Duisburg. Wie leben geflüchtete Ukrainerinnen in Duisburg? Zwei Mütter berichten – auch über Kämpfe mit Bürokratie und Integrationsdefizite in der Schule.

Fast zwei Jahre ist es inzwischen her, dass russische Truppen den Angriffskrieg auf die Ukraine starteten und viele Millionen ukrainische Zivilisten zur Flucht zwangen. Eine Million von ihnen lebt in Deutschland, Tausende haben in Duisburg Zuflucht gefunden. Doch welches Leben führen die Geflüchteten mittlerweile, nachdem der anfängliche Stress des Ankommens und des Zurechtfindens sich gelegt hat, sich die Hoffnung auf baldige Rückkehr in die Heimat verflüchtigt hat?

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Svitlana Panchenko ist eine von etwa 6000 ukrainischen Geflüchteten in Duisburg. Die 47-Jährige ist Psychologin, hatte in Kiew eine eigene Praxis und arbeitete im Schulentwicklungszentrum. „Freunde aus Georgien hatten Freunde in Duisburg, an die wir uns wandten“, erinnert sich Svitlana. „Die haben uns empfangen und in den Landschaftspark gebracht.“ Dort habe man ihnen schnell Zimmer hergerichtet, Svitlanas kranke Mutter medizinisch versorgt und sie schließlich innerhalb eines Monats in eigenen Wohnungen untergebracht.

Neue ukrainische Gemeinde in Duisburg: Verein Ukrainische Frauen Union in Deutschland gegründet

Heute, beinahe zwei Jahre später, ist Duisburg für sie zum Zuhause geworden. „Wenn ich in die Ukraine fahre, um meine Familie zu besuchen, fahre ich nach Hause. Aber wenn ich wieder im Bus Richtung Deutschland sitze, fahre ich irgendwie auch nach Hause“, erklärt Svitlana. „Ich habe mir hier mittlerweile ein Umfeld aufgebaut, Freunde gefunden.“ Sie hat ein freundliches Gesicht und aufmerksame Augen, die heller werden, wenn sie von der ukrainischen Gemeinde in Duisburg spricht.

Wenn ich in die Ukraine fahre, um meine Familie zu besuchen, fahre ich nach Hause. Aber wenn ich wieder im Bus Richtung Deutschland sitze, fahre ich irgendwie auch nach Hause
Svitlana Panchenko

Dass es die gibt, ist allerdings nicht selbstverständlich. „Als wir hier angekommen sind, gab es gar keine ukrainischsprachigen Helfer“, erzählt Svitlana. Zunächst suchte sie Anschluss in der ukrainischen Gemeinde in Düsseldorf, doch dann gründete sich auch in Duisburg der erste ukrainische Verein: die Ukrainische Frauen Union in Deutschland e.V.

Gründerin Viktoriia Grygorieva ist Juristin und ebenfalls aus Kiew nach Duisburg gekommen. „Wir haben uns gegründet, damit wir uns einander helfen und unsere Identität und Kultur bewahren können“, erklärt sie. Der Zusammenhalt in der Gemeinde ist für Svitlana Panchenko unbezahlbar. „Du bist nicht allein, hörst deine Sprache, singst deine Lieder. Das hilft einem sehr.“

Probleme bei der Arbeitssuche: Gutes Deutsch und hohe Bildungsabschlüsse – aber keine passende Arbeit

Trotz aller Selbstorganisation stehen die ukrainischen Frauen aber auch immer wieder vor großen Herausforderungen. So zum Beispiel bei der Jobsuche. Viele sprechen mittlerweile Deutsch auf B1-Niveau und können doch keine passende Arbeitsstelle finden.

„Hier sind sehr viele Frauen mit hohen Bildungsabschlüssen“, erklärt Svitlana, die momentan versucht, eine Arbeit an einer Schule zu finden. Das Jobcenter würde allerdings die meisten Ukrainerinnen in die Altenpflege oder Gebäudereinigung schicken. Das sei nicht ganz einfach für die Frauen, die in ihrer Heimat Anwältinnen, Ärztinnen und Managerinnen gewesen sind. Für viele Geflüchtete entstehe der Eindruck, in Deutschland würden mit ihnen bloß Löcher gestopft.

