An Rhein und Ruhr. Kinder mit Beeinträchtigungen brauchen Integrationshelfer, um Regelschulen besuchen zu können. Die Helfer sind aber rar, die Anträge kompliziert.

In den kommenden Wochen werden Familie Baltersee und Familie Frost wieder viele Unterlagen zusammen kramen. Therapieberichte. Arztberichte. Stellungnahmen. Bescheide. Dann werden sie erneut monatelang warten müssen, um zu erfahren, ob ihre Söhne Helfer an die Seite gestellt bekommen, ob Erik und Darian also auch im kommenden Schuljahr die Regelschule besuchen können. Ein Recht, das ihnen wie allen Kindern mit Behinderungen zusteht. Theoretisch. Praktisch wird die Inklusion, das von der Politik gewollte gemeinsame Lernen, aber durch Bürokratie und den Mangel an sogenannten Integrationshelfern erschwert.

In der Küche von Familie Baltersee in Oberhausen. An der Wand hängen viele Bilder von Erik, sie zeigen ein fröhlich lachendes Kind, der Junge strahlt Lebensfreude aus. Erik ist vor acht Jahren mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommen, und seitdem verbringen seine Eltern Silke und Nils viel Zeit damit, für die Rechte ihres Sohnes zu kämpfen. Aktuell kämpfen sie dafür, dass Erik weiter eine Regelschule besuchen kann, die Dinslakener Moltke-Schule, wo er in der zweiten Grundschulklasse ist. Einer seiner Mitschüler ist Darian, der Sohn von Jennifer Frost, auch er wurde mit dem Down-Syndrom geboren. Beide haben eine Integrationshelferin, die ihnen zur Seite steht.

Ohne Helferinnen kein Regelschulbesuch

„Die Integrationshelferin unterstützt ihn, wenn er Konzentrationsschwierigkeiten hat oder bei der Kommunikation mit anderen Kindern“, erzählt Frau Frost. „Erik läuft manchmal weg, er braucht jemanden, der auf ihn aufpasst“, berichtet Frau Baltersee. Ohne diese Helferinnen wäre es nicht möglich, dass die beiden Kinder eine Regelschule besuchen. Sie müssten auf eine Förderschule gehen.

Im Prinzip haben die Familien nichts gegen Förderschulen. „Wir haben aber den Wunsch, dass unser Kind weitgehend selbstständig leben und einen normalen Beruf ergreifen kann“, sagt Herr Baltersee. Die Förderschule habe andere Lerninhalte. „Eine Vorbereitung auf einen normalen Beruf steht da nicht im Vordergrund.“ Frau Frost sagt, sie wolle, dass ihr Sohn einen „normalen Alltag“ erlebt.

Sauerland: Es fehlen Tausende Stellen

Integrationshelfer zu finden, ist allerdings nicht einfach. Es gibt einen Mangel an ausgebildetem Personal, berichtet Katharina Sauerland, Fachreferentin beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Sie betreut 36 Organisationen, die Integrationshelfer stellen. „Die Leistungserbringer suchen händeringend geeignetes Personal“, erzählt sie. „Es fehlen tausende Stellen.“ Frau Frost hatte Kontakt mit einem guten Dutzend Träger, nur die Hälfte hatte Integrationshelfer.

Jennifer Frost, Mutter von Darian.
Jennifer Frost, Mutter von Darian. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Kommunen wie Düsseldorf, Duisburg oder Essen behelfen sich, indem sie auch Pool-Lösungen anbieten. Ein Integrationshelfer betreut dabei mehrere Kinder. Keine besonders ideale Lösung, finden die Eltern von Darian und Erik. „Die Helfer müssen ja immer aufpassen. Die Kinder müssen aber beispielsweise mal auf Toilette gehen“, sagt Silke Baltersee. Die Stadt Oberhausen, in der die Baltersees leben, teilt mit, sie könne „in der Regel“ alle Anfrage befriedigen, im Schnitt seien in diesem Jahr 86 Integrationshelfer im Einsatz gewesen.

Die Baltersees und Frau Frost bezweifeln aber, dass alle Eltern, die Bedarf haben, einen Antrag stellen. Schlicht deswegen, weil es unglaublich kompliziert ist, einen Antrag zu stellen. Weil so viele Unterlagen eingereicht werden müssen, weil die auszufüllenden Formulare schwer zu verstehen sind. „Das ist besonders für Menschen, die nicht perfekt Deutsch sprechen, sehr schwierig“, weiß Frau Baltersee.

Eltern: Das Sozialamt sollt eigentlich beraten, macht es aber nicht

Das Sozialamt, sagt sie, sollte eigentlich beraten. „Das macht es aber nicht, wir mussten uns das alles selbst aneignen.“ Für Menschen, die das nicht könnten, sei die Inklusion verbaut. „Das alles macht die Inklusion nicht leichter“, seufzt auch Frau Sauerland. Dazu kommt: Für die Betreuung in der Schule und im anschließenden Offenen Ganztag müssen unterschiedliche Anträge gestellt werden, auch, wenn die Kinder an Schulausflügen teilnehmen wollen.

Frau Frost hätte für den Ganztag einen Sozialhilfeantrag ausfüllen müssen. Sie und ihr Mann zahlen die Betreuung am Nachmittag jetzt aus eigener Tasche. Das kostet sie rund 1000 Euro im Monat. Die Familie Baltersee musste klagen, um das Geld zurückzubekommen, dass sie für die Betreuung von Erik im ersten Schuljahr ausgeben musste.

Auf ihre Integrationshelferinnen wollen die Familien nicht verzichten, trotz aller Mühen. „Sie gibt uns Sicherheit, wir stehen in einem ständigen Austausch, auch am Wochenende“, sagt Jennifer Frost. Die Integrationshelferin sei eine wichtige Stütze für Darian, nur wegen ihr könne er nachmittags an Arbeitsgemeinschaften teilnehmen, auch wegen ihr sei ihr Junge gut in die Klassengemeinschaft eingebunden. „Erik kann jetzt lesen und schreiben“, erzählt Silke Baltersee. „Auf einer Förderschule wäre er bestimmt noch nicht soweit.“ Beide Familien wollen, dass ihre Kinder nach der Grundschule eine weiterführende Schule besuchen. Sie werden noch viele Anträge ausfüllen müssen.