Duisburg. 28 Schüsse fallen beim Tumult zwischen einem Clan und Hells Angels auf dem Hamborner Altmarkt. Beim Prozess sehen sich zwei Kontrahenten wieder.

Sieben Polizisten stehen allein vor der Pforte Spalier, zwei mit Maschinenpistolen im Anschlag, Mannschaftswagen der Polizei parken auf dem König-Heinrich-Platz. Die Polizei zeigt auch im Eingangsbereich Präsenz und auf den weiteren Etagen des Duisburger Landgerichts. Alle Besucher dieses Prozesses müssen vor dem Saal durch die Kontroll-Schleuse – auch die Pressevertreter. Unter großem Medieninteresse und unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen hat am Mittwoch der Prozess nach einem Vorfall begonnen, der bundesweit Schlagzeilen gemacht hat: die wüste Schießerei auf dem Hamborner Altmarkt im Mai 2022.

Kameras surren und klicken zuhauf, als die beiden 39-jährigen Duisburger Kamil D. und Oktay K. den historischen Sitzungssaal 201 betreten. Die beiden Angeklagten machen sich nicht die Mühe, ihre Gesichter zu verdecken.

Auf dem Hamborner Altmarkt waren sie Gegner, auf der Anklagebank nehmen sie nebeneinander Platz, nur durch einen Wachmeister getrennt. Versuchten Mord, Körperverletzung, Landfriedensbruch und unerlaubten Waffenbesitz wirft die Staatsanwaltschaft D., der dem türkisch-libanesischen Familienclan S.-D. angehören soll, und K., der Mitglied der Hells Angels sein soll, vor. Die beiden Angeklagten schweigen dazu am ersten Prozesstag.

Gewalt eskalierte in Duisburg-Hamborn: Rund 100 Personen und Rocker-Bosse reisten an

So wird allein die Anklage verlesen: Rund 100 Personen aus den beiden verfeindeten Lagern hätten sich am Abend des 4. Mai 2022 auf dem Altmarkt gezielt getroffen. Die Hells Angels sollen „Rocker-Prominenz“ in ihren Reihen gehabt haben: Eine Größe der Szene reiste aus Düsseldorf an, auch ein berüchtigter Hells-Angels-Boss aus Duisburg soll unter ihnen gewesen sein. In der Anklage ist die Rede von „hochrangigen und langjährigen Mitgliedern“ der Rocker. Teils kamen die Teilnehmer von weit her zu dem Treffen.

Ein Polizist mit Maschinenpistole im Anschlag. Beim Prozessauftakt am Mittwoch gab es strengste Sicherheitsvorkehrungen.
Ein Polizist mit Maschinenpistole im Anschlag. Beim Prozessauftakt am Mittwoch gab es strengste Sicherheitsvorkehrungen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Als die lautstarke Auseinandersetzung zusehends eskalierte, soll D. bereits seine Waffe in der Hand gehalten und dann in Höhe der MZD Apotheke erste Schüsse auf die Rocker abgegeben haben. Insgesamt neunmal soll er gefeuert haben, drei Menschen getroffen und einen von ihnen schwer verletzt haben.

Es entwickelt sich ein wüstes Feuergefecht. Laut Staatsanwaltschaft fallen insgesamt 28 Schüsse. Allein zehn davon soll ein weiteres Mitglied der Großfamilie abgegeben haben.

Pikant: Bei dem Mann soll es sich um den Betreiber des Imbisses handeln, der später an diesem Abend noch schwer beschädigt worden ist. Er ist inzwischen abgetaucht.

Beim Prozessauftakt am Mittwoch nehmen die beiden Duisburger auf der Anklagebank Platz, flankiert von ihren Verteidigern und Justizwachtmeistern.
Beim Prozessauftakt am Mittwoch nehmen die beiden Duisburger auf der Anklagebank Platz, flankiert von ihren Verteidigern und Justizwachtmeistern. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Welcher Clan-Angehörige noch zwei weitere Schüsse abgab, wissen die Ermittlungsbehörden bis heute nicht. Rocker K. soll insgesamt siebenmal in Richtung seiner Kontrahenten geschossen und einen Gegner getroffen haben. Warum er damit plötzlich aufhörte, ist unklar. Die Pistole könnte einen Defekt gehabt haben oder ihm die Munition ausgegangen sein.

Angesichts der Örtlichkeit und der „Aggressivität und der aufgeheizten Stimmung“, sei es „dem Zufall zuzurechnen, dass es keine unbeteiligten Verletzten oder Toten gab“, resümiert die Staatsanwältin zum Ende ihrer Anklage.

Als die Polizei anrückt, fliehen auch die Hells Angels

Nachdem die Clan-Mitglieder davon gerannt waren, sollen die Rocker noch den Döner-Laden am Altmarkt, den der flüchtige mutmaßliche Schütze betrieben hatte, verwüstet haben. Unter anderem sollen sie eine Steinplatte und eine Bank in das Ladenlokal geworfen. Alles dauert nur wenige Minuten. Als die Polizei anrückt, fliehen auch die Hells Angels.

Die Ermittlungen gegen die Beteiligten zogen sich über Monate. Ein Jahr nach dem Vorfall gab es einen ersten Erfolg. Die Wohnungen von D. und K. wurden durchkämmt. Dabei stieß die Polizei bei beiden auf ein frei zugängliches Waffenarsenal: Messer, Schwerter, Macheten und Pistolen. Die Waffen sollen größtenteils eingezogen werden. Auf einem seiner Schwerter hatte K. eine Gravur: „Oktay 81“. Die eingesetzten Tatwaffen hingegen sind bis heute verschwunden.

