Duisburg-Rheinhausen. Sabine Meyer hat in Rheinhausen eine Selbsthilfegruppe für die Diagnose „Trisomie 21“ gegründet. Warum ihr Sohn Sam (5) der wichtigste Helfer ist
Diesen Augenblick wird Sabine Meyer nie mehr vergessen: Sie stand auf dem Aldi-Parkplatz in Friemersheim, in der 13. Woche schwanger, als das Handy klingelte und die Nummer ihrer Frauenarztpraxis im Display erschien. „Vor dem Supermarkt habe ich erfahren, dass das Baby in meinem Bauch mit Down-Syndrom geboren werden würde.“ 42 war sie damals, hatte zwei gesunde Töchter, 13 und sechs Jahre alt. Ein weiteres Kind war nicht geplant, aber trotz Verhütung war Sabine Meyer schwanger geworden. Und dann das: ein behindertes Kind.
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„Für mich war das im ersten Moment ein Weltuntergang.“ Nach dem Anruf fuhr sie nach Hause. „Da habe ich erst mal eine Stunde geheult.“ Dann ging es zum Frauenarzt – zur Beratung, die rückblickend keine war. „Es ging bei allen Gesprächen, die ich geführt habe, hauptsächlich um die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs.“ Dass ihr niemand in dieser Situation von den schönen Seiten eines Lebens mit einem Kind mit Trisomie 21 erzählt hat, das ist ihr erst viel später bewusst geworden. Wachgerüttelt wurden Sabine Meyer und ihr Mann von einem Satz, den ihre Tochter sagte: „Mama, das Kind hat sich in deinen Bauch gemogelt, dann wird es doch wohl mit so einer doofen Behinderung fertig werden.“
Das war ein Augen- und Herzensöffner. „Wir haben uns dann unabhängig von der Meinung anderer zum ersten Mal so richtig gefragt, was wir eigentlich wollen.“ Sie wollten Sam – den kleinen Jungen, der jetzt ihr großes Glück ist. Neben seinen beiden Schwestern natürlich. „Ich bin so stolz auf ihn und erzähle so gerne über ihn“, sagt seine Mama heute. Sam ist im Kindergarten, wo er mittlerweile zwei beste Freunde hat. „Er spricht noch nicht viel, aber er kann auf anderem Wege ausdrücken, was er möchte.“ Und: Die Familie bekommt immer wieder tolle Rückmeldungen aus der Friemersheimer Kita, wie ausgleichend Sam mit seiner besonderen Art auf die anderen Kinder wirkt.
Seit 2019 gibt es die Selbsthilfegruppe für Kinder mit Trisomie 21 in Duisburg
Was für ein Glück das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom sein kann, das möchte die Mutter mit anderen teilen. Vor allem mit denen, die noch vor der Entscheidung stehen, ob sie einem Kind mit einer solchen Behinderung das Leben überhaupt schenken. Und den Eltern, die sich dafür entschieden haben, möchte Sabine Meyer mit ihrem Erfahrungsschatz helfen, den sie selber so mühsam zusammengetragen hat. 2019, als ihr Sohn ein Jahr alt war, hat sie die Selbsthilfegruppe „Sam21“ gegründet. Mehr als hundert Kinder gehören mittlerweile zu der Runde, die sich gegenseitig unterstützt.
Einmal im Monat gibt es ein Treffen. Bei schlechtem Wetter dürfen sie die Räume des DRK an der Kaiserstraße in Friemersheim nutzen. Bei gutem Wetter geht es zum Beispiel zur Robinson-Farm oder zum Tierpark Kalisto in Kamp-Lintfort. Neben diesen persönlichen Begegnungen ist der Austausch in einer Whatsapp-Gruppe der Kern des ehrenamtlichen Hilfsangebots. Hier gibt es alle Informationen, die Eltern von Kindern mit Trisomie 21 in und rund um Duisburg brauchen.
