Essen. Die Krupp-Stiftung hat sich von ihrem Gründer distanziert – und erwägt auch eine Namensänderung. Historiker: Bezeichnung „Nazi“ ist unterkomplex.
Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung hat sich von ihrem Gründer aufgrund seiner Rolle im Nationalsozialismus distanziert. Stiftungsvorsitzende Ursula Gather räumte am Freitag (14.7.) anlässlich der Vorstellung der Ergebnisse eines historischen Rechercheprojekts ein, dass Alfried Krupp „ein Nazi“ gewesen sei. Zwar gebe es bislang kein schriftliches oder mündliches Bekenntnis von Alfried Krupp zur nationalsozialistischen Ideologie, doch fehle bis zu seinem Tod im Jahr 1967 eben sowohl ein klares Bedauern als auch eine persönliche Aufarbeitung seiner Rolle in der NS-Zeit.
Stiftung vollzieht eine Abkehr von Berthold Beitz’ Haltung zu Alfried Krupp
Die Distanzierung, die die Stiftung selbst nicht als solche benannt wissen will, ist eine deutliche Abkehr von der Haltung in der Ära Berthold Beitz, der von 1968 bis zu seinem Tod im Jahr 2013 über Jahrzehnte der Krupp-Stiftung vorstand. Der Marburger Historiker Prof. Eckart Conze attestierte Beitz, dieser sei bestrebt gewesen „ein möglichst unkritisches Bild von Alfried Krupp in der Öffentlichkeit zu verankern“, heißt es in der Zusammenfassung des Rechercheprojekts, das die Stiftung initiierte sowie finanziell wie ideell unterstützte.
Dass Alfried Krupp als Vorstandsmitglied und ab 1943 als Alleineigentümer des Essener Stahlkonzerns in die Verbrechen der NS-Zeit verstrickt war, ist im Grundsatz und auch auf Basis vieler Details lange bekannt. Gather zufolge stelle aber jede Generation „neue Fragen“ in Bezug auf den Nationalsozialismus. Immer wieder beträten zumal junge Leute die Villa Hügel mit Unbehagen, weil sie schwere Verbrechen als Grundlage des hier zu betrachtenden Reichtums vermuteten. Daher habe sich auch die Stiftung, die Alfried Krupps Namen trägt, veranlasst gesehen, eine neue Phase der Aufarbeitung einzuläuten.
Eckart Conze betonte, die Sichtung und Auswertung von teils bisher unbekannten oder wenig beachteten Quellen habe noch zu „keinem abschließenden Ergebnis“ zur NS-Verstrickung von Alfried Krupp geführt. Ihn als „Nazi“ zu bezeichnen, sei vielleicht nicht falsch, jedoch „unterkomplex“.
Aber das lang Bekannte und neu Entdeckte sei doch so gravierend, dass vertiefte Studien lohnend erschienen, wie auch eine Diskussion der bisherigen Ergebnisse mit renommierten Historikern ergeben habe. Das sieht auch die Stiftung so, die das Forschungsprojekt weiterhin finanziell unterstützt will. Ziel ist es, ein Buch herauszugeben, in dem sich mehrere Fachhistoriker mit ihren Beiträgen von unterschiedlichen Perspektiven aus der Person von Alfried Krupp nähern sollen. Bisher gibt es keine Biografie über den letzten Alleininhaber des Unternehmens.
Ob die Stiftung ihren Namen ändert, sei noch nicht entschieden
Noch nicht entschieden sei, ob die Stiftung den Namen ihres Gründers künftig weiterhin tragen wird. „Wir werden sehen“, sagte Ursula Gather dazu. Diese Frage werde beantwortet, wenn weitere Erkenntnisse vorlägen. Einen etwas anderen Akzent als die Stiftungschefin setzte beim Umbenennungsthema Volker Troche, Vorstandsmitglied der Stiftung: „Das Beibehalten des Namens kann eine Chance sein, mit diesem Namen Geschichte zu erklären.“
Das gelte zumal, weil die Stiftung mit ihrem vom Gründer auferlegten gemeinnützigem Stiftungszweck viel Gutes geleistet hätte und auch zur Aussöhnung zwischen Israel und Deutschland beitrug. Mit gutem Willen, so mochte man zwischen den Zeilen hören, ließe sich das als unausgesprochene Bitte Krupps um Vergebung interpretieren.
Er sei daher derzeit gegen eine Umbenennung. Allerdings könne „das Ganze auch kippen“, räumte Troche ein. Er sei zwar zuversichtlich, dass das nicht passiere. Dennoch: „Wenn unser Geschäft, wenn unser Auftrag der Gemeinnützigkeit gefährdet ist durch diesen Namen, muss man sich diese Frage in den Gremien stellen.“
Verzicht auf Umbenennungen könne „produktive Irritation“ bewirken
Auch Eckart Conze, der als Fachgutachter häufiger mit den in Deutschland grassierenden Umbenennungen von Straßen, Plätzen und Gebäuden zu tun hat, äußerte sich zurückhaltend: Es könne durchaus so etwas wie „produktive Irritation“ entstehen, wenn man die Namen umstrittener Persönlichkeiten nicht entferne, sondern aushalte. „Allerdings gibt es Grenzen.“ Ob sie hier erreicht seien, ließ er offen.
Die bisherigen Erkenntnisse Conzes und seines Mitarbeiters Jens Brüggemann basieren auf einer Sichtung von überwiegend schriftlichen Quellen in zahlreichen Archiven, von denen das Historische Archiv Krupp sich laut Darstellung des Wissenschaftlers als am ergiebigsten erwies. Dort habe man im übrigen völlig frei und unbeeinflusst arbeiten können.
