Duisburg. Weil der Aufzug kaputt war, war eine Seniorin monatelang in ihrer Wohnung in Duisburg gefangen. Wie ihr Vermieter nun reagiert hat.
Über Monate hat sich Christel Ludwig in ihrer Wohnung im sechsten Stock wie eine Gefangene gefühlt: Der Aufzug des Hauses an der Holtener Straße in Neumühl war seit Oktober 2023 defekt und die 103 Stufen bis zur Haustür kann die 90-Jährige nicht mehr bewältigen.
Ihr Vermieter, die Thelen-Gruppe aus Essen, habe auf keine einzige Beschwerde reagiert – „auch nicht auf die drei Briefe des Anwalts vom Mieterbund“, erklärt Sandra Kloss. Sie ist die Patentochter der alten Dame und kümmert sich um Christel Ludwig. Die Rentnerin war so verzweifelt, dass sie sich jetzt an unsere Redaktion gewandt hat. Unsere Anfrage an den Vermieter hat dann offenbar Schwung in die Sache gebracht: „Plötzlich gab es einen Termin für die Reparatur des Aufzugs und der wurde sogar eingehalten. Das liegt doch nur daran, dass wir die Presse eingeschaltet haben“, ist sich Sandra Kloss sicher.
Seit Oktober 2023 war der Aufzug in dem sechsstöckigen Haus in Duisburg-Neumühl defekt
Thelen-Sprecher Joachim Bernstein hat gegenüber der Reaktion erklärt, dass „der reklamierte Aufzug aufgrund von Vandalismusschäden ausgefallen ist, bei denen das Kabinentableau und die Zentralplatine beschädigt wurden“. Weiter heißt es in einer Mail: „Der von uns unverzüglich hinzugezogen Aufzughersteller hat uns versichert, dass er mit Hochdruck an der Wiederinbetriebnahme arbeitet. Die Techniker setzen alles daran, die notwendigen Reparaturen so schnell wie möglich abzuschließen. Die bedauerliche Verzögerung ist in der Ersatzteilbeschaffung begründet.“
Man habe die Mieter im November mit einem Schreiben über den Aufzugausfall informiert. „Das Schriftstück liegt mir leider nicht vor“, räumt Thelen-Sprecher Bernstein ein. Kloss und Ludwig versichern, ein solches Schreiben nie gesehen zu haben.
Die letzten Monate haben Spuren bei der alten Dame hinterlassen. Weihnachten mit der Familie feiern, bei Geburtstagen dabei sein? Alles Fehlanzeige. „Außerdem muss ich dringend zum Augenarzt, weil meine Brille nicht mehr reicht. In den letzten Monaten habe ich schon mit Lupe gelesen“, sagt die für ihr Alter erstaunlich agile Frau.
Christel Ludwig (90) muss alle vier Wochen zur ambulanten Chemo: Ohne Aufzug ein Problem
Christel Ludwig ist Brustkrebs-Patientin. Seit Knochenmetastasen festgestellt wurden, muss sie alle vier Wochen zu einer ambulanten Chemotherapie. Mit Aufzug kein Problem, dann kann Sandra Kloss ihre Patentante zum Arzt fahren. Ohne Aufzug eine Katastrophe. Denn dann benötigt die alte Dame ein Krankentransport-Unternehmen, das sie in einem Spezialstuhl die 103 Stufen herunter und wieder rauf in ihre Wohnung trägt.
„Es hat lange gedauert, bis wir ein gutes finden konnten“, sagt Sandra Kloss. „Mehrere Firmen haben ehrlich gesagt, dass sie den Auftrag nicht übernehmen wollen. Andere haben gestöhnt und gemeint, es sei eine Zumutung. Das wissen wir selbst“, ergänzt Christel Ludwig. Deshalb hat sie den netten Mitarbeitern, die zuletzt gekommen sind, immer ein großzügiges Trinkgeld gegeben.
Friseurin und Fußpflegerin kamen ins Haus: Das hat Christel Ludwig viel Geld gekostet
Aber auch alles andere, was im Alltag nötig ist, war beschwerlich und teuer: Die Fußpflegerin, die die Diabetikerin regelmäßig benötigt, muss in die Wohnung kommen, die Friseurin auch. Die Stützstrümpfe sitzen schon länger nicht mehr richtig – das Unternehmen macht aber keine Hausbesuche.
