Rees. . Günter Wetzel spricht über seine Flucht mit einem Heißluftballon und über den Thriller „Ballon“, den Michael Bully Herbig darüber gedreht hat.

Die deutsche Einheit, an die der heutige Feiertag erinnert, nahm ihren Anfang mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989. Zehn Jahre zuvor, als das Ende der DDR bei weitem noch nicht abzusehen war, flohen die Familien Strelzyk und Wetzel mit einem selbstgebauten Heißluftballon. Hollywood drehte darüber den Film „Mit dem Wind nach Westen“ (1982), seit einer Woche läuft nun auch Michael Bully Herbigs vielgelobter Thriller „Ballon“ in den Kinos.

Günter Wetzel, der vor 39 Jahren maßgeblich den Bau des Heißluftballons verantwortete, berichtet am Dienstag, 9. Oktober, im großen Saal des Reeser Bürgerhauses über die Flucht und deren Folgen für beide Familien. Ab 19 Uhr zeigt der 63-Jährige auf der Großleinwand Fotos, Filme und Skizzen. Der Eintritt kostet drei Euro. Vormittags referiert Wetzel bereits vor Schülern des Gymnasiums Aspel.

Einladung des Reeser Geschichtsvereins Ressa

Der Referent kommt auf Einladung des Reeser Geschichtsvereins Ressa an den Niederrhein. Dessen Vorstandsmitglied Michael Scholten schrieb das Presseheft zum Film „Ballon“, in enger Abstimmung mit Michael Bully Herbig und Günter Wetzel. Ressa-Vorstandsmitglied Scholten führte auch das nachfolgende Interview.

Fast 5000 Menschen sind erfolgreich aus der DDR geflohen. Warum hat Ihre Flucht die größten Wellen geschlagen?

Günter Wetzel: Weil diese Flucht einmalig war. Ich verwende ungern den Begriff „spektakulär“. Aber so war wohl die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

Wie kamen Sie auf die Idee, einen Ballon zu bauen?

Günter Wetzel: Meine Schwägerin aus dem Westen kam Besuch und brachte eine Zeitschrift mit. Darin stand ein Bericht über das jährliche Treffen der Ballonfahrer in Albuquerque, New Mexiko. Peter Strelzyk und ich waren uns einig: So einen Ballon kriegen wir auch hin.

In welchem Verhältnis standen Sie zu Peter Strelzyk?

Günter Wetzel: Wir waren keine Freunde, aber Kollegen, die eine Zweckgemeinschaft bildeten. Wir arbeiteten als freie Elektriker, ohne selbstständig zu sein. Man durfte in der DDR Feierabendarbeit machen. So gesehen haben wir den ganzen Tag Feierabendarbeit gemacht. Wirtschaftlich ging es uns für DDR-Verhältnisse gut. Man konnte die Aktion mit dem Ballon auch nur starten, wenn man Geld hatte. Wir mussten ja viel Stoff kaufen.

Woher wussten Sie, wie man einen Ballon baut?

Günter Wetzel: Wir haben mit Hilfe von Physikbüchern ausgerechnet, wie groß der Ballon sein muss, damit er uns tragen kann. Der erste Ballon, den wir gebaut haben, war eine Fehlkonstruktion mit luftdurchlässigem Stoff. Der zweite Ballon bestand aus Taftstoff, war aber zu klein für zwei Familien. Die Strelzyks haben es allein versucht und sind kurz vor der Grenze runtergekommen. Dann haben wir unter Zeitdruck einen dritten Ballon gebaut, während uns die Stasi dicht auf den Fersen war.

Waren Sie überzeugt, dass der letzte Fluchtversuch gelingen würde?

Günter Wetzel: Wir konnten 1993 unsere Akten einsehen. Das waren 2000 Seiten. Nach einem halben Tag ist mir das aufs Gemüt geschlagen, weil mich viele Dinge negativ überrascht und menschlich enttäuscht haben. Zum Beispiel, wer uns alles bespitzelt hat. In den Berichten standen aber auch interessante Ballon-Details, die ich längst vergessen hatte. Es war auch interessant zu lesen, wie sich die Stasi-Leute gegenseitig die Schuld für unsere Flucht gaben. Es lag an Mängeln bei der Fahndung, dass wir nicht erwischt wurden. Ein paar Tage später hätte uns die Stasi verhaftet.“

1989 fiel die Mauer. Haben Sie jemals gedacht: „Wenn wir das gewusst hätten, wären wir zehn Jahre vorher nicht mit dem Ballon geflohen“?

Günter Wetzel: Nein. Wir hatten durch unsere Flucht einen deutlichen Vorlauf und konnten etwas aufbauen. Nach der Wende haben die „Ossis“ gerade den grenznahen Raum überflutet, was der Westen nicht unbedingt positiv gesehen hat. Bei uns war das anders. Wir sind sehr positiv empfangen worden.

Wie gefällt Ihnen Michael Bully Herbigs „Ballon“, der seit Donnerstag im Kino läuft?

Günter Wetzel: Mich hat der Film von Anfang bis Ende gepackt. Natürlich gibt es leichte Abweichungen, die der Dramaturgie geschuldet sind, aber das Bauchgefühl stimmt. Das ist ein klasse Film geworden. Anfangs war ich skeptisch, weil ich mit der Disney-Verfilmung in den 80er Jahren nicht glücklich war. Das war die Hollywood-Sicht auf die DDR.

Sie waren bei den Filmpremieren in München und Berlin, bei „Markus Lanz“ im ZDF und sind am kommenden Freitag in der MDR-Talkshow „Riverboat“ zu Gast. Genießen Sie diese Auftritte?

Günter Wetzel: Ab 1980 haben wir uns, auch nach schlechten Erfahrungen mit der Boulevard-Presse, komplett aus der Öffentlichkeit rausgehalten und ein neues Leben aufgebaut. Erst seit meinem Vorruhestand vor drei Jahren bin ich wieder aktiv im Thema drin. Ich rede gern im Fernsehen über die früheren Ereignisse und gehe auch als Zeitzeuge in Schulen und Vereine. Außerdem habe ich die Internetseite www.ballonflucht.de erstellt, auf der alle Details über den Ballon, unsere Flucht und unsere Beweggründe stehen.

>>>> RESSA-FAHRT ZUM KINO

Zur Vorbereitung auf Günter Wetzels Vortrag im Reeser Bürgerhaus (Dienstag, 9. Oktober, 20 Uhr) bietet der Reeser Geschichtsverein Ressa am Samstag, 6. Oktober, eine Fahrt zum Bocholter Kino, um dort gemeinsam den Film Ballon zu sehen. Treffpunkt ist um 14.15 Uhr auf dem Rewe-Parkplatz in Rees.

Es werden Fahrgemeinschaften gebildet. Im Kinosaal hält Ressa-Vorstandsmitglied Michael Scholten einen kurzen Vortrag über die Vorgeschichte und die Dreharbeiten des Films. Für Ressa-Mitglieder zahlt der Verein den Kinobesuch, Gäste zahlen den Eintritt selbst. Infos unter Tel. 0171/1932953.