Emmerich/Kleve. Zwei Zollbeamte aus Emmerich sind vor dem Landgericht Kleve wegen Schmuggels angeklagt – einer der beiden sagte umfassend aus. Er sitzt in Haft.

Udo S. (67), zur Zeit in der JVA Kleve einsitzend, sagt, dass es ihm schon einmal besser gegangen sei und die Anklage gleich in zweierlei Hinsicht nicht stimme. Zum einen, so der Zollbeamte, säßen die falschen Leute auf der Anklagebank, zum anderen würden ihm deutlich zu viele Fälle zur Last gelegt.

230 Fälle wirft Staatsanwalt Daniel Klocke ihm vor, wobei jeder dieser Fälle für einen Container steht, dessen Inhalt nicht ordnungsgemäß deklariert in den europäischen Handel gelangte. Wie viele es denn gewesen sein mögen, fragt der Vorsitzende Richter Christian Henckel.

Mitangeklagter hatte als „Urlaubsvertretung“ gehandelt

„Ja, so 20, 30, 40, 50 werden es wohl gewesen sein“, antwortet der Angeklagte. Sein mitangeklagter ehemaliger Kollege, der das verbotene Vorgehen als Urlaubsvertretung fortgeführt haben soll, muss sich für 30 weitere dieser Fälle verantworten.

Importiert wurden Schuhe, Textilien und Kleinkram. Insgesamt ergab sich laut Anklage ein Gesamtschaden von mehr als vier Millionen Euro aufgrund von nicht gezahlten Importzöllen und verkürzten Steuern. Doch während der zweite Angeklagte Ulrich F., 61 Jahre alt, nur ein paar dürre Angaben zu seinen Personalien machte, zeigte sich Udo S. deutlich redseliger, als am Dienstag in der Klever Schwanenburg der Prozess gegen die beiden Beamten fortgesetzt wurde.

Zollversandverfahrens sorgte dafür, dass der Plan funktionierte

Zum Prozessauftakt vor 14 Tagen war S. etwas derangiert erschienen, sodass er im Anschluss daran dem Haftrichter vorgeführt werden musste. Am Dienstag war der Angeklagte deutlich besser zurecht und zeichnete das Bild eines Zollobersekretärs, der von seinen Vorgesetzten hängen gelassen wird und der permanent Überforderungssituationen erlebt. Im Zuge der Grenzschließungen wurde er hin und her versetzt und landete schließlich 2007 im neuen Zollamt in Emmerich.

Dort hieß es, so sagte er, wenn der Standort schlecht sei, werde er zugemacht. Gut waren Standorte mit hohem Warenumschlag. Zumindest auf dem Papier sorgten die beiden Angeklagten dafür, und zwar mithilfe des sogenannten Zollversandverfahrens.

Warenlieferung vom Schreibtisch aus akkreditiert

Damit ist es möglich, Container, die in Hamburg oder Rotterdam anlanden, auch in Emmerich abzufertigen. Allerdings müssen sie dafür auch tatsächlich in Emmerich beim Zoll vorgezeigt werden. Dieses Verfahren aber verkürzten die beiden Angeklagten, indem sie die Warenlieferung vom Schreibtisch aus akkreditierten.

Die Mitarbeiter eines Dienstleisters, die in dieser Sache schon vor Gericht standen und verurteilt wurden, hatten den Prozess voll im Griff, meistens wiesen sie schon per Mail den direkten Weiterversand nach Polen an, bevor die Fake-Formalien mit Emmerich geklärt waren.

Angeklagte wollen sich an die Anfänge nicht erinnern

Wie das ganze in Gang kam, daran kann oder will sich der Angeklagte nicht mehr erinnern. „Das hat sich irgendwie so ergeben. Ich wollte keinen verprellen“, sagt er. Dass er aus Sorge um den Standort gehandelt hat, davon will er nichts wissen. Stattdessen: „Ich war irgendwie überfordert, würde ich sagen. Schamlos ausgenutzt.“ Er berichtete auch, dass es bereits 2012 erste Hinweise von Kollegen auf das verbrecherische Treiben gegeben habe. Doch nichts sei geschehen. „Deshalb sitzen hier die verkehrten Leute.“

Materielle Vorteile habe ihm das ganze nicht eingebracht. „Weihnachten haben wir zehn Pakete Kaffee gekriegt, das war alles“, so S. Irgendwas mit Tribünenbesuchen bei Fortuna Düsseldorf findet sich wohl in den Akten, doch diesen Vorwurf wies er brüsk zurück: „Erstens bin ich MSV-Fan, und zweitens habe ich mit Düsseldorf nichts am Hut.“

Beamte stießen aus Zufall auf die Machenschaften in Emmerich

Am Nachmittag berichtete ein Zollfahnder, wie die Sache überhaupt aufflog. Demnach ermittelten die Beamten in einer ganz anderen Sache und bemerkten im Zuge dieser Fahndung, dass möglicherweise Container direkt von Hamburg nach Polen verschafft wurden. Daraufhin änderte sich die Stoßrichtung der Ermittlung und man ging der Frage nach, ob Zollbeamte daran beteiligt seien. Die Spur führte ins Zollamt nach Emmerich. Der Fall sei in dieser Größenordnung in Deutschland einmalig.