Duisburg-Rheinhausen. . Jobcenter Duisburg kündigte einer 61-Jährigen nach vier Monaten stationärem Aufenthalt die Leistung. Ohne Vorwarnung. Zu Unrecht, sagen Juristen.

Seit Ende September vergangenen Jahres liegt sie nun bereits im Berta Krankenhaus in Rheinhausen. Doch der Zustand der 61-Jährigen verbessert sich nur schleppend. Die Rheinhauserin ist eine ungelernte Kraft, die seit einigen Jahren Leistungen über das Jobcenter bezieht, sprich: Arbeitslosengeld II (ALG II). „Meine Mutter arbeitet seit vielen Jahre in einem Ein-Euro-, später Zwei-Euro-Job, bis sie jetzt so krank wurde, dass es nicht mehr ging“, sagt ihre Tochter Anja S. (vollständiger Name ist der Redaktion bekannt). „Dabei besitzt sie schon seit Jahren eigentlich nur noch 30 Prozent Sehvermögen, hört schlecht und leidet auch unter hohem Blutdruck“, sagt die 39-Jährige.

Dennoch habe ihre Mutter die vom Jobcenter vermittelte Arbeit immer angetreten, sich auch immer wieder auf eine Anstellung beworben. Auch die erforderlichen ärztlichen Bescheinigungen des Krankenhauses habe sie in den vergangenen Wochen stets fristgerecht für ihre Mutter im Jobcenter eingereicht.

Ihre Tochter weiß keinen Ausweg mehr

Doch nun erhielt die Mutter – noch während sie im Krankenhaus liegt – die Kündigung ihrer ALG II-Leistung und auch ihrer Krankenversicherung vom Jobcenter Duisburg. Anja S. ist fassungslos und ruft dort an. „Noch Anfang Februar habe ich nachgefragt, ob sie alle Unterlagen erhalten haben und ob alles in Ordnung sei. Und im Jobcenter meinte man, alles wäre o.k.“, sagt sie. „Eine Woche später kam dann die Kündigung. Und als ich erneut anrief, hieß es, meine Mutter stünde dem Arbeitsmarkt ja nun nicht mehr zur Verfügung, weshalb sie keinen Anspruch auf ALG II-Leistungen habe. Das hätte sie 2004 so vertraglich mit der Arge damals noch – wie alle Leistungsbezieher – vereinbart. Sie müsse sich nun um andere Sozialleistungen kümmern, hieß es dort.“

Anja S. ist empört: „Ich dachte, wir leben in einem Sozialstaat?“ Und sie ist verzweifelt. „Die Krankenkasse meinte, ich sollte mich schnell um andere Leistungen für meine Mutter kümmern, denn sonst käme eine sehr hohe Rechnung aus dem Krankenhaus auf mich zu“, so die 39-Jährige. „Meine Mutter selbst kann sich darum bestimmt nicht kümmern, ohne dass man riskieren würde, dass sich ihr Gesundheitszustand wieder verschlechtert.“ In ihrer Ausweglosigkeit wendet sie sich an diese Zeitung, die sich der Sache annimmt.

Die 61-Jährige ist kein Einzelfall

„Leider kommt so etwas gar nicht so selten vor“, sagt Rechtsanwalt Michael Keiten aus Rheinhausen. Vier bis fünf solcher Fälle habe er etwa pro Jahr, sagt der Jurist mit Tätigkeitsschwerpunkt Sozialrecht. „Und das ist schon ziemlich viel, wenn man bedenkt, wie wenige Menschen in der Stadt ALG II beziehen und in dieser Zeit so krank werden, dass sie sich stationär behandeln lassen müssen.“ Und natürlich auch, wenn man berücksichtigt, dass Michael Keiten nicht der einzige Anwalt in Duisburg ist, der solche Fälle bearbeitet, sofern die Betroffenen sich überhaupt einen Rechtsbeistand suchen.

In der Pressestelle der Sana Kliniken Duisburg, zu denen das Berta Krankenhaus in Rheinhausen gehört, fragen wir an, ob es solche Fälle häufiger gibt. Die Antwort fällt vage aus: „Es gibt Fälle, aber die sind alle sehr individuell gelagert. Es kommt darauf an, in welcher Situation die Patienten sind“, sagt Ute Kozber, zuständig für Marketing und PR in den Kliniken. Ob so etwas häufiger vorkommt, könne sie daher nicht sagen. „Aber unser Sozialdienst begleitet Patienten und auch Angehörige, wenn es Probleme gibt, geht mit ihnen zu Ämtern und hilft.“ Und dann fügt sie noch an: „Aber es gibt eine Pflicht der Sozialträger, diese Leistung auch im Krankheitsfall weiter laufen zu lassen, das ist gesetzlich so geregelt.“

Jobcenter will sich um Aufklärung bemühen

Ihre Argumentation erscheint nur logisch, schließlich fungiert das Jobcenter als Arbeitgeber und dieser darf seine Angestellten im Krankheitsfall auch nicht einfach kündigen. Doch es gibt eine andere rechtliche Grundlage, die hier zum Tragen komme, meint Rechtsanwalt Keiten: „§ 7, Satz 4, SGB II.“ Dort heißt es, dass „Leistungen nach diesem Buch erhält, wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist“. Denn tatsächlich kann der Leistungsbezug bei einem Krankenhausaufenthalt von mehr als sechs Monaten vom Jobcenter gekündigt werden.

Dass der Leistungsbezug – und damit auch die Krankenversicherung – vor Ablauf dieses Zeitraumes gekündigt werden, kommt, wie im Fall der 61-Jährigen, dennoch vor. Im Jobcenter heißt es dazu: „Selbstverständlich erhalten berechtigte Leistungsbezieher auch während eines Krankenhausaufenthalts, dessen Dauer unter sechs Monaten liegt, weiterhin Arbeitslosengeld II“, so Katrin Hugenberg, Pressesprecherin des Jobcenters Duisburg. Sollte es sich um Einzelfälle handeln, in denen anders verfahren wurde, werde sich das Jobcenter um Aufklärung bemühen. So die Theorie.

Sozialgericht ist völlig überlastet

Aus der Praxis berichtet Rechtsanwalt Michael Keiten, dass seine so gelagerten Fälle häufig auf eine einstweilige Verfügung gegen das Jobcenter Duisburg hinausliefen, „manchmal aber auch auf eine Klage“. Das Verfahren könne dann ein bis zwei Jahre dauern. „Denn das Sozialgericht in Duisburg ist völlig überlastet“. Am Ende gebe das Gericht meistens den Leistungsempfängern Recht, „denn es gibt eine Bundessozialgerichtsentscheidung von 2008, die hier Anwendung finden kann“, meint der Anwalt.

Anja S. hofft nun erst einmal auf eine tatsächlich schnelle Aufklärung des Sachverhalts durch das Jobcenter Duisburg. „Denn den Glauben in unseren Sozialstaat und unser System habe ich bei so einer Ungerechtigkeit fast verloren.“