Duisburg. Hinter ihren Gartenzäunen liegt Duisburgs wohl größte Baustelle: das Kreuz Kaiserberg. Warum die Anwohner stinksauer auf die Autobahn GmbH sind.
„Wie ein Erdbeben!“, „Wie eine Bombenexplosion!“, „Das ganze Haus hat gewackelt!“ – Es sind nicht eben die kleinsten Vergleichskategorien, mit denen die Bewohner der Werthacker-Siedlung die Bauarbeiten im Kreuz Kaiserberg in Duisburg beschreiben.
Seit Jahren wissen sie um die umfangreiche Sanierung vor ihrer Haustür, Planfeststellungsverfahren warfen ihre Schatten voraus. Die Siedlung liegt mitten im Spaghetti-Knoten, gleich hinter den Gärten verlaufen die stark befahrenen Autobahnen A40 und A3, in Hörweite noch zusätzlich eine siebenstreifige Bahntrasse.
Weithin sichtbare Landmarke der Siedlung ist der Hochbunker mitten im Spaghetti-Knoten. Leise ist es hier nie, aber das zweite Adventswochenende, als die A40 für drei Tage komplett gesperrt war und ein Brückenbauwerk der A3 abgerissen wurde, hat viele nachhaltig geschockt, so laut war es, rund um die Uhr. Sie sorgen sich: Soll das die nächsten Jahre so bleiben?
Baustelle Kreuz Kaiserberg: Über Nachtarbeiten kurzfristig per Flyer informiert
Bei einem Ortstermin stehen rund 20 Anwohner im Regen. Tatsächlich und im wörtlichen Sinne. Denn bis 2032 wird die umfassende Sanierung des Verkehrsknotenpunktes dauern. Die Informationspolitik ist aus ihrer Sicht bislang eher mies. Und der Schaukasten der Autobahn GmbH, der mitten in der Siedlung eigens für das Projekt aufgestellt wurde, ist inhaltlich im September hängen geblieben.
„Es steht uns als Anwohnern zu, informiert zu werden“, sagt Katharina Redmann-Picker und verweist auf das Landesemissionsschutzgesetz. Eine Nachbarin hat in einem Hefter ihre Kontaktversuche notiert, zig Mails an fünf Adressaten, pink unterstrichen ihre Notiz an vielen Stellen: „Keine Reaktion“. Viele von ihnen ärgert, dass die Autobahn GmbH die Kommunikation über die Siedlergemeinschaft abwickelt. „Der Verein ist kostenpflichtig, vor allem Mieter sind hier oft keine Mitglieder“, erklärt Anwohner Andreas Picker. Diese seien entsprechend abgeschnitten vom Informationsfluss. Die Siedlergemeinschaft selbst bemüht sich rege, alle Kanäle zur Information über die Mega-Baustelle zu nutzen, druckte sogar eigene Info-Schreiben. Als verantwortlich sieht aber auch der Vorsitzende Wolfgang Stahl in erster Linie die Bauherren.
Diese informierten über die Advents-Maßnahme erst wenige Tage zuvor inklusive der Option, in ein Hotelzimmer flüchten zu können. Das war für kaum jemanden möglich: Es war ein Messe-Wochenende, alles ausgebucht. Und selbst Jugendherbergszimmer kosteten pro Nase deutlich mehr als die 100 Euro, die pro Nacht und Haushalt in Aussicht gestellt wurden.
Eine Frau betont, dass sie für die Allgemeinheit die nächsten Jahre „Sonderopfer“ erbringen müsse und dafür nicht mit 100 Euro abgespeist werden wolle, „ohne Frühstück“. Da die letzte Info mit einer Postwurfsendung zugestellt wurde, die jeder lesen könne, würde sie ihr Haus ohnehin nicht allein lassen. „Da kann ich die Haustür ja gleich offen stehen lassen“, sagt sie. Es habe schon Einbrüche gegeben, weil durch die Baustelle rund um die Siedlung nun alles offen sei.
Der Ausblick aus den Gärten am Rande der Siedlung ist gigantisch: Hoch oben läuft vierspurig der A3-Verkehr über dem verbliebenen Brückenbauwerk. Es soll abgerissen werden, wenn die erste der beiden neuen Brücken steht. An der Stelle sieht man bislang nur haushohe Sandberge, Bagger kreisen, sortieren die Reste der alten Brücke. „Früher haben wir von der Autobahn nichts gesehen, da war alles schön mit Bäumen verdeckt“, erzählt Heidi Arndt.