Sandra Kloss hat über Monate die Einkäufe in den sechsten Stock geschleppt. „Ich habe auf mein alkoholfreies Bier verzichtet, weil ich so ein schlechtes Gewissen habe“, sagt Ludwig. Dann die Frage, wie die Tageszeitung jeden Tag in den sechsten Stock kommen soll. Und wer trägt den Müll runter? Auch das musste organisiert werden. Rund 500 Euro habe sie der kaputte Aufzug im Monat etwa gekostet, sagt die 90-Jährige.
Im Wohnzimmer hat sich massiv Schimmel gebildet
Doch der Aufzug war nicht der einzige Dauermangel. Im Wohnzimmer an der Balkontür hat sich schon vor Jahren Schimmel gebildet. „Auch das habe ich natürlich sofort gemeldet. Aber man hängt bei Thelen eine halbe Stunde in der Warteschleife. Dann sagt jemand, dass das Anliegen weitergegeben wird und am Ende passiert nichts“, so Christel Ludwig.
Als dann nach Jahren endlich ein Handwerker gekommen sei, habe der die Stelle so unsachgemäß behandelt, dass der Schimmel noch schlimmer sei als vorher. „Und neuerdings hat sich auch rund um meine Wohnungstür Schimmel gebildet.“ Auch hier hat der Vermieter in den letzten Tagen zur Überraschung der beiden Frauen reagiert. Eine Lösung sei aber noch nicht gefunden worden.
Thelen-Sprecher Joachim Bernstein zeichnet hier ein anderes Bild: „Ich habe mir in der zuständigen Fachabteilung zum Thema Schimmelbefall einen Überblick verschafft. Es wurde versichert, dass dort von einem Schimmelbefall nichts bekannt ist.“ Dabei hatte der Anwalt das Problem in allen drei Briefen zur Sprache gebracht – Fotos inklusive. Auf die Frage, warum Thelen auf keinen der drei Anwaltsbriefe reagiert hat, gibt es übrigens noch keine Antwort.
„Wir möchten versichern, dass im Fall von Schimmelbildung ein Fachunternehmen beauftragt wird, das die Ursache ermittelt. Ist die einmal ermittelt, werden die Mitarbeiter des Facility-Managements unverzüglich mit den zur Thelen-Gruppe gehörenden Fachfirmen die Ursache beseitigen und die Schimmelbildung entfernen, dies liegt auch in unserem Interesse“, erklärt Bernstein weiter. „Das hätte ich mir über Jahre sehr gewünscht“, kommentiert Christel Ludwig.
Interessanter Randaspekt: Der Vermieter hat unsere Redaktion über seinen Sprecher darüber informiert, dass der Aufzug wieder funktioniert. „Uns Mietern wurde nichts davon gesagt“, schüttelt Christel Ludwig den Kopf. Weil das Schild „Aufzug kaputt“ auch immer noch an der Aufzugtür hängen würde, sei sie auch nicht auf die Idee gekommen, dass das Problem nach fünf Monaten endlich gelöst ist. „Als Erstes gehe ich auf den Markt, um mir mein Obst endlich wieder selbst kaufen. Und ich muss dringend zum Zahnarzt“, sagt die 90-Jährige erleichtert. Endlich ist sie nicht mehr eine Gefangene in ihrer eigenen Wohnung.
>> Ältere Menschen finden nur schwer eine neue Wohnung
- Natürlich hat Christel Ludwig daran gedacht, sich eine neue Wohnung zu suchen. „Aber welcher Vermieter gibt einer 90-Jährigen schon eine?“, fragt sie. Ihre inzwischen verstorbene Tochter hätte sich vor drei Jahren für sie umgeguckt. „Es gab keine Chance.“
- Das bestätigt Sonja Herzberg von Mieterbund Rhein-Ruhr: „Wir stellen immer wieder fest, dass schon Menschen, die Mitte 60 sind, dieses Problem haben. Das ist Altersdiskriminierung.“