Haldern. Beim Haldern Pop Festival regnet es am frühen Nachmittag. Abends gab es Regenbögen und viele großartigen Auftritte. .
Dunkle Wolken zogen sich am Freitag über Haldern zusammen. Nach dem angenehm sonnigen Auftakt des 36. Haldern Pop Festivals – präsentiert von der NRZ – am Donnerstag, sollte sich das Publikum schon mal auf satte Regenfälle einstellen. Am frühen Nachmittag regte etwas, doch der große Regen war für eine spätere Stunde angekündigt.
Bis dahin stand natürlich Musik im Fokus. Zum Auftakt im Spiegelzelt spielten am Freitag The Chats. Für Haldern Pop-Verhältnisse fühlte sich das wie ein Morgen an: Doch es stand Pogo statt Morgengymnastik an. So trugen die Australier ihre Punk-Stücke über Alltagsprobleme wie Chlamydien oder zu wenig Geld für den Bus nach Hause mit rotzigem Gesang und griffig-klaren Gitarrenriffs vor. Das Publikum kam schnell auf Temperatur.
Blanco White verzaubert im Spiegelzelt
Schwerer hatte es da Júníus Meyvant zum Auftakt auf der Hauptbühne. Bei dem Regen waren zunächsgt nur knapp 40 Besucher gekommen. Die Sonne strahlte dabei von der Bühne. Der 70er-Soul des Isländers war herzerwärmend. Hammondorgel und Bläser sorgten für den typischen Sound. Zunehmend besserte sich das Wetter und die Zahl der Neugierigen verzehnfachte sich.
Zurück im Spiegelzelt riss Blanco White die Zuhörer mit seinen gefühlvollen Ukulele-Balladen in Tagträume. Der Londoner verzaubert mit einer wohlig klingenden Stimme, für die ein dezentes Vibrato charakteristisch ist. Die melancholischen Stücke begeistern das Publikum. Bei der sanften Instrumentierung durfte kein Ton zu intensiv gespielt werden, um den anderen nicht den Raum zu nehmen. Stark.
Kanadier verlieren unterwegs ihr Equipment
Während Stella Donnelly dann im Spiegelzelt ihre mit Humor gespickten Liebeslieder säuselte, traten auf der Hauptbühne Whitney auf. Das Schlagzeug steht vorne auf der Bühne, da Drummer Julien Ehrlich zugleich der Sänger ist. Der Retro-Soul-Pop-Rock tänzelt mit leichtfüßigen Melodien ins Ohr. Ihr Auftritt 2016 im Spiegelzelt berührte die Zuhörer intensiver.
Ein Höhepunkt war der Auftritt von Jesse Mac Cormack am späten Nachmittag im Spiegelzelt. Die Leistung ist besonders zu bewerten, weil die Kanadier beim Flug von Montreal nach Deutschland ihr gesamtes Equipment verloren. Haldern Pop versorgte die Band mit Fremdinstrumenten. Und doch klang das hervorragend.
Die zuvor von Mac Cormack schon bekannten sphärischen Klänge bekommen bei den neueren Stücken griffige Gitarrenriffs dazu, die live zu manch einem Exzess ausarten. Das Keyboard liefert die sphärische Grundlage, Bass und Gitarre liefern sich spannende Dialoge. Dazu die helle Stimme des Frontmannes mit reichlich Hall. Großartig.
Und dennoch wollte zunächst vor der Hauptbühne eine gewisse Melancholie nicht weichen. Unter grauer Wolkendecke blieb es musikalisch getragen. Und wie bei Whitney der Schlagzeuger so ist auch Charlie Cunningham ein Akteur, der sein Set im Sitzen zur Gitarre vorträgt. Sauber, selig, bezaubend in vielen Phasen. Der Applaus ist entsprechend: Anerkennung statt Abtanzen.
Barns Courtney hat es begriffen. Yo got to move like Jagger
Es dauert lange, bis der Freitag in der großen Menge wieder Fahrt aufnimmt.Die richtig deftigen Rock’n’Roll-Momente mit einem Gestus zwischen Mick Jagger und Ben Bagger sind Barns Courtney im Spiegelzelt vorbehalten, der unter roter Lederjacke nur seinen schweißnassen Oberkörper trägt und tief eintaucht in die Gesten der Rebellion und der rauen Energie. Das macht wach, da wird sogar vorm Zelt mitgetanzt und applaudiert. Courtney badet in der Menge – ist sich gewiss, dass er nicht zu denjenigen gehört, die darin untergehen.
Derweil wird die große Bühne gerüstet für Father John Misty, dessen Americana-Predigt mit der Vehemenz einer neunköpfigen Band vorgetragen wird. Die Herren in Schwarz, viele bärtig, leben von den exaltierten Gesten ihres Frontmanns Father John, der es sich nicht nehmen lässt, einen der Psalmen des Haldern Pop zu interpretieren. Aus „Be true not better“ wird über einige Umwege bei ihm die Aussage: „It’s cool to be better.“
Mit dem Bläsersatz die Wolken weg gepustet
So dann bittet er zum Bläsersatz, macht richtig Druck und schafft es so, die angekündigte Abendtaufe mit erneutem heftigen Regenguss leicht südlich am Festival vorbeirauschen zu lassen.
Zum Sonnenuntergang gibt es Regenbögen neben dem Spiegelzelt – und da sind auch die Besucher wieder mit dem Geist des Festivals versöhnt, dank „Woods of Birnam“ und den brachialen „Fontaines D.C“ im Zelt. Da mag mit Gurr auch das Niederrheinzelt nicht abseits stehen. Auch hier wird so heftig gefeiert wie musiziert.Zeit also für die Grand Dame des Schweizer Pop, Sophie Hunger, auf der Hauptbühne dem Haldern-Pop-Vater Stefan Reichmann ein Lied mit persönlicher Ansprache zu widmen. Küsse nicht Deine Alpträume, küsse mich – lautet ihre Aufforderung. Für Schweizer Verhältnisse ist das wohl annähernd ein Heiratsantrag.
Kein Wunder, dass sie Haldern berieits zum dritten Mal ihre Aufwartung machte. Ihre Band beeindruckt dabei vor allem durch die perkussiven Perfomances: Was da an Trommelrhythmen von der Bühne kommt, vertrackt, verschachtelt und immer rhythmisch, ist mindestens genau eindrucksvoll wie die Viersprachigkeit der Sängerin im schwarzen Glitzerkleid. Angemessen für die Feier einer weiteren langen Haldern-Nacht, zu der die Idles dann den lautstarken Party-Soundtrack liefern.