Duisburg. 6-Seen-Wedau soll ein Duisburger Vorzeigeprojekt werden. Aber jetzt kritisieren die Wirtschaftsbetriebe die Stadt. Darum geht es in dem Streit.

Duisburg will Ruhrort zum ersten umweltneutralen Stadtteil der Welt machen – aber plant gleichzeitig Neubaugebiete, die zwar Wohnen im Grünen versprechen, doch alles andere als nachhaltig sind. Diesen Vorwurf muss sich aktuell das Mega-Städtebauprojekt 6-Seen-Wedau gefallen lassen. Das Brisante daran: Die Kritik an Duisburgs Stadtverwaltung, NRWs größtes innerstädtisches Bauprojekt sei nicht grün genug geplant, kommt ausgerechnet aus dem eigenen Haus.

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Konkret: von den Wirtschaftsbetrieben. Deren Äußerungen im Rahmen der Beteiligung öffentlicher Träger dokumentieren eine äußerst unterschiedliche Bewertung von 6-Seen-Wedau innerhalb des Konzerns Duisburg: Während die eine Stadttochter, die Gebag, sich als Flächenentwicklerin hochzufrieden zeigt, artikuliert die andere, die WBD, inhaltliche Unzufriedenheit.

6-Seen-Wedau: Wirtschaftsbetriebe Duisburg wollen mehr Klimaschutz

Zero Waste, Circular Economy: Die sperrigen Begriffe, die von den WBD als zukunftsnötig ausgemacht werden, bedeuten im Rahmen der Immobilienwirtschaft: Möglichst wenig Müll verursachen, beispielsweise Bau- oder Abbruchabfälle möglichst wiederverwerten. In Deutschland hat der Bausektor laut Deutscher Energieagentur den größten Ressourcenbedarf, gleichzeitig verursache er 55 Prozent der deutlich mehr als 400 Millionen Tonnen Müll, die pro Jahr anfallen. Die Wirtschaftsbetriebe fordern im Hinblick auf 6-Seen-Wedau, Zero Waste und Circular Economy „bereits in einem frühen Planungsstadium zu berücksichtigen“. Früh deshalb, weil Flächen und Mobilität anders geplant werden müssten, sollen solche Klimaschutzmaßnahmen Anwendung finden.

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Die Unterlagen aus der Beteiligung zu 6-Seen-Wedau dokumentieren auch die Antwort der Stadt: „Die in der Stellungnahme angesprochenen Aspekte Zero Waste und Circular Economy sowie veränderte Mobilitätsanforderungen und Flächenbedarfe sind keine festsetzungsrelevanten Punkte des vorliegenden Verfahrens.“ Anders ausgedrückt: Die Verwaltung fühlt sich nicht zuständig. Auch in anderer Hinsicht hatte die Stadt im Bebauungsplan auf Vorgaben weitgehend verzichtet; laut Gebag sollten Investoren möglichst vielfältige Entwürfe umsetzen können.

Carsharing, Lastenräder, E-Bike-Ladestationen: nicht eingeplant – aber möglich

Bei den Wirtschaftsbetrieben führt diese Zurückhaltung bei Vorgaben offenbar zu Frust. Angebote wie Carsharing, Ladestationen für E-Bikes, intelligente Müllbehälter (Smart Bins), die Abfall automatisch erkennen und sortieren können, Rückgabestationen für Altglas, Alttextilien, Elektroaltgeräte, verleihbare Lastenräder und mehr führen sie auf – und schließen: „Leider ist keiner der genannten Aspekte im Entwurf erkennbar berücksichtigt worden.“

Eine Möglichkeit für klimaverträglicheren Verkehr: Einkaufen mit dem Lastenfahrrad. Die Wirtschaftsbetriebe Duisburg wünschen sich eine Verleihstation in 6-Seen-Wedau.
Eine Möglichkeit für klimaverträglicheren Verkehr: Einkaufen mit dem Lastenfahrrad. Die Wirtschaftsbetriebe Duisburg wünschen sich eine Verleihstation in 6-Seen-Wedau. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Die Stadt kontert, bezogen auf Sharing-Angebote und sogenannte Smart Bins: Diese würden „nicht im vorhabenbezogenen Bebauungsplan festgesetzt, sind jedoch grundsätzlich möglich und können bedarfsabhängig und anbietergebunden umgesetzt werden.“ Immerhin: Standorte für die Entsorgung von Wertstoffen wie Altglas seien in 6-Seen-Wedau vorgesehen.

