Duisburg. Wie groß ist die Terror-Gefahr für Duisburger durch IS-Kämpfer wie Tarik S.? Islamexpertin Lamya Kaddor antwortet – und kritisiert die Festnahme.
Am Montag hat der Prozess gegen den mutmaßlichen IS-Terroristen Maan D. begonnen, der in Duisburg im April einen Mann ermordet und vier Weitere teils lebensgefährlich verletzt haben soll. Am Dienstag nehmen Spezialeinsatzkräfte im Dellviertel Tarik S. (29) fest, ein bekanntes Gesicht des Dschihad. Der erneute Anti-Terror-Einsatz in der Stadt und die Nachrichten seit Dienstagabend erschrecken viele Duisburgerinnen und Duisburger. Die Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor (Bündnis 90/Die Grünen) lebt hier, ist Islamwissenschaftlerin und Mitglied im Innenausschuss des Parlaments.
Nach dem SEK-Einsatz am Dienstagabend, der Festnahme von Tarik S. im Dellviertel: Muss man in Duisburg Angst haben vor einem islamistischen Anschlag?
Lamya Kaddor: Vor der Gefahr des Islamismus sind wir nicht gebannt, das sagen unsere Sicherheitsbehörden regelmäßig, das sagte auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang am Montag im Landfermann-Gymnasium. Wir haben es mit einem hohen Bedrohungsszenario zu tun. Das heißt nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger Duisburgs erhöhte Angst haben müssen, aber es bedeutet, wachsam zu sein.
Aktionismus der Sicherheitsbehörden im Fall Tarik S.? Kaddor kritisiert Festnahme in Duisburg
Wie beurteilen Sie den Zugriff der Behörden am Dienstag?
Kaddor: Zum konkreten Fall: Es ist richtig und wichtig, die Szene zu beobachten, wir warten die Ermittlungen jetzt erst mal ab. Aber eine Person festzunehmen, der man womöglich nichts nachweisen kann und die man wieder freilassen muss, finde ich auch schwierig. Idealerweise hat man genügend Beweise gesammelt, um dann ein Verfahren eröffnen und jemanden verurteilen zu können. Mein Eindruck ist, dass es nicht genug Beweismittel gibt. Wenn man den Tatverdächtigen wieder laufenlassen müsste, würde dass das Sicherheitsempfinden der Bürger viel mehr beeinträchtigen. Die Vorgehensweise der Sicherheitsbehörden wirft da Fragen auf.
Ist dieser Tarik S. ein typischer Islamist?
Kaddor: Er ist jemand, der binnen Wochen unterschiedliche Anschlagsziele ins Visier genommen hat, und das ist schon ungewöhnlich. Einschlägig vorbestrafte Islamisten, IS-Mitglieder, haben in der Regel ein klares Ziel, das sie verfolgen. Der Fall hier klingt sehr beliebig. Wenn unsere Behörden also eingreifen, muss es klare Hinweise geben. Sie dürfen sich keinen Aktionismus vorwerfen lassen. Wir alle, auch die Politik, müssen in diesen Tagen die nötige Vorsicht an den Tag legen, sonst wird es schwierig.
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Was kann man der Jüdischen Gemeinde raten? Die Mitglieder fühlen sich seit dem Terroranschlag der Hamas bedroht, die Synagoge ist leerer, Kinder kommen nicht mehr in die Kita.
Kaddor: Als Mutter zweier Kinder, die den jüdischen Kindergarten besucht haben, kann ich gut nachvollziehen, dass die Angst sehr groß ist. Mit staatlichen Maßnahmen können wir ihnen diese Angst nur bedingt nehmen, sie trifft auf eine gesellschaftliche Stimmung. Jüdische Menschen können den Eindruck gewinnen, wenig gesamtgesellschaftliche Solidarität zu bekommen. Wir brauchen ein breites gesellschaftliches Bündnis zur Bekämpfung von Antisemitismus, auch von Muslimen, Christen und anderen Religionen. Wir brauchen Räume, in denen wir Begegnung schaffen. Jüdische Bürger müssen sagen können: Wir haben Angst. Wir müssen hingehen, zuhören, ihnen beistehen.
Auf welchen Ebenen ist der Krieg in Nahost für die Bürgerinnen und Bürger in Duisburg spürbar?
Kaddor: Wir haben auf der einen Seite eine Bedrohung durch Islamisten, auf der anderen Seite jüdisches Leben, das sich konkret bedroht fühlt, durch Islamisten, aber auch durch andere Gruppierungen. Und dann haben wir Duisburger Zivilisten, die in Gaza feststecken, Familien, die Angst um ihre Angehörigen dort haben. Das ist typisch Duisburg, weil wir eine stark durchmischte, bunte Zivilgesellschaft sind, die von allen Seiten betroffen ist. Das macht es nicht leichter. Duisburg ist eine Blaupause für die Bundesrepublik, für unsere Einwanderungsgesellschaft.
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Werden diese Ebenen in der öffentlichen Debatte oder bei Demos sauber getrennt?
Kaddor: Es ist sehr kompliziert, da müssen wir einen kühlen Kopf bewahren. Wir dürfen nicht alles in einen Topf werfen, etwa den Nahost-Konflikt mit dem Thema Einwanderung, damit ist keinem geholfen. Die Demos in Duisburg verlaufen überwiegend friedlich, auch wenn da Problematisches gerufen wird. Ich erlebe im Kontext mit Solidaritätsbekundungen für Israel islamfeindliche Narrative, die Solidarität mit palästinensischen Menschen führt häufig dazu, dass antisemitische Narrative bedient werden. Beides ist problematisch.
Wir müssen Räume schaffen, in denen jeder seine Meinung äußern darf, in denen aber auch klar gemacht wird, wo Stigmatisierung beginnt oder Antisemitismus. Wir gewinnen den Kampf gegen Antisemitismus nur, wenn wir zusammenhalten, und nicht indem wir mit dem Finger auf andere zeigen. Solidarität ist natürlich wichtig, aber ohne Stereotypisierung oder Menschenfeindlichkeit. Da tun sich leider viele Menschen schwer mit.
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