Duisburg. Bei den „Chancenpatenschaften“ haben Freiwillige schon 600 Geflüchtete begleitet. Von harten Schicksalen und Erfolgsgeschichten – vier Beispiele.

Krieg, Zwangsheirat, Verfolgung – es gibt viele Gründe, warum Menschen die Flucht nach Deutschland ergreifen. Seit der Flüchtlingskrise 2015/16 steht das Thema ganz oben auf der Liste der Kommunen. „Sprachkurse und Wohnraum gab es genug, aber mit der Arbeitsvermittlung hat es damals nicht gut geklappt“, sagt Jörg Löbe, Vorsitzender der Bürgerstiftung Duisburg. Deshalb entschied sich die Bürgerstiftung 2015 dazu, das Projekt „DU bist willkommen – Chancenpatenschaften” ins Leben zu rufen. Es soll Geflüchtete dabei unterstützen, in Duisburg Fuß zu fassen.

Ehrenamtliche Patinnen und Paten helfen den Geflüchteten seither bei alltäglichen Problemen, beispielsweise der Auseinandersetzung mit den Behörden. Aber auch ihre Freizeit verbringen Paten-Duos gemeinsam, etwa beim Kaffeetrinken oder Sport. „Das ist besonders wichtig”, sagt Jürgen Simeth. Denn nur so gelinge es den Geflüchteten, die oft traumatische Ereignisse erlebt haben, auch mal herauszukommen und den Kopf frei zu kriegen.

„DU bist willkommen – Chancenpatenschaften“: Duisburger begleiteten mehr als 600 Geflüchtete

Simeth begleitet einerseits mehrere Geflüchtete als ehrenamtlicher Pate, andererseits koordiniert er als Projektleiter für die Bürgerstiftung die Chancenpatenschaften. Die Stiftung steht als stetiger Begleiter der Paten-Duos und unterstützt zusätzlich bei der Wohnungs-, Arbeits- und Ausbildungssuche. Mehr als 600 Geflüchtete und Duisburger hat sie nach eigenen Angaben inzwischen zusammengebracht.

Damie Tshiunza aus dem Kongo: Der Überlebenskampf geht weiter, nur anders

Unter anderem Damie Tshiunza wird von Jürgen Simeth unterstützt. In der Demokratischen Republik Kongo war er als Menschenrechtsaktivist tätig. Seine Anwälte bewahrten ihn gerade noch rechtzeitig vor einer Inhaftierung. Dann entschloss er sich 2016, sein Heimatland zu verlassen, da die Sicherheits- und Versorgungslage in den kongolesischen Gefängnissen äußerst schlecht ist. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisieren die „entsetzlichen Haftbedingungen“ im Kongo.

Damie Tshiunza wird von Jürgen Simeth unterstützt.
Damie Tshiunza wird von Jürgen Simeth unterstützt. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Mithilfe der Bürgerstiftung fand Tshiunza einen Job als Reinigungskraft am Flughafen Düsseldorf. Dieser reichte aus, um sich und seine Familie mit Essen zu versorgen und die Wohnung zu bezahlen. Doch im Herbst 2023 lief seine Duldung ab. Daraufhin verlor er im März seinen Job. Auch auf Bürgergeld hat er ohne Duldung keinen Anspruch mehr. Die Schulden häuften sich an und ohne die Vermittlung durch die Bürgerstiftung hätte seine Familie schon längst die Wohnung verloren.

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„Ohne Pass keine Arbeit, ohne Arbeit kein Geld, ohne Geld kein Essen“, sagt Simeth. Aus diesem Grund unterstützt er Tshiunza aktuell sogar finanziell, obwohl das natürlich für keinen Paten verpflichtend sei. Doch Familie Tshiunza, insbesondere das neugeborene Baby, ist auf Simeths Geld dringend angewiesen. Denn die Tafel sei aktuell völlig überlastet und Babynahrung kaum erhältlich. Hinzu kommt, dass das Paar vom Standesamt noch keine Geburtsurkunde für das Neugeborene erhalten hat. Damit fällt auch der Anspruch auf das Kindergeld weg.

Adama Bah aus Guinea: Flucht vor der Zwangsheirat – dann ein Arbeitsunfall

In einer ebenso dramatischen Situation befindet sich Adama Bah. Sie flüchtete 2019 aus Guinea, da sie dort mit 18 Jahren zwangsverheiratet wurde. Mit ihrem Ex-Mann bekam sie zwei Kinder. Sie berichtet davon, dass viele ihrer Bekannten in Guinea aus religiösen Gründen sogar schon mit 14 oder 15 Jahren heiraten mussten. Doch das Leben in einer unglücklichen Beziehung und nach strengen religiösen Vorschriften war für sie keine Option, weshalb sie nach Deutschland kam.

Hier machte sie zunächst ihren Hauptschulabschluss. Auf der Suche nach einer Ausbildung kam ihr ein Flyer der Bürgerstiftung in die Hände. Diese vermittelte Bah an ihre aktuelle Patin, welche sie dazu ermutigte, ihre Mittlere Reife zu machen. Anschließend machte sie eine Ausbildung in einer Bäckerei. Nachdem sie durch einen Arbeitsunfall ihren Finger verloren hatte, musste sie ihre Ausbildung nach zwei Jahren vorzeitig abbrechen.

Adama Bah ist der Bürgerstiftung sehr dankbar.
Adama Bah ist der Bürgerstiftung sehr dankbar. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Nun ist Adama Bah auf der Suche nach einer neuen Ausbildung. Am liebsten würde sie im Einzelhandel arbeiten. Doch das könnte schwierig werden, da sie ihre Hand mit dem abgetrennten Finger nicht zu sehr belasten kann. Deshalb wird es wahrscheinlich ein Pflegeberuf werden, wenn alles gut läuft.

