Emmerich. Gisela und Norbert Kohnen aus Emmerich haben ein Buch veröffentlicht. Eine Edition von Briefen, deren Inhalt unter die Haut geht.
„Man hat uns alles genommen, nur das nackte Leben haben wir gerettet.“ Es ist ein Zitat, das unter die Haut geht. Thea Nathan schreibt am 28. Juni 1948 in Elmhurst/USA diese Worte. Sie stehen in einem Brief an ihren Nachbarn in Emmerich am Rhein. Thea Nathan ist eine Überlebende des Holocaust – und ihr Brief ein wichtiges Dokument seiner Zeit.
Der Brief von Thea Nathan ist nur einer von an die 750 Briefen und Karten, die in fünf Leitz-Ordnern in Klarsichthüllen abgeheftet sind. Es ist ein gut gehütetes Erbe. Denn es sind die Korrespondenzen des 2016 verstorbenen Emmerichers Herbert Schüürman mit ehemaligen jüdischen Mitbürgern und deren Nachfahren. Das Emmericher Ehepaar Gisela und Norbert Kohnen hat sie gesichtet, sortiert, gelesen und nun ein besonderes Buch daraus gemacht. „Nur das nackte Leben“ lautet sein Titel. Es ist über 100 Seiten stark und es enthält kurze Inhaltsangaben der Briefe und Karten, die bislang nur in Ordnern schlummerten.
Mehr als ein einfaches Verzeichnis
„Das Thema ist aktuell in den Nachrichten. Viele kämpfen auch heute um das nackte Überleben“, sagte Herbert Kleipaß, Vorsitzender des Emmericher Geschichtsvereins, anlässlich der Vorstellung des Buches.
Bereits 2021 hatte sich das Ehepaar Kohnen an die Arbeit gemacht. Doch zunächst mit einem anderen Ziel. Ursprünglich war nur ein einfaches Verzeichnis der Briefe für das Schüürman-Archiv im PAN vorgesehen, das von der Bürgeraktion Pro Kultur im Auftrag der Stadt Emmerich verwaltet wird.
Ein Schatz an Lebenserfahrungen
Doch als er und seine Frau mitten in der Corona-Pandemie die Briefe durchgelesen und die kurzen Zusammenfassungen in PC und Laptop tippten, „da wurde uns erst so richtig bewusst, welchen Schatz an Lebenserfahrungen wir da vor uns hatten. Und wir fanden, dass dieser Schatz es wert sei, einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht zu werden, und so reifte der Plan, eine kommentierte Edition daraus zu erstellen“, berichtet Norbert Kohnen.
Vom Buch und Briefen
Herbert Kleipaß hatte die Idee, eine englische Version des Buches auf die Homepage des Geschichtsvereins (www.emmericher-geschichtsverein.de) einzustellen. Das Ehepaar Kohnen übersetzte das Buch und legte es George Nathan in Atlanta/USA zur Korrektur vor. So haben nun noch mehr Interessierte Zugang zu diesem Schatz. Mit an dem Buch arbeiteten außerdem Hans Friedrichs und Gaby Boch (Redaktion) und Konrad Flintrop (Satz & Gestaltung).
Die Mitglieder des Geschichtsvereins, die zuvor ihr Interesse bekundet hatten, erhalten das Buch gratis, ansonsten ist es zum Selbstkostenpreis für 15 Euro im Rheinmuseum erhältlich.
Die kompletten Briefe sind inzwischen dank des Emmericher Stadtarchivs digitalisiert worden und sind im Eigentum der Stadt Emmerich. Nach vorheriger Anmeldung können die Originalbriefe im Schüürman-Archiv im PAN eingesehen werden.
Eine gute Überlegung: Denn die Briefe spiegeln dramatisch verlaufene Lebensläufe, Sorgen, Existenzängste, große und kleine Tragödien wider. Aufgerollt wird das jüdische Leben in Emmerich, das in den 30er Jahren von zunehmender Diskriminierung, Schikanen, Ausbeutung, Ausgrenzung und zuletzt Flucht auf zum Teil abenteuerlichen Wegen gekennzeichnet war. „Emmerich war wahrlich, was das angeht, keine Insel der Glückseligen“, sagt die Pro Kultur-Vorsitzende Irene Möllenbeck.
Handschriften als Herausforderung
Die Briefe erzählen vom unmenschlichen Alltag im Getto Riga, aber auch von der Rettung durch die Weißen Busse und einem oft beschwerlichen Neuanfang im Exil. „Einige blickten im Zorn auf Emmerich zurück und wollten mit ihrer Heimatstadt nichts mehr zu tun haben. Nicht so Felix und Regina Nathan aus Anniston/Alabama“, erzählt Norbert Kohnen. Sie bedankten sich 1961 beim damaligen Bürgermeister Pieper für die Glückwünsche zur Goldhochzeit und schrieben: „Wir sind stets noch mehr als 100 % mit unserem lieben Emmerich verbunden.“
Eine Herausforderung stellten die unterschiedlichen Handschriften dar, in die sich die Autoren hineinlesen mussten: „Manchmal war die Schrift so klein, dass wir ein Vergrößerungsgerät zu Hilfe nehmen mussten“, erinnert sich Gisela Kohnen. Gut, dass ihnen das Entziffern gelungen ist. Denn dass Schüürman diese Briefe für die Nachwelt erhalten hat, ist mehr als glücklich. Dass sie nun auch für immer archiviert und noch dazu in einem Buch gesondert zu Ehren kommen ebenso.
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