Autobahn GmbH bekennt die „extremen“ Erschütterungen
Beim Abriss der ersten A3-Brücke sei ein Teil davon nachts abgestürzt, so erzählt es Anwohner Jürgen Künster, „schlimmer wäre es bei einer Sprengung auch nicht gewesen“. In einem Brief, der der Redaktion vorliegt, bekennt Tobias Fischer von der Autobahn GmbH, dass er „ob der Stärke der Erschütterungen auch überrascht“ war. Autobahn-Sprecher Elmar Kok hatte zuvor von einem „Wegknabbern“ durch Bagger gesprochen – über diese Verniedlichung redet sich die Werthacker-Siedlung geradezu in Rage.
Entschädigungszahlungen für die Anwohner
Zur Wahrheit gehört, dass die Siedler Entschädigungszahlungen bekommen sollen. Das betont jedenfalls der langjährige Vorsitzende der Siedlergemeinschaft, Wolfgang Stahl. Für 30 lautstarke Nächte im Juli und August wurden den Anwohnern von der Autobahn GmbH demnach 3000 Euro Entschädigung versprochen. Überwiesen wurde das Geld allerdings bislang nicht, angeblich soll es im Januar kommen. Alternativ wären 30 Nächte im Hotel á 100 Euro möglich gewesen, erzählt Stahl.
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Das Schreiben der Firma Amand mit dem Hotelangebot wenige Tage vor den Advents-Abrissarbeiten sorgte zusätzlich für Unruhe, weil darin nicht von einer alternativen Entschädigungsleistung die Rede war. Hotels waren so kurzfristig ohnehin kaum zu bekommen, belegen Screenshots von Anfragen bei entsprechenden Apps.
Die Siedler ärgern sich auch darüber, dass sie für eine ruhige Nacht fernab der Baustelle in Vorkasse gehen müssten. Die DB, die nahe der Siedlung ebenfalls umfangreich saniert, sei hingegen vorbildlich: Sechs bis acht Wochen vorher werde man informiert, es gebe ein Kontingent im Duisburger Hof, „ich konnte während einer Nachtbaustelle meinen Hund mitnehmen und musste nicht in Vorkasse gehen“, beschreibt ein Anwohner.
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Autobahn GmbH bekennt Abstimmungsfehler und mangelnde Kommunikation
Die Autobahn GmbH reagierte nach dem Besuch dieser Redaktion am Werthacker und antwortete auf einige Fragen der Siedler. In der Mail bekennt die Bundesbehörde, dass man über die Siedlergemeinschaft kommuniziert und dabei nicht bedacht habe, dass die Mitgliedschaft kostenpflichtig ist. Man erarbeite nun einen Mailverteiler, der datenschutzkonform ist, um künftig „besser, umfassender und aktueller informieren“ zu können. Projektleiter Mario Korte betont, dass auch der Schaukasten „künftig entsprechend genutzt“ werde.
Die Kommunikation der Firma Amand sei durch „Abstimmungsfehler“ schiefgegangen. „Hierfür entschuldigen wir uns.“ Künftig sollen außerdem Hotelkosten nach Aufkommen erstattet werden, definiert werde lediglich eine maximale Hotelkategorie. Auf Nachfrage erklärt Projektleiter Mario Korte: „Entschädigungsangebote werden im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Belästigungen unterbreitet.“
Neuer Lärm im Januar
Die Autobahn GmbH möchte Anfang des Jahres mit den Siedlern ins Gespräch kommen, da neuer Lärm ansteht: Im Sommer 2024 werden die Brückensegmente für die neue A3-Brücke in Fahrtrichtung Arnheim eingehoben. Wie berichtet, muss dafür die Bahnlinie gesperrt werden.
Schon im Januar sind „umfangreiche Bohrpfahlarbeiten tagsüber“ nötig, um gleich hinter den Gärten die Stützwand für die A3 zu bauen. Bis zum Spätsommer soll das dauern, im Anschluss könne eine Lärmschutzwand errichtet werden. Sie wäre für viele wohl ein echtes Weihnachtsgeschenk.
>>SPERRUNG DER BRÜCKE SCHWIESENKAMP
- Wegen der Baustelle ist die Brücke Schwiesenkamp gesperrt. Für die Siedlung ist sie allerdings eine wichtige Verbindungsachse. Darüber sind auch die Kinder der Siedlung zur Schule geradelt. Die einzige Alternative ist deutlich länger und führt über den viel befahrenen und nicht beleuchteten Ruhrdeich.
- Nach Gesprächen mit der Autobahn GmbH wurde ein Shuttle eingerichtet. Dieser Bus bringt die Kinder an Schultagen zur Schweizer Straße.
- Die Restnutzungsdauer der Brücke läuft 2035 ab. Um die jetzige Sperrung sinnvoll zu nutzen, prüft die Autobahn GmbH, sie vorab neu zu errichten. Dazu werde derzeit das notwendige Budget beantragt.