Duisburg. Der Jobabbau bei Thyssenkrupp trifft Duisburg besonders hart. In der Stadt gibt es viel Kritik am Konzern – und eine riesige Betriebsversammlung.
Deutschlands größter Stahl-Hersteller Thyssenkrupp Steel (TKS) will die Produktion um fast ein Viertel reduzieren (wir berichteten). Nach offiziellen Angaben des Unternehmens sei „noch nicht bezifferbar“, wie viele Arbeitsplätze in NRW wegfallen, wenn der Konzern jährlich statt 11,5 Millionen Tonnen nur noch neun bis 9,5 Millionen Tonnen herstellt. Sicher aber ist: Die Einschnitte und der Jobabbau werden Duisburg und die Belegschaften hier besonders hart treffen. Wieder einmal. Mit einer Produktion von rund 16,4 Millionen Tonnen pro Jahr ist die Stadt an Rhein und Ruhr noch immer der größte Stahlstandort Europas – hier arbeiten etwa 13.500 der 27.000 TKS-Beschäftigten. Die Entscheidung des Konzerns treffe den Stahlstandort „ins Mark“, verdeutlicht IHK-Geschäftsführer Dr. Stefan Dietzfelbinger.
Die ersten Reaktionen aus der gefährdeten Stahl-Hochburg zeigen: Nicht nur Vertreter der Belegschaft kritisieren die Konzernspitze aus unterschiedlichsten Gründen – und auch die Politik steht nun verschärft im Fokus.
Thyssenkrupp reduziert Stahl-Produktion – Betriebsrat fordert Ausschluss von Kündigungen
Ali Güzel, Vorsitzender des Betriebsrats am größten Thyssenkrupp-Stahlstandort Hamborn-Beeckerwerth, nennt die Ankündigungen des Steel-Vorstands „besorgniserregend“. Er stellt klar: „Wir haben einen gültigen Tarifvertrag Zukunft Stahl 20-30, der bis März 2026 gilt und den Erhalt der Standorte regelt und betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. Hier ziehen wir eine rote Linie: Tarifverträge bricht man nicht!“ Der Gesamtbetriebsrat der Stahlsparte und die IG Metall NRW erklärten am Freitag: Sie wollen mit dem Vorstand über den Kapazitätsabbau nur sprechen, wenn zuvor betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden.
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Karsten Kaus führt als Erster Bevollmächtigter der IG Metall Duisburg-Dinslaken (etwa 34.000 Mitglieder) eine der größten Geschäftsstellen der Industriegewerkschaft. Er kritisiert am Freitag gegenüber unserer Redaktion nicht nur, dass die Verantwortlichen der Thyssenkrupp Steel Europe AG über die Ankündigung der Produktionsreduzierung hinaus „noch keine weiteren Konzepte“ vorgelegt hätten, auch bei einer Konferenz mit über 200 Betriebsräten am Freitag in Essen nicht.
Riesige Betriebsversammlung in der MSV-Arena am 30. April
Kaus bemängelt darüber hinaus die Informationspolitik der Verantwortlichen in Sparte und Gesamtkonzern aktuell und in den vergangenen Monaten: „Wenn man immer nur über die Presse kommuniziert statt direkt mit den Beschäftigten, macht das unruhig und schürt Ängste.“ Es sei für die Belegschaft „wenig wertschätzend“, wenn „Informationen scheibchenweise an die Öffentlichkeit geraten. Das muss sich ändern. Wir erwarten, dass die Vorstände aus Essen und Duisburg klarer und direkter kommunizieren.“
Auch darum habe man die Unternehmensspitzen und Thyssenkrupp-Chef Miguel López zu einer Betriebsversammlung am 30. April in die Duisburger Schauinsland-Reisen-Arena eingeladen. Das Stadion könnte am Tag vor dem Tag der Arbeit also voller als bei den meisten Heimspielen des MSV Duisburg werden: Beschäftigte von allen NRW-Standorten sollen mit Bussen nach Duisburg gebracht werden.
