Emmerich. Am 7. Oktober 1960 kommt es auf dem Rhein bei Emmerich zu einem Zusammenstoß zwischen der Hochseefähre Tina Scarlett und dem Tankschiff Diamant.

Am Abend des 7. Oktober 1960 feiert Alfred Hitchcocks neuster Film Psycho seine Deutschland-Premiere in den Kinos der Bundesrepublik. In Emmerich hat es den Tag über schon echten Horror gegeben. Auf dem Rhein ist zu einem Zusammenstoß zwischen der zu Tal geschleppten dänischen Fähre Tina Scarlett und dem mit Benzin beladenen Tankschiff Diamant gekommen.

Der 7. Oktober ist der Schicksalstag der Stadt Emmerich

Die brennenden Wracks treiben auf dem Rhein.
Die brennenden Wracks treiben auf dem Rhein. © Privat | Privatarchiv

Heute vor 60 Jahren ereignet sich die Katastrophe auf dem Rhein, bei der zwei Menschen getötet und 22 Personen zum Teil schwer verletzt werden. Der 7. Oktober ist damit sicherlich so etwas wie der Schicksalstag der Stadt Emmerich. Denn 16 Jahre vor der Havarie war die Stadt bekanntlich bei einem Bombenangriff in Flammen aufgegangen.

Schaulustige an der Rheinpromenade

Und auch in den Nachmittagsstunden des 7. Oktober wird die Lage mehr als kritisch. Die vielen Schaulustigen auf der Rheinpromenade ahnen nicht, in welch großer Gefahr sie sich befinden. Die Nachricht der Havarie bei Rheinkilometer 852 verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Nach der letzten Schulstunde zieht es auch viele Schüler an den Rhein.

Gegen 13.20 Uhr befindet sich die Tina Scarlett, eine 87 Meter lange Hochseefähre eines dänischen Reeders, in Begleitung von zwei Schleppern auf ihrer Jungfernfahrt von Köln nach Rotterdam, als sie aus dem hydraulischen Ruder läuft, nach Backbord schert und das niederländische Tankmotorschiff Diamant rammt. 800 Tonnen brennendes Leichtbenzin verwandeln den Rhein in ein Flammenmeer. Elf Schiffe werden in das Unglücksgeschehen hineingezogen.

Rettungskräfte im Dauereinsatz

Die Rettungskräfte sind an diesem Nachmittag im Dauereinsatz. Als ob das flammende Inferno nicht schon schlimm genug wäre, ist die ganz große Gefahr in nur einigen hundert Metern Entfernung. Dort ist das Munitionsschiff Emilia vor Anker gegangen. Als das Ausmaß der Katastrophe sichtbar wird, lichtet die Emilia blitzschnell den Anker und entfernt sich in Sicherheit. Denn die brennenden Schiffswracks treiben durch die Strömung Richtung St. Martini-Kirche.

Feuerwehr fehlt der Funk

Insgesamt elf Schiffe werden in das Unglücksgeschehen hineingezogen. 50 Feuerwehrmänner der Löschzüge Emmerich, Vrasselt und Hüthum sind im Einsatz und löschen beispielsweise die mit Baumwolle beladene Kobota. In seinem Einsatzbericht an die Kreisverwaltung Rees merkt der Kreisbrandmeister kritisch an, dass sich der „Mangel an Schaumlöschmitteln stark bemerkbar“ gemacht habe und noch in der Nacht von der BP-Raffinerie aus Bucholtwelmen und aus dem Kreis Kleve beschafft werden musste. „Ferner würde ein Funksprechanlage bedeutend zur Erleichterung des Einsatzes beigetragen haben.“

70 Personen können aus dem Inferno gerettet werden

Der Moment kurz vor dem Zusammenstoß, als die Tina Scarlett aus dem hydraulischen Ruder läuft.
Der Moment kurz vor dem Zusammenstoß, als die Tina Scarlett aus dem hydraulischen Ruder läuft. © Privat | Privatarchiv

Dennoch können dank des Einsatzes der Helfer 70 Personen dem Inferno auf dem Rhein entkommen. Für ihren Mut zeichnet Ministerpräsident Franz Meyers im Januar 1963 sechs Emmericher und vier Niederländer aus: Wasserbauwerkerlehrling Dieter Unkrig und Schiffsführer Ernst Tenbörg (beide Wasser- und Schifffahrtsamt Emmerich), Bootsführer Artur Tinnemeyer vom Spidodienst und Bootsführer Wilhelm Derksen vom Pflanzenschutzamt, Hauptmeister Herbert Klucken und Hauptwachtmeister Otto Brehm von der Wasserschutzpolizei, Schiffsführer Antonie Bakkeren und seine Frau Antonia Hendrika aus Rotterdam sowie Schiffsführer Anton van Bommel und sein Sohn Henk aus Lobith erhalten die Rettungsmedaille des Landes NRW.

Havarie hat in mehrer Hinsicht ein Nachspiel

Gleich in mehrer Hinsicht hat die Havarie ein Nachspiel. Am 7. Juni 1963 meldet die NRZ, dass die „Rheinschiffer aufatmen können“. Denn das unterhalb von Emmerich auf dem Grund des Rheins liegende Wrack der Tina Scarlett wurde zwei Tage zuvor von deutschen und holländischen Kräften geborgen. Das Wrack wird dann am Ufer unterhalb der Ölmühle Spyck aufs Trockene befördert.

Die Glocke der Tina Scarlett hängt im Rheinmuseum. 
Die Glocke der Tina Scarlett hängt im Rheinmuseum.  © Ingo Plaschke | Ingo Plaschke

Auch juristisch hat die Katastrophe ein Nachspiel. Der Mammutprozess vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Kleve endet für die sieben Angeklagten mit Freisprüchen. Die Kölner Hansa-Werft, die die Fähre gebaut hat, muss Konkurs anmelden. Der dänische Reeder muss wegen Einnahmeausfalls sein Fährgeschäft verkaufen. Im Rheinmuseum in Emmerich aufbewahrt wird noch die ausgeglühte Schiffsglocke der Tina Scarlett, die aus dem Wrack gerettet werden konnte.

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