Kreis Kleve/Kreis Wesel/Bocholt. Niederrheiner berichtet, wie er Glücksspielsucht in den Griff bekam. SKM Bocholt bietet eine ambulante Therapie auch für Kreis Kleve und Wesel.

Das war der Moment, in dem er glücksspielsüchtig wurde. Mit 40 Euro hatte Leon Stamm (Name von der Redaktion geändert) eine Spielhalle betreten. Mit 550 Euro ging er hinaus. „Ich habe sofort hochgerechnet, was möglich wäre.“ Damals, im April 2016, war es für den jungen Mann ein Glücksgefühl. Doch der heute 22-Jährige weiß jetzt, ab dem Moment nahm das Spiel seinen Lauf. Es war der erste Kontrollverlust.

Erst im Februar 2016 nahm ihn sein Bruder erstmals mit in eine Spielhalle. Leon Stamm war Schüler, jobbte nebenher, war eher knapp bei Kasse. Entsprechend freute er sich direkt mal 25 Euro gewonnen zu haben: „So konnte ich einmal tanken und eine Schachtel Zigaretten kaufen“, ordnet er die Bedeutung ein. Erst ging er alle zwei Wochen, dann jede Woche, dann zweimal die Woche – im April war er täglicher Stammgast. Eine totale Glückssträhne brachte dem Schüler in drei Monaten 8000 Euro ein. Gefühlt war der Niederrheiner in dem Moment reich.

Wie die Spielautomaten Anfänger süchtig machen

Auch interessant

Christiane Wiesner vom Katholischen Verein für soziale Dienste in Bocholt (SKM) überrascht diese Schilderung nicht: „Die Spielautomaten erkennen die Spielweise von Anfängern und lassen diese am Anfang gewinnen. Das macht abhängig.“

Um Leon Stamm war es schon geschehen. Die 8000 Euro hatte er in den kommenden anderthalb Monaten wieder verzockt: „Ich habe angefangen mir Geld zu leihen, dann habe ich es gestohlen.“ Die Schule ließ er schleifen, den Nebenjob verlor er, weil er unzuverlässig wurde.

Verwirrung der Uroma ausgenutzt

Auch interessant

Am Tiefpunkt wurde er erwischt. Er nutzte die Verwirrung der reichlich betagten Uroma aus, ging mit ihr viermal an einem Tag zum Geldautomaten und erleichterte sie so um 800 Euro. Doch seine Tante kam zufällig und bemerkte es.

Das Drama war perfekt. Er flog zuhause raus, kam zweimal in die Psychiatrie, hegte Suizidgedanken. „Du jagst dem Geld hinterher. Das ist psychischer Stress“, kann Christiane Wiesner die Entwicklung nachvollziehen. Auch als er bei einem Kumpel unterkam, versaute er sich den Neuanfang, als er die Mutter bestahl: „Am nächsten Tag weckte mich die Polizei. Da habe ich gemerkt, ich muss was tun.“

Die Sucht kann immer zurück kommen

Auch interessant

doc753c2erfss71diwvs189l_MASTER.jpg
Von Anke Gellert-Helpenstein

Leon Stamm begann eine stationäre Therapie. Nach der stationären Therapie wurde er beim SKM betreut, kam in Bocholt in deren Wohngruppe für junge Leute mit Anlaufschwierigkeiten. Zwei Jahre lebte er dort betreut von Pädagogen. Besuchte parallel die ambulante Therapie beim SKM, wo es erstmal darum ging, die Schulden zu regulieren, dann eine berufliche Zukunft aufzubauen: „Ich habe 2019 das Abitur nachgeholt.“ Überhaupt habe er ab diesem Punkt umgedacht, wurde reifer.

Selbst jetzt als Student außerhalb des Niederrheins bleibt die Anbindung zum SKM. Aktuell ist er „spielfrei“. Aber er weiß: Die Sucht kann immer wieder kommen. Ein einschneidendes Erlebnis kann reichen.

>> Ambulante Therapie lässt sich in den Alltag besser einbinden

Christiane Wiesner berät beim Katholische Verein für soziale Dienste in Bocholt bei der Glücksspielsucht.
Christiane Wiesner berät beim Katholische Verein für soziale Dienste in Bocholt bei der Glücksspielsucht. © NRZ | Marco Virgillito

Eine ambulante Therapie für die Glücksspielsucht bietet in der Region nur der Katholische Verein für soziale Dienste Bocholt (SKM), der deshalb auch für die Kreise Kleve und Wesel zuständig ist. Die Kostenträger bewilligen im Schnitt 40 Therapie-Einheiten: „Das sind dann meistens 20 Gruppen- und 20 Einzeltermine“, schildert Christiane Wiesner.

Zu 90 Prozent seien Männer jeden Alters von der Glücksspielsucht betroffen. Häufig stünden sie im Beruf, haben entsprechend genug Geld, das sie verzocken können, erklärt Wiesner. Auch Führungskräfte seien betroffen. Sogar jene, die Gelder des Arbeitgebers veruntreuten.

Sportwetten erleben einen Boom

Gerade für diese Personen sei eine stationäre Reha, bei der sie zwischen vier Wochen und drei Monaten im Job fehlen, schwer realisierbar. Auch Familienverhältnisse machten es oft nicht leicht. „Für eine ambulante Therapie sind solche Menschen eher zu bekommen“, weiß Wiesner.

Bei Glücksspielsucht handelt es sich meist um Leute, die in Spielhallen am Automaten zocken oder im Internet – gekoppelt mit einer Medienabhängigkeit – Geld einsetzen; sei es bei Sportwetten oder beim Online-Pokern. „Was derzeit boomt sind Sportwetten“, sagt Christiane Wiesner. Zuletzt habe es ein Plus von 50 bis 60 Prozent bei den Patienten des SKM in diesem Bereich gegeben: „Inzwischen kann auf alles im Sport gewettet werden. So eine Live-Wette ist schon prickelnd. Man fiebert mit. Das gibt einen Kick und bietet Suchtpotenzial.“

Ansprechpartner für Glücksspielsucht sind Christiane Wiesner und Michaela Schäfer, skm.bocholt@t-online.de, 02871/8891, www.skm-bocholt.de.