Dabei kann sie weiterhin auf die Unterstützung ihrer Patin zählen, mit der sie mittlerweile eine gute Freundschaft pflegt. Sie ist der Bürgerstiftung sehr dankbar, dass sie ihr in dieser schwierigen Zeit stets helfend zur Seite stand. So half die Bürgerstiftung auch, für ihren neuen Freund eine Ausbildung zu finden.

Deler Abdulrahman aus Aleppo will Lokführer oder Busfahrer werden

Deler Abdulrahman wird zurzeit ebenfalls von Simeth unterstützt. Er und seine Familie flohen 2016 aus der im syrischen Bürgerkrieg stark umkämpften Stadt Aleppo zunächst in die Türkei. Kurze Zeit später ging es für sie weiter nach Deutschland. Den Kontakt zur Bürgerstiftung fand der Moerser auf der diesjährigen Jobmesse „Karriere in Duisburg“, die in Trägerschaft der Bürgerstiftung organisiert wurde. Sein Traum ist es, Lokführer oder Busfahrer zu werden. Auf der Jobmesse ist er schon mit einigen Unternehmen in Kontakt getreten. Simeth hilft ihm nun dabei, seinen Traum zu realisieren.

Deler Abdulrahman will Lokführer oder Busfahrer werden.
Deler Abdulrahman will Lokführer oder Busfahrer werden. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Mohamed Aljahi aus Syrien – arbeitet in einer Kfz-Werkstatt zweier Landsmänner

Ähnlich gut läuft es für Mohamed Aljahi. Er floh 2015 ebenfalls vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Mit der Bürgerstiftung kam er über einen Sozialarbeiter in Kontakt. Simeth vermittelte ihm eine Ausbildungsstelle in der Kfz-Werkstatt Arafeh, die von zwei syrischen Geflüchteten betrieben wird.

Sie waren damals selbst Teil des Patenschaftsprojekts. „Ich fühle mich mit der Arbeit dort richtig wohl“, sagt Aljahi. Deshalb will er nach seiner Ausbildung seinen Meister machen, damit er irgendwann eine eigene Werkstatt eröffnen kann.

Mohamed Alhaji will nach seiner Ausbildung Handwerksmeister werden.
Mohamed Alhaji will nach seiner Ausbildung Handwerksmeister werden. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Das Projekt bietet Beispiele für gelungene Integration

„Solche Geschichten sind der Grund, warum das Projekt ins Leben gerufen wurde“, sagt Simeth. Außerdem profitieren aktuelle Neuankömmlinge von den Erfolgen Geflüchteter, die es mithilfe der Patenschaft geschafft haben, ein eigenständiges Leben in Duisburg aufzubauen.

Weil viele dankbar für die Unterstützung sind, die sie von der Bürgerstiftung und ihren Paten bekommen haben, engagieren sich heute einige dieser Geflüchteten selbst als Paten im Projekt. So hilft der aus dem Kongo Geflüchtete Paul Kalenda, der mittlerweile ein afrikanisches Restaurant in Ruhrort betreibt, Tshiunza bei seinen alltäglichen Problemen sowie bei seinen sprachlichen Schwierigkeiten.

Axel Gawehn mit seinen sogenannten Mentis Adama Bah und Dane Tshiunza.
Axel Gawehn mit seinen sogenannten Mentis Adama Bah und Dane Tshiunza. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Simeth berichtet außerdem von einem Arzt aus Syrien, der mittlerweile eine Klinik für Schönheitsoperationen betreibt und sich in der medizinischen Flüchtlingshilfe engagiert. Er unterstützte die Bürgerstiftung vor allem während der Pandemie bei den für Zusammentreffen notwendigen Corona-Tests und leistete wichtige Aufklärungsarbeit unter den Geflüchteten zur Impfkampagne.

Auch die Paten profitieren – und finden manchmal Freunde

Nicht nur die Geflüchteten profitieren von dem Projekt. Häufig entwickeln sich aus den Paten-Duos enge Freundschaften, sagt Simeth. Die Patenschaft sei insgesamt eine Bereicherung für das Leben, findet er. Er lerne viel über andere Kulturen und über den persönlichen Umgang mit Menschen.

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Deshalb möchte er alteingesessene Duisburger dazu ermutigen, sich als Paten zu engagieren. Denn die Nachfrage aus den Communitys der Geflüchteten ist durch eine funktionierende Mundpropaganda besonders hoch. Allerdings fehlt es an ehrenamtlichen Paten, um den Bedürfnissen der Geflüchteten nachzukommen.

>> BÜRGERSTIFTUNG DUISBURG SUCHT EHRENAMTLICHE PATEN

Die Anforderungen an die Paten sind bewusst niedrigschwellig gehalten. Alles basiert auf freiwilliger Basis und man ist gegenüber niemandem rechenschaftspflichtig.

Zwar entscheidet allein das Paten-Duo über die Intensität und Dauer des Engagements, jedoch empfiehlt Jürgen Simeth, dass man sich mindestens eine Stunde pro Woche Zeit nehmen sollte, um mit dem Geflüchteten in den Dialog zu treten und gegebenenfalls zu unterstützen.

Wer Interesse an einer Patenschaft hat, kann sich telefonisch bei der Bürgerstiftung Duisburg melden: 0203 39 65 120.

Die Bürgerstiftung Duisburg ist eine gemeinnützige Aktiengesellschaft. Neben den Chancenpatenschaften haben sie viele weitere Projekte. Mehr Informationen dazu gibt es im INternet unter buergerstiftung-duisburg.de/home/was-wir-machen