WBD: Einkaufen in 6-Seen-Wedau verbinden mit Nahverkehrsplanung

Ein Mobilitätshub – also ein Ort, an dem für alle nutzbare Fortbewegungsmittel wie Leihräder, E-Scooter oder auch Carsharing-Autos stehen – sei nach Kenntnis der Wirtschaftsbetriebe bislang auf einer Fläche nördlich des neuen Nahversorgungszentrums im Gespräch. Besser sei es, ihn direkt in den Einkaufsbereich zu integrieren, „gegebenenfalls auch zu Lasten von Flächen, die bisher für den motorisierten Individualverkehr vorgesehen sind“ – das würde der Sharing Economy an dieser Stelle Vorrang vor individuellem Pkw-Verkehr einräumen.

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Dort wünschen sich die WBD auch Reparaturangebote, zum Beispiel in den oberen Etagen von Supermarkt und Discounter oder im BASA-Gebäude und damit „in Bereichen, die von den Bewohnerinnen und Bewohnern von 6-Seen-Wedau im Rahmen ihrer täglichen Erledigungen sowieso angesteuert werden.“ Im ehemaligen BASA-Gebäude ist nach dessen Neubau eine Pizzeria geplant, darüber ein Veranstaltungsraum.

Die Stadt erteilt diesem Wunsch eine Absage: Im Nahversorgungszentrum sei kein Platz für einen Mobilitätshub.

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Droht 6-Seen-Wedau also zu einem wenig zukunftsfähigen, wenig smarten Wohnquartier zu werden? Nach der Argumentation der Wirtschaftsbetriebe sieht es derzeit so aus: Denn dafür seien Sharing Economy und eine zukunftsfähige Mobilität ein „notwendiger Bestandteil“. Dem dürfte auch Bernd Wortmeyer nicht widersprechen: Laut Geschäftsführer der Flächenentwicklerin Gebag müssen „umweltfreundliche Mobilität und klimagerechte Architektur in allen neuen Quartieren in unseren Städten eine Rolle spielen.“

>> WIRTSCHAFTSBETRIEBE UND GEBAG: „ARBEITEN KONSTRUKTIV ZUSAMMEN“

Zu diesem Bericht über die Kritik der Wirtschaftsbetriebe am Neubaugebiet 6-Seen-Wedau schicken WBD und Gebag eine Stellungnahme. Beide betonen ihre konstruktive Zusammenarbeit.

„Wir möchten an dieser Stelle noch einmal betonen, dass die neue Urbanität beim Projekt 6-Seen-Wedau natürlich genauso vorangetrieben wird, wie wir es mit der Stadt Duisburg, den Wirtschaftsbetrieben und anderen Partnern gemeinschaftlich erarbeitet haben“, erklärt Gebag-Geschäftsführer Bernd Wortmeyer. „Wir haben immer erklärt, dass wir bei allen neuen Quartieren umweltfreundliche Mobilität und klimagerechte Architektur in hohem Maße berücksichtigen werden – dazu stehen wir, und da herrscht zwischen allen Partnern völlige Einigkeit.“

Die Stellungnahmen der Wirtschaftsbetriebe Duisburg im Bebauungsplanverfahren gehöre zum normalen Verfahrensablauf und betreffe nur formale Aspekte bei der Nachsteuerung des Bebauungsplans für das Nahversorgungszentrum. Die Anregungen der WBD könnten zwar nicht im Bebauungsplanverfahren berücksichtigt werden, aber dennoch umgesetzt werden. „Genau dies wird auch erfolgen.“ Man wolle „alle unsere Ansätze für ein innovatives und nachhaltiges Quartier umsetzen“, kündigt Thomas Patermann an, Sprecher des WBD-Vorstands.