Essen. Mieter von Covivio in Essen sollen bis zu 2000 Euro Heizkosten nachzahlen. Wie die hohen Summen zustande kommen, lässt sich kaum nachvollziehen.

Mieterverbände in Essen sind seit Wochen alarmiert: Mehrere Mieter des Großvermieters Covivio haben sich hilfesuchend an sie gewandt. Grund sind teils horrende Heizkosten-Nachzahlungen, die das Unternehmen verlangt. Ein Mieter hat sich auch bei der Redaktion gemeldet.

Die Kosten für Fernwärme haben sich bei den Betroffenen zum Teil mehr als verdoppelt, obwohl sie etwa gleich viel oder weniger als im letzten Abrechnungszeitraum verbraucht haben. Anke Eymann-Kapser, Vorsitzende des Mietervereins Essen (MVE), hat unter anderem einen Fall auf ihrem Tisch liegen, bei dem der Mieter nun nahezu 2000 Euro nachzahlen soll. „Das ist einfach unglaublich“, meint die Rechtsanwältin. Zumal sich Fernwärme im Durchschnitt längst nicht so stark verteuert habe. In einer anderen Covivio-Liegenschaft in Rüttenscheid hätten sich die Heizkosten binnen eines Jahres sogar nahezu vervierfacht, sagt Eymann-Kapser. „Viele Mieter können das nicht einfach so zahlen.“

Essener Covivio-Mieterin mit Nachzahlung überfordert

Einen ähnlichen Härtefall vertritt die Mietergemeinschaft Essen. Die Mieterin, die in Holsterhausen lebt, zahlte im Jahr 2020/2021 Heizkosten von 964 Euro. Obwohl ihr Verbrauch gesunken ist, flatterte ihr nun eine Heizkosten-Rechnung über rund 2150 Euro ins Haus. Für sie bedeutet das unterm Strich eine Nachzahlung von 1100 Euro. „Das kann die Frau nicht auf einen Schlag leisten“, sagt die Geschäftsführerin der Mietergemeinschaft Siw Mammitzsch. Obendrein sollen die betroffenen Mieter nun auch deutlich höhere Abschläge zahlen.

Covivio, vormals Immeo Wohnen, gehört mit 5750 Wohnungen in Essen zu den größeren Vermietern. In allen Fällen, die den Mieterverbänden und der Redaktion jetzt vorliegen, werden die Häuser mit Fernwärme geheizt. Wie Covivio auf Nachfrage mitteilte, wird diese vom örtlichen Erzeuger, der Steag geliefert. Covivio hat allerdings ein Tochterunternehmen Acopio dazwischengeschaltet. Das kümmert sich um den Einkauf der Fernwärme und die Abrechnung. Mit 3950 Haushalten bezieht der überwiegende Teil der Covivio-Mieter Fernwärme.

Dazu gehört auch Thomas Schulz*. Er hat sich über die hohe Nachforderung von 600 Euro für seine kleine Wohnung mehr als gewundert. Er forderte Covivio auf, die entsprechenden Lieferverträge offenzulegen – ein verbrieftes Recht, das Mieter haben. Denn Vermieter dürfen nur die Heizkosten an ihre Mieter weitergeben, die tatsächlich angefallen sind. Bereichern dürfen sie sich daran nicht. Auch Mieterverein wie Mietergemeinschaft haben deshalb von Covivio Einsicht in die Lieferverträge verlangt.

Keine Einsicht in Lieferverträge mit der Steag

Was ihnen das Wohnungsunternehmen allerdings vorgelegt hat, verärgert die Mietervertreter. Bisher hat Covivio nur den Vertrag herausgegeben, den das Unternehmen mit seiner Tochter Acopio abgeschlossen hat. Zu welchen Preis wiederum Acopio die Fernwärme bei der Steag eingekauft hat, hält sie unter Verschluss. „Damit fehlen weiterhin wichtige Angaben, um die Abrechnung nachvollziehen zu können“, kritisiert Siw Mammitzsch.

Es bleibt für die Mieter somit im Dunkeln, woher die immense Preissteigerung kommt. Auf Nachfrage macht Covivio ausschließlich den Ukraine-Krieg und die Energiekrise mit explodierten Preisen dafür verantwortlich. Tatsächlich ist zwar auch Fernwärme deutlich teurer geworden. Aber in dem Maße wie sie Covivio von den Mietern nun fordert?

Mieter Thomas Schulz hat daran Zweifel. Der Vermieter hat bei ihm einen Arbeitspreis von 15,1 Cent pro Kilowattstunde (kWh) netto für den Zeitraum Oktober 2021 bis Ende September 2022 abgerechnet. Die Verbrauchseinheit ist somit fast 150 Prozent teurer als in der Heizperiode davor. „Dieser Preis wurde mir – auch auf mehrfache Nachfrage – bis heute nicht aufgeschlüsselt bzw. das Zustandekommen in irgendeiner Form näher erläutert“, beklagt Thomas Schulz.

Steag-Preise im Stadtgebiet sind deutlich günstiger

Seltsam auch: Die Steag kassierte im besagten Zeitraum deutlich weniger von ihren „normalen“ Kunden im Stadtgebiet. Nach mehreren Erhöhungen berechnete sie im Juli 2022 einen Netto-Arbeitspreis von 7,88 Cent/kWh. Zahlte die Covivio als Großabnehmer also weitaus mehr für die Fernwärme, als ein einzelner Hausbesitzer? Wie kann das sein?

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Auf Nachfrage bringt die Covivio zumindest etwas Licht ins Dunkel. So seien die betroffenen Häuser vor einigen Jahren von Erdgas auf Fernwärme umgestellt worden. Da Gas damals günstig war, sollten die Mieter durch den Schritt nicht mehr bezahlen müssen. Also schloss man mit der Steag offenbar einen Vertrag ab, der sich stark am Gaspreis orientierte. Was zunächst vorteilhaft für die Mieter war, entpuppte sich in der Energiekrise mit explodierenden Gaspreisen nun als Nachteil.

Mittlerweile scheint auch der Covivio klar zu sein, dass die dadurch verursachten Preissprünge viele ihrer Mieter überfordern. Wie die Sprecherin erklärte, nimmt das Wohnungsunternehmen seine Verträge gerade unter die Lupe. Die Analyse dauere noch an. Das Wohnungsunternehmen habe außerdem Kontakt zur Steag aufgenommen, um „entsprechende Handlungsoptionen“ auszuloten, heißt es.

Gegenüber betroffenen Mietern will sich Covivio zunächst kulant zeigen: „Falls Mieter und Mieterinnen die Nachzahlung im Moment nicht leisten, werden wir bis zur endgültigen Klärung nicht auf die Nachzahlung bestehen“, betonte die Sprecherin.

Auch Thomas Schulz hat seine Nachzahlung noch nicht überwiesen. Er will solange nicht zahlen, bis das Unternehmen für volle Transparenz sorgt, sagt er. „Ich habe bisher keine Rückmeldungen zu meinen Fragen seitens des Vermieters bekommen.“ Dafür aber lag eine Aufforderung im Briefkasten, die fällige Nachzahlung zu leisten. Von der angekündigten Kulanz also ist bei ihm noch nichts angekommen. *Name geändert

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