HKM-Betriebsratsvorsitzender: „Nicht gegeneinander ausspielen lassen“
Mit Anspannung und Sorge verfolgen auch die 3200 Beschäftigten der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (Stammbelegschaft) die Nachrichten bei TKS. Das zweitgrößte deutsche Hüttenwerk liefert den HKM-Gesellschaftern Thyssenkrupp Steel (50 % Anteile), Salzgitter Mannesmann (30 %) und Vallourec (20 %) Vormaterial und Koks.
Auch für Marco Gasse, Vorsitzender des Betriebsrats der HKM, kamen die schlechten Nachrichten nicht überraschend. Schließlich werde seit Wochen über bevorstehende Einschnitte berichtet und spekuliert. „Die Unruhe ist auch bei uns ja schon viel länger da. Jetzt wissen wir zwar immer noch nichts Konkretes, aber eine erste Zahl.“
Was Gasse jetzt, „in dieser Unruhe in schwierigen Zeiten der Transformation“ besonders wichtig ist: Die Belegschaften im Thyssenkrupp-Konzern „stehen geschlossen zusammen“, über Unternehmen, Anlagen und Standorte in Duisburg und NRW hinweg, betont er. Man werde sich nicht spalten, „nicht gegeneinander ausspielen lassen“. Ein Zeichen dafür sei: „Unsere gesamte Belegschaft kann an der Betriebsversammlung von Thyssenkrupp Steel teilnehmen. Diese Einladung nehmen wir in der Hoffnung auf mehr Klarheit an.“
Duisburgs OB Link: „Betriebsbedingte Kündigungen vermeiden“
Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link fordert das „Management von Thyssenkrupp und HKM auf, den Geist und die Grundregeln der Montanmitbestimmung zu respektieren, um eine faire, rechtzeitige Beteiligung aller zu gewährleisten“ und betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Der Erhalt von Arbeitsplätzen in Duisburg müsse neben den wirtschaftlich notwendigen Entscheidungen „höchste Priorität haben“.
Bei der geplanten Produktion von klimaneutralem Stahl habe sich Duisburg „mit an der Spitze dieses Prozesses positioniert“, so Link. „Als Stadt setzen wir weiter auf die Transformation zu grünem Stahl.“ Tausende Mitarbeiter zwischen Hamborn und Hüttenheim seien „das Rückgrat der Stahlindustrie in Duisburg“ und Duisburg „das Herz der Stahlindustrie in Europa. Das muss auch in Zukunft so bleiben.“
Der Wirtschaftsdezernent der Stadt, Michael Rüscher, fordert „sehr zeitnah“ Gespräche zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite: „Insbesondere die vielen Beschäftigten in Duisburg haben es verdient, so schnell wie möglich und mit Sicherheit zu wissen, wie es nach der Beschäftigungsgarantie weitergehen soll“.
IHK-Chef: „Entscheidung muss Politik aufwecken!“
Für Dr. Stefan Dietzfelbinger, Geschäftsführer der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer in Duisburg, zeigt die Entscheidung des kriselnden Stahlriesen indes „deutlich, wie sehr die politischen Bedingungen unsere Industrie belasten“. Der angekündigte Produktionsabbau müsse die „Politik aufwecken“, appelliert er: „Unsere Unternehmen verlieren im Wettbewerb an Kraft. Die hohen Energiepreise, die komplizierten Verfahren und die Vorgaben rächen sich. Schwächelt die Stahlbranche, wirkt sich das auf die ganze Wirtschaft aus – weit über die Grenzen von Duisburg und NRW hinaus.“
Der IHK-Chef bewertet das Tempo, mit dem „die Politik auf die bekannten Probleme“ der Wirtschaft reagiere, als „inakzeptabel. Die De-Industrialisierung ist in vollem Gange. Bund und Land sind gefordert, unsere Unternehmen zu entlasten. Und zwar sofort.“ Die TKS-Entscheidung müsse die „Politik aufwecken“.
