Duisburg. Im neuen Schulsozialindex sind die meisten Duisburger Schulen von Gymnasium bis Grundschule neu bewertet worden. Warum Schulleiter sich sorgen.

Die Schulen in Duisburg sind erneut mit einem schulscharfen Sozialindex bewertet worden. Die meisten Schulen wurden nun mit einem höheren Wert bemessen: Ihnen wurde eine hohe Belastung durch die mitunter prekären Lebensbedingungen in den Stadtvierteln attestiert.

Die Zahlen von 1 bis 9 benoten dabei nicht die pädagogische Arbeit vor Ort. „Der Schulsozialindex identifiziert lediglich bestehende soziale Herausforderungen“, betont das Schulministerium, also die höhere Belastung durch Kinder aus armen Familien, Kindern aus nicht deutsch sprechenden Familien, Kindern mit eigener Migrations- oder Fluchterfahrung sowie Kindern mit Förderschwerpunkten. Indexstufe 1 ist entsprechend ein Standort mit der niedrigsten Belastung, auf Indexstufe 9 sind Standorte mit der höchsten Belastung.

Wenig überraschend also, dass die Schulen in Hochfeld, Rheinhausen, Marxloh und Bruckhausen hohe Werte haben, im Duisburger Süden oder in Baerl hingegen häufiger eine 1 oder 2 vergeben wurde.

Neuer Schulsozialindex: Negative Auswirkung auf die Lehrerversorgung in Duisburg

Bei der ersten Veröffentlichung vor knapp drei Jahren waren viele Schulleiter auf dem Baum, weil sie sich ihre Eingruppierung nicht erklären konnten, die teilweise im krassen Widerspruch zur Nachbarschule stand oder auch zur eigenen Wahrnehmung.

Glücklich sind sie auch dieses Mal nicht: „Für Duisburgs Bild nach außen ist das eine Katastrophe. Das wird sich nicht positiv auf die Lehrerversorgung auswirken“, befürchtet Jens-Uwe Hoffmann, Schulformsprecher der Grundschulen, „so werden wir nicht viele junge Menschen nach Duisburg holen“.

Nachvollziehen kann er die Bewertungen auch dieses Mal nur schwer. Seine KGS Fährmann rutschte von 3 auf 4, die benachbarte GGS Lange Kamp wurde mit einer 9 bewertet. „Wir haben doch die gleiche Schülerklientel in Beeck, das passt doch nicht“, findet Hoffmann.

Insgesamt sei der Sozialindex nun authentischer und zeuge von den hohen Herausforderungen, die die Schulen in Duisburg zu schultern haben. „Das muss aber auch Konsequenzen haben“, fordert der Schulleiter: Mehr Schulsozialarbeiter, zusätzliche pädagogische Kräfte in der Schuleingangsphase, Fachkräfte für Inklusion und Gemeinsames Lernen beginnt er aufzuzählen.

Schulformsprecher für die Gesamtschulen: „Ich bin blass geworden“

Einen regelrechten Satz machte die Gesamtschule Meiderich: von 3 auf 9 ging es im Index. Schulleiter Bernd Beckmann ahnt, woran das liegen könnte: „Wir haben in der Sekundarstufe I 140 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf.“ Dafür seien ihm auch Stellen zugewiesen worden, aber es fehlen die Fachkräfte dafür. Mit dem neuen Sozialindex werde die Rekrutierung von Personal noch schwieriger. „Ich bin blass geworden“, beschreibt der Schulformsprecher seine erste Reaktion mit Blick auf die künftige Außenwirkung im Einstellungsmarkt.

Für Duisburger seien die Bewertungen keine Überraschungen, aber über die Stadt hinaus werde es kritisch: „Das ist kein schönes Gefühl!“ Auch für ihn stellt sich die „spannende Frage, welche Schlussfolgerungen das Ministerium zieht und was dann an den Schulen ankommt“.

Bernd Beckmann, Schulleiter der Gesamtschule Meiderich und Schulformsprecher, sorgt sich bei Schulen mit hohem Index um die Chancen auf dem Einstellungsmarkt.
Bernd Beckmann, Schulleiter der Gesamtschule Meiderich und Schulformsprecher, sorgt sich bei Schulen mit hohem Index um die Chancen auf dem Einstellungsmarkt. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Ein „Grundunwohlsein“ beschleicht die Schulformsprecherin der Gymnasien

Nicht transparenter, aber zumindest ein bisschen gerechter erscheinen Dr. Wibke Harnischmacher, Schulformsprecherin der Gymnasien, die neuen Indexwerte. Alle zehn bewerteten Gymnasien sind abgerutscht, statt drei Schulen mit einer 1 und insgesamt Bewertungen bis maximal 3 liegt das Feld jetzt zwischen 2 und 7. Sie habe allerdings „ein Grundunwohlsein“ aufgrund vieler Unschärfen. Wie die Zahlen zustande kommen, lasse sich nicht nachprüfen, da die Datenbasis und deren Aktualität unklar sei.

