Duisburg. Corona änderte für Silke Berner-Cakic alles: Sie leidet an einer unheilbaren Krankheit, braucht einen Rollator. So zeigten sich erste Symptome.
„Eigentlich muss ich jeden Morgen weinen“: Drei Jahre ist es her, als sich die Altenpflegerin Silke Berner-Cakic bei der Arbeit mit dem Corona-Virus infizierte. Seitdem ist nichts mehr so wie früher.
Mit ihrem Mann Dejan, der ebenfalls erkrankte, gründete sie 2021 eine Selbsthilfegruppe. Gegenseitig geben sich die Betroffenen aus Duisburg und Umgebung Tipps, informieren sich bei Experten und machen sich Mut, wenn andere von Long-Covid nichts mehr hören wollen.
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Anfangs ging Silke Berner-Cakic noch arbeiten, hielt allerdings keine ganze Schicht mehr durch. Die 46-Jährige war oft müde, auch viel Schlaf half nicht. „Mein Akku ist nie ganz aufgeladen.“ Ärzte diagnostizierten später bei ihr „Myalgische Enzephalomyelitis“ (ME/CFS), das sogenannte chronische Fatigue-Syndrom.
In Deutschland leiden nach Schätzungen von Experten rund 500.000 Menschen an ME/CFS, darunter 80.000 Kinder und Jugendliche. Laut der deutschen Gesellschaft für ME/CFS erkranken Frauen dreimal häufiger als Männer. Dennoch ist die Krankheit kaum bekannt. Bisher gilt sie als unheilbar. Betroffene leiden etwa unter Muskel- und Kopfschmerzen sowie chronischer Erschöpfung.
Duisburgerin: Auf Überanstrengung folgt ein „Crash“
Ihre Kräfte muss sich Silke Berner-Cakic genau einteilen: Geht sie einkaufen oder zum Arzt? „Zwei Termine pro Tag schaffe ich momentan nicht.“ Wenn sie sich übernimmt, kommt ein sogenannter Crash. „Dann muss ich mich hinlegen, bekomme Kopfschmerzen. Das dauert manchmal zwei Tage, bis es mir wieder besser geht.“
Die 46-Jährige hat gelernt, dass sie Tempo rausnehmen muss. Treffen mit Freunden sind selten geworden. Nicht alle haben Verständnis dafür, wenn sie kurzfristig absagt, weil es ihr nicht gut geht. „Zu meinen alten Arbeitskollegen habe ich kaum noch Kontakt. Der Kreis ist sehr eng geworden.“
Auch ihr Mann Dejan Cakic leidet an Covid-Folgen. „Ich hatte eine Lungenembolie, habe heute noch Panikattacken und Schmerzen. Früher habe ich mal eine Kopfschmerztablette genommen, jetzt muss ich acht Tabletten pro Tag nehmen.“ Woher seine Schmerzen genau kommen, habe bisher noch kein Arzt herausgefunden. „Viel wird auf die Psyche geschoben“, weiß Cakic. Er war in einer psychosomatischen Reha, hat beispielsweise Ergotherapie bekommen, aber wirklich etwas verbessert habe sich nicht.
Auseinandersetzung mit Ämtern kostet Kraft
Kraft kostet ihn auch die Auseinandersetzung mit Ämtern. „In der Reha hat man mir bescheinigt, dass ich wieder acht Stunden pro Tag arbeiten kann. Aber wie soll das gehen?“ Das Arbeitslosengeld I sei inzwischen ausgelaufen. Für das Arbeitsamt habe er sich in dieser Zeit auf andere Stellen bewerben müssen und sollte zu einem Training gehen. „Ich kann nicht mehr Bus fahren. Die anderen Menschen, dann bekomm‘ ich Panik. Zu den Ärzten fahren wir mit dem Taxi“, schildert er.
Mittlerweile wurden beispielsweise seine Arztbriefe und Medikamentenpläne von Fachleuten des Arbeitsamtes begutachtet. Demnächst soll entschieden werden, ob ihm eine Erwerbsminderungsrente zusteht.
Diese bekommt Silke Berner-Cakic schon seit eineinhalb Jahren. Bald steht eine Verlängerung an, so hofft sie. „Ich kann nur noch am Rollator laufen und manchmal brauche ich auch einen Rollstuhl.“ Auch die Konzentration hat nachgelassen. Längere Texte könne sie beispielsweise kaum noch lesen. Sie hat eine 50-prozentige Schwerbehinderung attestiert bekommen und Pflegestufe zwei.
Da sie sich auf der Arbeit angesteckt hat, werde nun noch von der Berufsgenossenschaft geprüft, ob es sich um einen Arbeitsunfall handele. „Das dauert alles lange und man muss viel erklären.“ Zu den gesundheitlichen Sorgen kommen allmählich auch die finanziellen. „Bei anderen in der Selbsthilfegruppe kann wenigstens ein Partner normal arbeiten gehen. Aber wir sind ja beide betroffen.“
Oft habe sie sich gefragt, warum ausgerechnet sie an der Krankheit leide. „Aber diese Gedanken führen zu nichts“, weiß sie. Stattdessen versucht sie, sich jeden Tag etwas Schönes vorzunehmen. Von einem Arzt hat sie gehört, dass es Patienten gebe, die nach fünf Jahren etwa wieder 70 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben. Das gibt ihr Hoffnung an Tagen, an denen sie sich wieder besonders erschöpft fühlt. Mit Blick auf ihre heutige Situation ist sie froh, dass sie früher so viel unternommen hat. „Ich wollte mal Archäologin werden und habe an Grabungen teilgenommen.“ Auch der wunderschöne Urlaub in Irland wäre momentan undenkbar. „Ich würde mir wünschen, wenn zu ME/CFS mehr geforscht würde und die Leute mehr Verständnis zeigen würden.“
>> Schwierige Suche nach Hilfsangeboten
Die Selbsthilfegruppe von Silke Berner-Cakic trifft sich jeden Mittwochabend online. Momentan ist die Gruppe eigentlich voll, dennoch können sich interessierte Betroffene bei Silke Berner-Cakic melden: si-berner@t-online.de.
In der Abteilung für Pneumologie im St. Johannes Hospital im Duisburger Norden werden momentan nur noch vereinzelt Patienten behandelt, die von Long Covid betroffen sind. „Die Symptome sind unterschiedlich und reichen von anhaltender Luftnot über Wortfindungsstörungen bis hin zum sogenannten Fatigue-Syndrom“, erklärt Kathrin Gießelmann, Sprecher des Helios Klinikum Duisburg. Generell finde die Versorgung dieser Patienten aber eher im ambulanten Bereich statt. „In unserer Reha-Einrichtung, der Helios Rhein Klinik in Duisburg-Beeckerwerth, können zudem geriatrische Patienten aufgenommen werden, wenn die Krankenkasse die Diagnose Long Covid bestätigt.“
Christopher Schneider, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, verweist auf die Hausärzte, die eine Therapie „einleiten und begleiten können“: „Gerade mit Blick auf das breite Feld Long Covid befindet sich der allgemeine medizinische Forschungsstand momentan noch im laufenden Prozess, insbesondere aufgrund der Vielzahl an möglichen Symptomen.“