Krupp wurde begnadigt, aber das Kriegsverbrecher-Urteil nie revidiert
Bekannt ist selbstverständlich, dass Alfried Krupp 1947 von amerikanischen Richtern in Deutschland vor allem wegen Förderung der Zwangsarbeit zu zwölf Jahren Haft und Einzug seines Vermögens verurteilt, im Jahr 1951 aber vorzeitig begnadigt wurde. Neben außenpolitischen Beweggründen, hing die Freilassung auch damit zusammen, dass den maßgeblichen US-Stellen gerade im Fall Krupp die Urteilsbegründung als nicht mehr sonderlich stichhaltig erschien, um eine lange Haft zu rechtfertigen. Das „Kriegsverbrecher“-Urteil wurde allerdings offiziell nie revidiert.
Fakt bleibe, dass Alfried Krupp keine erkennbaren Skrupel hatte, Zwangsarbeiter einzusetzen, betont Conze. Das gelte auch für KZ-Häftlinge. „Die Verfügbarkeit solcher Häftlinge war Krupp für die Standortwahl von Fabriken wichtig.“ So habe sich die Essener Traditionsfirma aktiv um den Bau einer Zünderfabrik in Auschwitz bemüht, den Zuschlag erhielt dann aber ein anderes Unternehmen, was in Essen Verdruss ausgelöst habe.
Bereits 1931 förderndes Mitglied der SS - die Gründe sind unklar
Bekannt ist auch, dass der zu diesem Zeitpunkt 24-jährige Alfried Krupp bereits im Jahr 1931 als förderndes Mitglied der SS beitrat und dies bis 1939 blieb, als die Förderorganisation kriegsbedingt aufgelöst wurde. Im Krupp-Prozess hat er den Beitritt als persönlichen Gefallen dargestellt: Der spätere Essener Polizeipräsident Karl Zech und der befreundete Unternehmer Wilhelm Tengelmann hätten ihn darum gebeten. Identifiziert mit den politischen Zielen der NS-Organisation habe er sich nicht.
Laut den Ergebnissen des Rechercheprojekts spreche indes „alles dafür, dass Krupp wusste, wen und was er mit seiner Fördermitgliedschaft unterstützte und das nachträglich zu bagatellisieren suchte“. Andererseits führte auch die neue Quellensichtung zu keiner hieb- und stichfesten Klärung dieser Episode: „Die Gründe für den Beitritt bleiben offen“, so Conze am Freitag in Essen.
Hitler persönlich forderte Krupps Eintritt in die NSDAP
Etwas mehr weiß man jedoch nun über den Eintritt von Alfried Krupp in die NSDAP, die im Jahre 1938 im Zusammenhang mit seiner Berufung in den Krupp-Vorstand erfolgte – Chef des Unternehmens war zu dieser Zeit noch sein Vater Gustav Krupp. „Der Parteieintritt ging auf den ausdrücklichen Wunsch, wenn nicht die Weisung durch Hitler zurück“, so Conze.
Das Unternehmen Krupp mit seinem Mythos („hart wie Kruppstahl“) war dem deutschen Diktator sehr wichtig, was das Verlangen nach besonderer Linientreue plausibel erscheinen lassen würde. Conze attestiert Alfried Krupp jedenfalls, sich nicht aktiv um die NSDAP-Mitgliedschaft bemüht zu haben. Andererseits könne weder dies noch der späte Eintritt erst fünf Jahre nach der Machtübernahme automatisch als Distanzierung zum Regime interpretiert werden.
Die Hilfe für ehemalige Mithäftlinge – darunter Verbrecher – war bedeutsam
Erhellend und in den Dimensionen überraschend war für die Historiker das Verhalten Alfried Krupps nach der Entlassung aus der Landsberger Haftanstalt 1951. „Alfried Krupp hat eine ganze Reihe ehemaliger Mithäftlinge aktiv unterstützt“, so Conze. Darunter seien auch Männer gewesen, die sich im Zweiten Weltkrieg etwa als Einsatzgruppenleiter der SS schlimmster Verbrechen schuldig gemacht hätten. Die Unterstützung sei vielfältig gewesen: „Bargeld, Kredite oder der Versuch, ihnen Arbeitsplätze zu verschaffen.“
Eckart Conze, der als Experte für die Wirkungsgeschichte des Nationalsozialismus gilt, nimmt für sich und seinen Mitarbeiter Brüggemann in Anspruch, bei diesem Thema zu echten Neuerkenntnissen gelangt zu sein, wobei einmal mehr die Frage nach den Motiven offen bleibt. Alfried Krupp hat sich – soweit bisher bekannt – auch in diesem Punkt nie klar geäußert. Ebenfalls unbekannt ist bislang, ob sein engster Vertrauter und Generalbevollmächtigter Berthold Beitz von diesen Vorgängen wusste, und wenn ja was.
Er selbst fühlte sich zu Unrecht inhaftiert, möglich, dass er dies automatisch auch anderen „Landsbergern“ zugute hielt, zumal in einem gesellschaftlichen Klima, das noch lange auf Vergessen und Verdrängen setzte. Auch bei diesem Thema sieht Conze Anknüpfungspunkte zu weiteren Forschungen, die dann teilweise wegführen würden vom alleinigen Fokus auf die Person Alfried Krupp und hin zum Phänomen der weitgehenden NS-Verdrängung in der Nachkriegszeit in Deutschland.
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