Das Landfermann-Gymnasium und die Karl-Lehr-Realschule haben jedenfalls eine krasse Neubewertung erfahren: Die Schulen sind von der Indexstufe 1 auf 4 (Landfermann) bzw. auf 6 (Karl-Lehr) gerutscht. Beide kümmern sich seit einem knappen Jahr an Dependancen, sogenannten Orten der Erstförderung, um hunderte zugewanderte Kinder. Schüler also, die vielfach eigene Fluchterfahrung haben, daheim nicht Deutsch sprechen, aus armen Familien kommen und damit die Bewertungsmaßstäbe der Statistiker füttern.

Schulleiter Christof Haering hielt den ersten Index 1 für das Landfermann-Gymnasium schon nicht für angemessen, weil darin die Schülerschaft der Internationalen Vorbereitungsklassen nicht berücksichtigt worden sei. Die neue Stufe 4 spiegele eher die Situation am Hauptstandort wider. Stan Orlovic von der Karl-Lehr-Realschule hält es indes für wahrscheinlich, dass sich die Beschulung der Seiteneinsteiger auf die Eingruppierung eingewirkt habe. Was nicht schlecht sei, wenn seine Schule von Stellenzuschlägen zur Sprachförderung profitieren könne, bei der Vergabe von Stellen des Mehrbedarfs bevorzugt werde oder bei Projekten eher berücksichtigt werde. Das sei bislang allerdings nur ein theoretischer Plan.

Schulleiterin Dr. Wibke Harnischmacher vom Mercator-Gymnasium in Duisburg bedauert, dass der neue Schulsozialindex nicht transparenter geworden ist.
Schulleiterin Dr. Wibke Harnischmacher vom Mercator-Gymnasium in Duisburg bedauert, dass der neue Schulsozialindex nicht transparenter geworden ist. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Hohe Indexwerte zeugen davon, wie viel Arbeit die Schulen leisten

Schulformsprecherin Harnischmacher wertet bei der Indexierung etwa des Landfermann positiv, dass nun stärker gewürdigt werde, wie viel Arbeit an diesen Schulen geleistet wird. Das Mercator-Gymnasium selbst rutschte von 3 auf 6, das hält die Schulleiterin auch für realistisch. Gelegen zwischen Dellviertel und Hochfeld würden sich hier „Chefarztsöhne und Hausmeisterkinder begegnen, die sich sonst gesellschaftlich aus den Augen verlieren, das ist unser Markenkern.“ Abzuwarten bleibe, ob der Index ein echtes Steuerungsinstrument werde für Lehrerstellen, Schulsozialarbeit und wichtige Fortbildungen. „Papier ist geduldig“, sagt sie mit Verweis auf einen Brief des Schulministeriums, in dem „Einzelheiten zu gegebener Zeit“ versprochen werden.

Schulplaner Dr. Tobias Terpoorten vom Amt für schulische Bildung schätzt den neuen Schulsozialindex als hilfreiches Instrument. Auch stadtintern gebe es Indizes, mit denen gearbeitet werde. Der Index mache mit einer Zahl deutlich, dass die Rahmenbedingungen in Rahm anders sind als in Meiderich. Die gefühlte Situation einer Schule bekomme eine sachliche Grundlage. „Als Stadtgemeinschaft müssen wir es aushalten, dass es Ungleichheiten gibt“, betont er. Politisch wichtig sei nun, dass Ungleiches auch ungleich behandelt werde.

Schulamtsleiter Ralph Kalveram ergänzt, dass Duisburg schon vom ersten Schulsozialindex profitiert habe. In die Stadt flossen Landesmittel, um weitere Familiengrundschulzentren etwa in Marxloh zu gründen. Außerdem würden die Gesamtschulen Globus, Grillo, das Mercator- und das Grillo-Gymnasium sowie das Sophie-Scholl-Berufskolleg zu Talentschulen ausgebaut.

Die Sorge der Schulleiter vor Stigmatisierung sei verständlich. Kalveram fordert daher von der Politik Steuerungsinstrumente, um Lehrer sinnvoll zu verteilen, „die schulscharfen Bewerbungsverfahren funktionieren nicht“. Terpoorten hofft, dass der Index an besonders belasteten Schulen neue Wege möglich macht, „das könnte Lehrer sogar anlocken“.

>>WARUM DER NEUE SOZIALINDEX ANDERS AUSFÄLLT

Erstmals wurde der Schulsozialindex 2020/2021 von der Ruhruni Bochum entwickelt, 2023 wurde er nun aktualisiert.

Bei den weiterführenden Schulen basiert die Berechnungsgrundlage künftig nur auf den Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe 1. Beim Vorgängermodell wurde die gesamte Schülerschaft betrachtet. Durch die neue Berechnung soll es eine bessere Vergleichbarkeit zwischen den Schulformen geben, denn der selektive Eintritt in die Oberstufe hatte zu Verzerrungen geführt.

Konfessionell gebundene Schulen wurden nicht berücksichtigt, weil die Schülerschaft nicht vom Einzugsgebiet abhängt, sondern vom Glauben.

Unsere Berichte zum ersten Schulsozialindex 2022

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