Duisburg. Das Emmet Cohen Trio eröffnet das Klavierfestival Ruhr 2024. Wieso das Konzert zugleich auf hohem Niveau enttäuschte und verzauberte.
Kann man etwas zu perfekt machen? Ansichtssache. Aber der US-amerikanische Pianist Emmet Cohen liefert beim Eröffnungskonzert des Klavierfestivals Ruhr 2024 am Freitag in der Duisburger Mercatorhalle ein ziemlich überzeugendes Argument dafür, dass das in der Tat passieren kann.
Nicht falsch verstehen! Was Emmet Cohen mit seinen Kollegen Philip Norris (Bass) und Kyle Poole (Schlagzeug) an diesem Freitagabend abliefert, ist wirklich Weltklasse. Ein perfekt eingespieltes Trio, eine perfekte Dramaturgie in ihrem knapp 90-minütigen Konzert, perfekte Arrangements. Aber das ist der springende Punkt: Vor lauter Perfektion bleibt das Gefühl auf der Strecke, vor lauter Können das unverwechselbar Charakteristische.
Eröffnung des Klavier-Festivals Ruhr in Duisburg: Meckern auf hohem Niveau
Dass Emmet Cohen großer Fan von Oscar Peterson ist, kann man kaum überhören. Technisch ist er seinem Vorbild wahrscheinlich sogar voraus. Bloß: Diese Technik mit echter Emotion zu füllen, mit Freude an der Musik, das gelingt dem Pianisten in Duisburg nur selten. Es ist alles sehr glatt, fast zu gekonnt, zu steril, und vor allem: zu viel. Das mag Krittelei auf ziemlich hohem Niveau sein, aber irgendwie ist es doch schade, dass gerade dieses Jazzkonzert hinter den hohen Erwartungen zurückbleibt – wo doch in der ersten Saison unter dem Dirigat von Katrin Zagrosek erstmals der Jazz das Klavier-Festival Ruhr eröffnen darf.
Aber wo Schatten ist, ist auch Licht. Und das heißt an diesem Freitagabend: Kyle Poole! Der junge Schlagzeuger (30) ist eine Offenbarung, so organisch, gefühlvoll, geschmack- und zugleich kraftvoll wie der Amerikaner sein Instrument spielt, sprengt er dessen Grenzen. Das Schlagzeug wird mehr als ein Rhythmusinstrument; oft genug führt Poole die ganze Band, ist der musikalische wie emotionale Ankerpunkt der Combo. Nicht einmal bezogen auf seine hervorragenden Soli, sondern ganz besonders dann, wenn er „nur“ begleitet. In jedem Besenstrich, in jedem Schlag auf eine Trommel steckt unbändige Musikalität, das Drumset wird zum Harmonie- und Melodieinstrument gleichermaßen.
Kyle Poole wächst über sein Instrument hinaus: Zauber beim Klavier-Festival Ruhr
Das merkt auch das Publikum, das sich begeistert zu Standing Ovations und Szenenapplaus hinreißen lassen. Aber sei es nun bewusst oder aus dem Gefühl des Moments heraus: Wenn Kyle Poole beklatscht wird, hält der Applaus am längsten, da gibt es sogar Jubelrufe, die so gar nicht zu der traditionell gesetzten und schlipsbewehrten Aura der Klavier-Festival-Eröffnung passen wollen. So oder so steht aber fest, dass mit Kyle Poole ein Musiker am Schlagzeug sitzt, der über die Grenzen seines Instruments hinauswächst, der den Schlag auf ein Trommelfell zu empfindsamer Musik machen kann. Ja, das ganze heißt „Klavier-Festival Ruhr“. Aber an diesem Freitag ist es eigentlich ein Schlagzeug-Festival Ruhr.
Wie bei seinen Mitstreitern sprechen wir auch beim Bassisten Philip Norris von einem Weltklasse-Musiker. Bloß trifft ihn ein Schicksal, das die Bassisten dieser Erde vereint: Wichtig sein, aber oft in der Hitze des Gefechts untergehen. Wenn er seinen Bass „singen“ lässt, blitzt sein Können kurz auf, aber zwischen dem Jazz-Star Emmet Cohen und der Offenbarung Kyle Poole passt Norris irgendwie gut zu Duisburg. Er ist der Malocher in dieser Combo. Hält den Laden zusammen – aber wie wichtig er ist, würde man erst merken, wenn er nicht mehr da wäre.
Im Jahr 1 nach Franz Xaver Ohnesorg betonte NRW-Kulturministerin Ina Brandes (CDU), dass „viele von uns jetzt an ihn denken“ und dies auch eine Form von Weiterleben sei („der Applaus ist jetzt für ihn, er wird ihn hören“). Dass zum Auftakt Knirpse von einer Gemeinschaftsgrundschule in Marxloh zu Rhythmen von Emmet Cohen & Co tanzten, nannte Eon-Chef Leonhard Birnbaum als Schirmherr der diesjährigen Festival-Ausgabe den „besten Start“ und zeigte sich tief berührt von der Wirkung musikalischer Bildung. Auch deshalb sprach die neue Chefin Katrin Zagrosek beim Empfang nach dem Eröffnungskonzert von einem „Festival der Herzen“.
War das jetzt ein exzellentes Eröffnungskonzert des Klavier-Festivals Ruhr? Ansichtssache. Ein denkwürdiges und gutes war es auf jeden Fall, mit einer paradoxen Ernüchterung auf hohem Niveau (Emmet Cohen), mit bavourösen Arbeitstieren (Philip Norris) und zauberhaften Musikern, die dann doch wieder an die unvergleichbare Magie der Musik glauben lassen: Kyle Poole.