einmalig in Deutschland sein, dass einem 1947 als Kriegsverbrecher verurteilten Mann noch in jüngerer Zeit so viele Ehren zuteil wurden. Mag das Urteil des Nürnberger US-Gerichts auch angreifbar und von negativen Mythen munitioniert gewesen sein, was auch die USA später selbst inoffiziell einräumten – offiziell revidiert wurde es eben nie. Interessiert hat das aber lange kaum jemanden sonderlich, es schien allgemeine Erkenntnis zu sein, dass dieses Urteil keine besondere Relevanz besitzt.
Vielleicht noch erstaunlicher, dass die in Fragen der NS-Belastung besonders sensible, zum Teil auch skandalisierungsbereite deutsche Öffentlichkeit die Rehabilitierung Alfried Krupps bisher ohne nennenswerten Protest zur Kenntnis nahm. Ohne die Autorität von Berthold Beitz wäre all das schwer vorstellbar gewesen. Diese wurde immer größer und unanfechtbarer, je mehr über seine eigene vorbildliche Rolle in der NS-Zeit bekannt und natürlich in vielen Medien berichtet wurde.
Auch Beitz stellte nach 1945 NS-Belastete ein
Hatte Beitz keine Bedenken? Wir wissen das nicht. Er mag so gedacht haben wie viele andere, die nach 1945 eine weiße Weste hatten und in wichtige Positionen in Politik und Wirtschaft aufrückten: Sie wussten oder glaubten zu wissen, dass ohne die vielen Braunbefleckten ein Neuanfang nicht funktionieren würde und hofften, dass diese aus der Katastrophe gelernt hatten. Sie empfanden ihr Handeln einfach als pragmatisch und ideologiefrei.
Ex-Gestapo-Mann einen Posten bei Krupp in Brasilien verschafft
Folglich hat auch Beitz nach dem Krieg Männer eingestellt, die sich in der NS-Zeit schuldig gemacht hatten, schrieb der Journalist Norbert F. Pötzl im Jahr 2011 in einer kritischen Biografie über ihn. Dem Gestapo-Beamten Karl-Heinz Bendt, einem Freund aus Greifswalder Jugendtagen, der ihn 1943 nach einer Denunziation wegen „Judenfreundlichkeit“ hatte laufenlassen, verschaffte er später einen Posten bei Krupp in Brasilien. Für diese Form von Dankbarkeit brachte aber selbst Pötzl Verständnis auf, denn Bendt hätte Beitz wohl genauso gut in einem Konzentrationslager hätte verschwinden lassen können.
In Gerichtsprozessen in den 1950er und 1960er Jahren sagte Beitz Entlastendes zugunsten des SS-Offiziers Friedrich Hildebrandt aus, ein Lagerkommandant, den er aus seiner Zeit als Erdöl-Manager in Galizien kannte. Hildebrandt, der wegen mehrfaches Mordes angeklagt war, habe ihm durch bewusstes Wegschauen seine Rettungsaktionen erst möglich gemacht, gab Beitz zu Protokoll. Vorwürfe eines zu großen Verständnisses konterte Beitz so: Er könne nur das aussagen, was er gesehen habe. Hildebrandt wurde dennoch zu lebenslanger Haft verurteilt.
Alfried Krupp hat sich sowohl vor wie nach 1945 mit politischen Äußerungen sehr zurückgehalten, für einen Wandel in seinem Denken gibt es ebenso wenig belastbare Hinweise wie für Kontinuität. Irritierend ist aber die auch im Rechercheprojekt herausgehobene Tatsache, dass er ehemalige Mithäftlinge, darunter auch fanatische Nationalsozialisten, nach deren Freilassung im Rahmen der „Landsberghilfe“ wohlwollend unterstützte. Warum ist unklar und ebenso, ob Beitz davon wusste. Der hatte sich in Einzelfällen, wie erwähnt, aber durchaus ähnlich verhalten.
Die Stiftungschefin und die mögliche Umbenennung der Stiftung
Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung hat nun jedenfalls einen Paradigmenwechsel eingeleitet, auch wenn sie selbst das nicht in der begrifflich gebotenen Klarheit so nennen mag. Dass Beitz’ Nachfolgerin als Stiftungsvorsitzende, Ursula Gather, bei der Vorstellung des Rechercheprojekts auf Nachfrage erklärte, man könne Alfried Krupp sehr wohl als „Nazi“ bezeichnen und die Stiftung erwäge zudem sogar, ihren Namen zu ändern, ist aber nicht nur eine deutliche Distanzierung vom Stifter.
Es ist letztlich auch ein teilweiser Bruch mit der Ära Beitz, für den Alfried Krupp eben der Leitstern war, und das galt auch und gerade für die Stiftungsarbeit. Dieser Bruch ist durchaus legitim, wenn man wie Gather der Meinung ist, dass heute manches anders zu bewerten ist als vor zehn oder mehr Jahren. Vielleicht wäre es aber transparenter, dies dann auch deutlich zu sagen.