Wirtschaftsförderer Beck: „Transformation hinkt hinterher“
Rasmus C. Beck, Geschäftsführer der Duisburger Wirtschaftsförderung DBI, beklagt einerseits einen „harten Einschnitt, der schmerzt, weil er mit dem Verlust von Arbeitsplätzen einhergehen wird und der Region und den Menschen, die hier leben und arbeiten, eine Wunde zufügt. Wieder einmal.“
Umso wichtiger seien die „echten Perspektiven“ durch die Umstellung der Stahlindustrie auf neue Technologien mit grünem Wasserstoff als Energieträger. Es seien zwar zwei Milliarden Euro Fördergeld für die Entwicklung einer neuen Grünstahl-Anlage zugesagt, „doch die Transformation weiterer Hochöfen und der Aufbau einer umfassenden Wasserstoffinfrastruktur ist noch nicht politisch beschlossen und hinkt durch die unklare Finanzierung hinterher“, kritisiert Beck.
Felix Banaszak (MdB): Chance zu profitabler Produktion durch Transformation nutzen
Der Thyssenkrupp-Vorstand „scheint die Gepflogenheiten der Montanmitbestimmung bislang nicht ausreichend verinnerlicht zu haben“, meint der Duisburger Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak (Bündnis 90/Die Grünen). Banaszak sieht in der Entscheidung des Konzerns zwar ebenfalls einen „herben Schlag für Duisburg und die Beschäftigten“. Der Berichterstatter für die Stahlindustrie im Wirtschaftsausschuss des Bundestags erkennt aber auch eine „Chance“, den Standort „nachhaltig und profitabel aufzustellen“. Auf dieses Ziel aber müssten sich alle Beteiligten einigen: „Die Ampel im Bund und die schwarz-grüne Landesregierung haben mit ihrer Förderzusage für die Direktreduktionsanlage am Standort Duisburg die klare Botschaft gesendet: Wir glauben an den Stahl und an eine erfolgreiche Transformation.“
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Es dürfe fortan darum nicht um eine „schleichende Abwicklung der Stahlproduktion“ gehen – nicht darum, die Stahlsparte des Konzerns „möglichst klein zu schrumpfen, um sie leichter verkaufen zu können“. Das wäre für Beschäftigte und Region „desaströs“, so Banaszak. Auch weil Deutschland eine starke Stahlindustrie brauche, müsse das Ziel „eine Neuaufstellung zur Sicherung des Standorts Duisburg“ sein. Dieser könne dauerhaft „nur mit einem erfolgreichen und ambitionierten Umbau zur klimaneutralen Produktion erhalten bleiben“. Die Transformation sei „keine Gefahr, sondern die große Chance für die Zukunft“. Darum müssten dem Bau der ersten Direktreduktionsanlage im Duisburger Norden weitere Schritte folgen.
SPD: „Strahlkraft für ganz Deutschland“
Die SPD-Landesgruppe in der Bundestagsfraktion der Partei betont indes die „Bedeutung von Thyssenkrupp weit über Duisburg, das Ruhrgebiet und NRW hinaus“. Viele Firmen seien als weiterverarbeitende Industrie „vom qualitativ hochwertigen Stahl aus Duisburg abhängig“. Die angekündigten Veränderungen hätten „Strahlkraft auf ganz Deutschland“.
Darum seien die „ernsthafte Prüfung von Staatsbürgschaften“ oder die Förderung CO₂-mindernder Techniken für Thyssenkrupp „mitnichten Subventionen“, argumentiert der Duisburger SPD-Chef und Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir: „Vielmehr können wir damit die Herstellung gleicher Wettbewerbsverhältnisse auf dem Weltmarkt für unsere heimische Stahlindustrie gerade im Ruhrgebiet fördern. Wir können nicht fordern, dass unsere Stahlindustrie im internationalen Wettbewerb einen 100-Meter-Sprint beschreitet und wir ihr Gewichte an die Beine heften.“