Duisburg. Nazis jagten seinen Vater durch das Gericht, Duisburg ließ den jüdischen Schriftsteller Walter Kaufmann nie los: Details aus seinem Leben.

Er ist ein großer Sohn Duisburgs. Aber mit Söhnen geht man eigentlich anders um: Der jüdische Schriftsteller Walter Kaufmann, der seine Kindheit in Duisburg erlebte und im Januar dieses Jahres 100 Jahre alt geworden wäre, starb vor drei Jahren. An ihn erinnerte in der Brotfabrik Overbeck der Historiker Ludger Heid, der ein Buch über das bewegte Leben Kaufmanns geschrieben hat. Berührend und ergreifend schildert Heid das Leben des Schriftstellers.

„Duisburg war der Mittelpunkt meines jungen Lebens, gar kein Zweifel, und ist bis heute die Stadt geblieben, die für mich – neben Berlin und Sydney – die größte Bedeutung hat“, betonte Kaufmann vor Jahren in einem WDR-Interview. Duisburg sei der Ausgangspunkt seiner großen Reise in die Welt. „Und die war nicht freiwillig“, erklärte er.

Duisburg hat den Schriftsteller Walter Kaufmann nie losgelassen

Duisburg, seine Eltern und das Haus in der Prinz-Albrecht-Straße in Duissern, in dem er aufwuchs, haben Walter Kaufmann nie losgelassen. In seinen Werken spiegelt sich die Erinnerung an die Stadt auf extreme Weise – im Guten wie im Bösen. „Ich bin immer ein Sohn Duisburgs geblieben“, bekennt er zeitlebens. „Denke ich an meinen Vater, Dr. Sally Martin Kaufmann, der im Gas von Auschwitz erstickte, trägt es mich vom Herbst des Lebens in die Jahre meiner Kindheit“, erklärt er einmal im Duisburger Landgericht, dort, wo sein Vater jahrelang gearbeitet hat, bis ihn SA und SS-Pöbel erst durch die Gerichtssäle jagen und dann nach Auschwitz deportieren.

Der Duisburger Schriftsteller und Holocaust-Überlebende 1937 mit seinen Adoptiveltern Johanna und Sally Kaufmann.
Der Duisburger Schriftsteller und Holocaust-Überlebende 1937 mit seinen Adoptiveltern Johanna und Sally Kaufmann. © FUNKE Foto Services | Karin Kaper Film

Die gesamte Lebensgeschichte des preisgekrönten Schriftstellers ist geprägt von einschneidenden Ereignissen. Seine Erfahrungen in Duisburg finden sich in vielen seiner Bücher wieder. Geprägt ist sein Leben durch die Tyrannei des 20. Jahrhunderts. Geboren wird er am 19. Januar 1924 in Berlin, mit drei Jahren wird er von Sally und Johanna Kaufmann aus Duisburg adoptiert. Die Familie ist das genaue Gegenteil des Milieus, aus dem der Kleine stammt: dem Berliner Scheunenviertel, Quartier der Ostjuden in der Reichshauptstadt.

Sein Adoptivvater ist promovierter Jurist und angesehener Anwalt in Duisburg. Prominent, bürgerlich und vornehm. Ein liberaler Jude, den das Schicksal dazu bestimmt, die Jüdische Gemeinde Duisburgs in den Jahren der Verfolgung zu führen, den Gemeindemitgliedern Beistand zu leisten – soweit das unter den Umständen der NS-Herrschaft möglich ist. Über seine Duisburger Jahre hat er in seiner Autobiografie berichtet. In der DDR wird er ein bekannter und renommierter Schriftsteller, hat die antijüdischen Maßnahmen, die er in Duisburg erleben musste, immer wieder literarisch verarbeitet.

Ende der 1950er kehrt Kaufmann in die DDR zurück

Kaufmann besucht bis 1938 das Realgymnasium (das heutige Steinbart-Gymnasium), eine Schule, auf der schon sein Vater und sein Onkel Eugen Kaufmann das Abitur abgelegt haben. Und das auch seine Cousins Edgar und Arnold besuchten. Seine schulischen Leistungen sind nicht gerade berauschend. „Jahr für Jahr hatte ich mich für meine schlechten Zeugnisse auf dem Realgymnasium zu verantworten, wozu sollte ich denn lernen, ich, der Ausgestoßene.“

Im Januar 1939 kann Walter Kaufmann nach England fliehen, wird dort im Mai 1940, da ist er gerade 16 Jahre alt, interniert und nach Australien deportiert. Nach seiner Entlassung aus englischer Gefangenschaft schlägt er sich mit allen möglichen Gelegenheitsarbeiten durch und beginnt zu schreiben. Ende der 1950er Jahre kehrt er in die DDR, nach Berlin, zurück, wo er sich als freischaffender Künstler niederlässt.

Den Stoff für seine Erzählungen holt er aus seinem bewegten Leben in Europa und Übersee. Bereist hat er Länder wie USA, Irland und Israel. Eine weitere Facette bilden autobiografische Bücher über sein Schicksal als jüdischer Emigrant. Seine frühen Erzählungen sind von der Hoffnung des Nie-Wieder getragen.

Auch seine Eltern wurden nach Auschwitz deportiert

Seit dem Novemberpogrom 1939 ist der 9. November für ihn „ein nie verlöschendes, oft gegenwärtiges Datum“, schreibt Kaufmann rückblickend. „An der Last dieses Datums trage ich nun schon mehr als fünfzig Jahre, seit dem Tag meiner Jugend nämlich, als krachend die Tür unseres Hauses aufgebrochen wurde und ich von SS-Männern zur Seite gestoßen wurde… und ich, der noch nicht fünfzehn war, fand mich wenige Wochen später als Asylant in einer Obdachlosenherberge von London wieder.“

1956 siedelt Kaufmann, der die australische Staatsbürgerschaft erworben hat, mit seiner australischen Frau nach Berlin (DDR) über, darf reisen und ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung PEN. Aber Duisburg geht ihm nicht aus dem Sinn. Es will es noch einmal versuchen, doch das gelingt nicht. Das Schlimme, das er in Duisburg hört, lässt ihn nicht los. „Weil ich hier erfahren habe, dass meine Eltern von Duisburg aus nach Auschwitz deportiert und ermordet worden waren.“

Walter Kaufmann bei einer Lesung im Jahr 2016.
Walter Kaufmann bei einer Lesung im Jahr 2016. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

>>Vortrag im Rahmen der Akzente

  • Über die bewegende Lebensgeschichte des mit Auszeichnungen geehrten jüdischen Schriftstellers Walter Kaufmann (19. Januar 1924 – 15. April 2021) berichtete im Rahmen der Duisburger Akzente der bekannte Historiker Dr. Ludger Heid am Sonntag, 24. März, in der Alten Brotfabrik von 1904. Unter dem Titel „Familienbande“ beschrieb Heid das Leben des Literaten, der die NS-Zeit mit bitteren Erfahrungen durchleiden musste.
  • Heid hat intensiv über das Schicksal von Kaufmann und dessen Eltern geforscht und berichtete über das beruflich erfolgreiche Leben des Schriftstellers und dessen schlimme, antisemitische Erfahrungen in Duisburg während der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.