Sabine Meyer: „Ich hätte mir gewünscht, dass es eine Anlaufstelle in Duisburg gibt.“
„Ich hätte mir damals gewünscht, dass es eine Anlaufstelle gibt, wo ich alle Hilfsangebote bekommen kann“, sagt Sabine Meyer. Nach der Geburt von Sam gab es so viele Fragen Welcher Arzt ist gut? Zu welchem Therapiezentrum geht man? Wo kauft man einen „Reha-Buggy“ für ein Kind, das sich noch nicht alleine aufrecht halten kann? Gibt es finanzielle Unterstützung? Wo findet man Kontakt zu anderen Familien mit Down-Syndrom-Kindern?
Die Mutter von Sam hat sich durchgeboxt. Von manchen Hilfen erfuhr sie erst, als ihr Kind schon zu alt für diese war. Aber sie hat alles akribisch zusammengetragen, so dass die Selbsthilfegruppe mit einem guten Grundstock an Informationen starten konnte. Zum allerersten Treffen kamen direkt acht Familien. „Damit hatte ich nicht gerechnet.“ Und es wurden immer mehr. „Der Bedarf ist wirklich groß“, sagt Sabine Meyer. Die Familien kommen nicht nur aus Duisburg, sondern auch aus Städten wie Moers, Düsseldorf und Mülheim oder dem Westerwald.
Sie alle sind nun miteinander vernetzt und das Angebot an Tipps und Erfahrungswerten wächst immer weiter. „Das Schönste ist, dass jeder von uns sich genau so wieder entscheiden würde.“ Auch, wenn es Kinder gibt, die mit zum Teil schweren Begleiterkrankungen zu kämpfen haben, so bekommt sie doch von allen die Rückmeldung, wie sehr die Kinder mit Down-Syndrom das Leben der Familien bereichern.
Neben der Selbsthilfegruppe bietet Sabine Meyer persönliche Beratung von Schwangeren an. „Ich lade sie ein, zu uns nach Hause zu kommen und Sam und unser Leben mit ihm kennenzulernen.“ Wenn die Paare, die noch unter dem Schock der Diagnose stehen, dann nach Rheinhausen kommen und den so herzlichen, fröhlichen und unkomplizierten kleinen Jungen erleben, dann können sie sich ein viel konkreteres Bild machen, als es in Beratungsgesprächen möglich ist. „Ich freue mich so sehr, dass es mittlerweile schon mehrere sind, die vorher ganz klar gesagt haben, dass sie das Kind nicht wollen und sich nach dem Besuch bei uns anders entschieden haben.“
Was sich Sabine Meyer von der Stadt Duisburg wünscht
Wenn sich Sabine Meyer von der Stadt Duisburg etwas wünschen dürfte, dann hätte sie gerne eine halbe Stelle im Rathaus, um mit ihrer großen Erfahrung alle Hilfsangebote für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom zu koordinieren. „Es gibt viele Angebote, aber leider gar keine Vernetzung.“ Eine solche zentrale Anlaufstelle, sagt sie, würde ihnen allen das Leben leichter machen.
>>> INFORMATIONEN ZUR SELBSTHILFEGRUPPE SAM21:
- Informationen zur Selbsthilfegruppe „Sam21“ rund um Kinder mit Down-Syndrom (auch Trisomie 21 genannt) gibt es im Internet unter www.sam21.de, per E-Mail an hilfe@sam21.de oder telefonisch bei Sabine Meyer unter 0163/3 35 72 34.
- „Ich würde mir wünschen, dass sich alle Familien, die die Diagnose erhalten, bei uns melden“, sagt Sabine Meyer. Das Angebot ist ehrenamtlich, die Gruppe freut sich über Spenden für ihre Ausflüge und Treffen.
- Die Selbsthilfegruppe trifft sich einmal im Monat und tauscht sich ansonsten in einer „Whatsapp-Gruppe“ oder im persönlichen Kontakt aus.