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Auch Viktoriia Grygorieva kann dafür nur Unverständnis aufbringen. Es würde schließlich auch in besser bezahlten Berufen an Fachkräften mangeln. Und je mehr die Geflüchteten verdienen würden, desto mehr Steuern würden sie dem deutschen Staat zahlen.

Trotz Ärztemangels als Neonatal-Chirurgin im Kindergarten

Auch die 41 Jahre alte Hanna aus Kiew kann davon ein Lied singen. Eine ihrer Bekannten sei Neonatal-Chirurgin mit 40 Jahren Berufserfahrung und würde nun Butterbrote im Kindergarten schmieren. Dabei mangele es überall an Ärzten. Hanna selbst hatte mehr Glück.

Die zweifache Mutter lebt in Duisburg und arbeitet in einem Exportunternehmen für Fischfutter in Nettetal. „Ich habe gehört, dass dieses Unternehmen jemanden sucht, der Kyrillisch lesen kann. Und mein Englisch ist auch sehr gut.“ Nun arbeite sie 32 Stunden in der Woche. Plus Fahrtzeit. Das stellt Hanna jedoch vor ganz andere Probleme, von denen auch deutsche Eltern betroffen sind.

„Mein Sohn ist vier Jahre alt und geht in den Kindergarten“, erzählt Hanna. Allerdings würde die Kinderbetreuung andauernd ausfallen. „Es gibt kein Personal oder alle sind krank.“ Um ihr zu helfen, seien die Großeltern extra aus der Ukraine angereist. Und das, obwohl es älteren Menschen besonders schwerfalle, sich an neue Umstände zu gewöhnen.

Mutter: Kinder sind in Integrationsklassen unterfordert

Auch in den Schulen läuft nicht alles glatt. Viktoriia Grygorievas Sohn ist 13 Jahre alt und dürfe an seiner Schule keinen regulären Unterricht besuchen, weil er nicht gut genug Deutsch spreche. Seine Mutter macht das fassungslos. „Wie soll er denn Deutsch lernen, wenn er nicht im Unterricht ist?“

Die Aufgaben in den Integrationsklassen würden ihn völlig unterfordern. „Er lernt Farben, indem er Bildchen ausmalt.“ Das sei nicht altersgerecht und würde auch die Entwicklung der restlichen Fähigkeiten außer Acht lassen. Auf Nachfrage der Eltern hieße es von Seiten der Lehrkräfte nur: „Ihr fahrt ja ohnehin wieder zurück.“

Ich will, dass mein Kind im Schulsystem integriert wird“
Viktoriia Grygorieva

Dabei sei dies gar nicht gesichert. „Viele Ukrainer haben kein Zuhause mehr, in das sie noch zurückkehren können“, erklärt Viktoriia Grygorieva. „Und mein Mann ist als Physiker bei der Universität Duisburg-Essen unter Vertrag. Wir bleiben also mindestens so lange noch hier. Ich will, dass mein Kind im Schulsystem integriert wird.“ Und auch viele andere Ukrainerinnen sehen für sich und für ihre Kinder langfristige berufliche und schulische Perspektiven in Deutschland.

Dankbar für soziale Absicherung und Mühen der Deutschen

Trotz kultureller Unterschiede und bürokratischer Hürden sind die Geflüchteten dankbar: Für ein Dach über dem Kopf, soziale Absicherung und die Mühen, die sich die deutsche Bevölkerung macht. Und auch das Land an sich gefalle ihnen sehr. „Ich dachte, Deutschland wäre ganz grau und monumental“, lacht Svitlana. „Aber es ist wirklich schön hier, vor allem die Burgen in Richtung Mosel.“

Zwischen den Jahren war sie mit Freunden für ein paar Tage in Bremen. „Das war ein Kindheitstraum von mir, die Bremer Stadtmusikanten waren meine liebste Zeichentrickserie.“

  • Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine mussten über sechs Millionen Menschen aus der Ukraine fliehen. Der Großteil davon ist in Europa geblieben.
  • Laut Bundesamt für Statistik waren Ende 2022 etwa 56 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland im erwerbsfähigen Alter.
  • 72 Prozent der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland haben nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums einen Hochschulabschluss, elf Prozent eine Berufsausbildung. Rund 350.000 der aus der Ukraine geflüchteten Menschen sind demnach unter 18 Jahre alt und besuchen eine Betreuungs- oder Bildungseinrichtung.