Erster Prozess ist wohl nur die Spitze des Eisbergs

Auf reges Publikumsinteresse stößt der Auftakt am Mittwoch nicht. Als Fotografen und Kameraleute abgerückt sind, sind Justizwachtmeister und Polizisten wieder in der Überzahl. Lediglich ein paar Angehörige von D. sind auszumachen.

Der Prozess gegen die beiden Angeklagten ist möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft gegen 51 Beteiligte ermittelt, die teils erhebliche Vorstrafen haben. D. und K. sind die ersten beiden, denen der Prozess gemacht wird. Seit dem Mai des vergangenen Jahres sitzen sie in Untersuchungshaft - in getrennten Haftanstalten. Die Verhandlung wird am 22. Februar fortgesetzt. Ein rasches Ende ist nicht zu erwarten. Bis in den Juli hinein sind bereits 16 weitere Verhandlungstage angesetzt.

Schießerei in Duisburg: Durchsuchungen noch in der Nacht

Etliche Polizisten untersuchten den Tatort, nachdem Zeugen am Mittwochabend eine Schießerei auf dem Altmarkt in Duisburg-Hamborn gemeldet hatten.
Etliche Polizisten untersuchten den Tatort, nachdem Zeugen am Mittwochabend eine Schießerei auf dem Altmarkt in Duisburg-Hamborn gemeldet hatten. © dpa | Roberto Pfeil
Nach ersten Angaben waren bis zu 100 Männer an der blutigen Eskalation beteiligt. Vier Menschen wurden verletzt, Lebensgefahr besteht nicht.
Nach ersten Angaben waren bis zu 100 Männer an der blutigen Eskalation beteiligt. Vier Menschen wurden verletzt, Lebensgefahr besteht nicht. © dpa | Roberto Pfeil
Dort wurde das Mobiliar zerschlagen und das Schaufenster zerstört.
Dort wurde das Mobiliar zerschlagen und das Schaufenster zerstört. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
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© FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Bei den Beteiligten soll es sich um polizeibekannte Milieu-Größen aus der Rocker- und Clanszene handeln.
Bei den Beteiligten soll es sich um polizeibekannte Milieu-Größen aus der Rocker- und Clanszene handeln. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Auch die Spurensicherung war mit einem Großaufgebot vor Ort.
Auch die Spurensicherung war mit einem Großaufgebot vor Ort. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Die Feuerwehr leuchtete den Tatort aus.
Die Feuerwehr leuchtete den Tatort aus. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
15 Beteiligte wurden verhaftet. Eine Mordkommission hat die Ermittlungen übernommen.
15 Beteiligte wurden verhaftet. Eine Mordkommission hat die Ermittlungen übernommen. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Noch in der Nacht sprenten SEK-Kräfte die Tür eines Hauses an der Stadtgrenze zwischen Duisburg und Moers auf. 
Noch in der Nacht sprenten SEK-Kräfte die Tür eines Hauses an der Stadtgrenze zwischen Duisburg und Moers auf.  © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Es wurden allerdings keine Personen in dem Gebäude angetroffen. 
Es wurden allerdings keine Personen in dem Gebäude angetroffen.  © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Die Fahndung nach den Beteiligten läuft am Donnerstag weiter.
Die Fahndung nach den Beteiligten läuft am Donnerstag weiter. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Die Auswertung der Spuren dauert nach Polizeiangaben an. 
Die Auswertung der Spuren dauert nach Polizeiangaben an.  © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Im März 2018 war es auf dem Hamborner Altmarkt schon mal zu einem Massen-Streit gekommen. Die Polizei konnte damals Schlimmeres verhindern. 50 Personen hätten sich gegenüber gestanden. Bei ihnen waren unter anderem eine Machete und andere Waffen gefunden worden.
Im März 2018 war es auf dem Hamborner Altmarkt schon mal zu einem Massen-Streit gekommen. Die Polizei konnte damals Schlimmeres verhindern. 50 Personen hätten sich gegenüber gestanden. Bei ihnen waren unter anderem eine Machete und andere Waffen gefunden worden. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Wegen der polizeilichen Ermittlungen und der Spurensicherungsmaßnahmen fällt der Wochenmarkt in Hamborn am Donnerstag, 5. Mai, aus. 
Wegen der polizeilichen Ermittlungen und der Spurensicherungsmaßnahmen fällt der Wochenmarkt in Hamborn am Donnerstag, 5. Mai, aus.  © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Auch in umliegenden Städten seien operative Kräfte im Zusammenhang mit den Schüssen in Hamborn zum Einsatz gekommen.
Auch in umliegenden Städten seien operative Kräfte im Zusammenhang mit den Schüssen in Hamborn zum Einsatz gekommen. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser
Zeugen, die Angaben zum Tatgeschehen oder zu beteiligten Personen machen können, werden gebeten, sich unter der Rufnummer 0203 280-0 mit der Kriminalpolizei in Verbindung zu setzen.
Zeugen, die Angaben zum Tatgeschehen oder zu beteiligten Personen machen können, werden gebeten, sich unter der Rufnummer 0203 280-0 mit der Kriminalpolizei in Verbindung zu setzen. © dpa | Roberto Pfeil
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