Duisburg. Blinde Frauen retten Leben: Bethesda Krankenhaus und Discovering Hands erklären, warum die Taktilographie die beste Brustkrebs-Früherkennung ist.

Gerade leuchtete der Eiffelturm in Paris in Pink, ganz im Zeichen des „Pinktober“. Der Oktober ist seit 1985 von der American Cancer Society zum Monat gegen Brustkrebs ernannt. Im Brustkrebsmonat machen Ärzte und Organisationen weltweit besonders auf die Situation von Erkrankten aufmerksam und rücken Prävention, Früherkennung und Erforschung von Brustkrebs in den Fokus. Auch in Duisburg: Um das Thema ins Bewusstsein zu bringen, hat jetzt im Bethesda Krankenhaus ein Aktionstag stattgefunden, mit einer blinden Tastexpertin und Fachärzten. Zusammen mit dem Inner Wheel Club, der weltweiten Organisation für Frauen, hat das Brustzentrum im Bethesda mit dem gemeinnützigen Sozial- und Inklusionsunternehmen Discovering Hands den Aktionstag ins Leben gerufen.

Discovering Hands-Gründer Dr. med. Frank Hoffmann hat in Duisburg-Walsum eine gynäkologische Praxis. Der 64-Jährige sagt: „Was die blinden Tasterinnen leisten, können wir Ärzte in einer dreiminütigen Untersuchung nicht schaffen, zumal wir Sehenden nicht die Fähigkeit haben, so genau zu tasten.“

Medizinisch-Taktile Untersucherin: So tasten hochsensible MTU Brüste ab

Eine Taktilographie genannte Untersuchung mit Vorgespräch dauert 45 bis 60 Minuten. Antje Schwarz aus Oberhausen ist mit ihrem Blindenführhund Night (6) nach Hochfeld gekommen und führt am Aktionstag die Taktile Untersuchung durch. Antje Schwarz ist seit Januar 2022 Medizinisch-Taktile Untersucherin. Die blinde Frau kann mit ihrem hochsensiblen Tastsinn Brustkrebs erkennen – und das bereits in einem Stadium, wenn die Krankheit noch heilbar ist.

Die MTU Antje Schwarz zeigt verschiedene Perlen: sie kann die kleinste pinke Perle ertasten. Eine Frau würde bei sich selbst wahrscheinlich nur die größte Kugel ertasten: Da wäre der Tumor schon sehr weit gewachsen.
Die MTU Antje Schwarz zeigt verschiedene Perlen: sie kann die kleinste pinke Perle ertasten. Eine Frau würde bei sich selbst wahrscheinlich nur die größte Kugel ertasten: Da wäre der Tumor schon sehr weit gewachsen. © Kathrin Hänig | Kathrin Hänig

Und wie fühlt das sich so an? Gitta Neisius von der Duisburger Gruppe der Frauenorganisation Inner Wheel Club hat sich von der Medizinisch-Taktilen Untersucherin (MTU) kontrollieren lassen. Sie sagt: „Die Untersuchung war sehr angenehm. Erst hat mir Antje Schwarz die Brust mit verschiedenen Klebestreifen gekennzeichnet und dann ist sie vorsichtig Millimeter für Millimeter jeden Sektor vorgegangen. Jeder, der eine Mammographie kennt, weiß, dass das auch ein bisschen schmerzhaft sein kann. Da wird man regelrecht eingequetscht. Das war bei der Untersuchung von Frau Schwarz überhaupt nicht der Fall.“

Die Untersuchung mit der blinden Frau habe sie als sehr beruhigend und sehr persönlich empfunden, so Gitta Neisius.

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Inner Wheel Club Duisburg will zeigen, dass Früherkennung Leben rettet

Die MTU führt zunächst ein persönliches Gespräch, baut Vertrauen auf, weil sie sich Zeit nehmen kann. Für den Inner Wheel Club Duisburg ist es wichtig, die Brustkrebsprophylaxe nach außen zu tragen. Gitta Neisius sagt: „Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass der früh erkannte Krebs heilbar ist. Frauen untersuchen sich nicht gerne selbst, weil sie auch Angst haben, etwas zu finden. Die Untersucherin hat mir die Angst genommen.“

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Auch aus Ärzte-Sicht ist die Untersuchung durch die blinden ausgebildeten Frauen eine echte Hilfe. Die leitende Oberärztin des Brustkrebszentrums im Bethesda Dr. Sabine Fronzek-König sagt: „Wir haben durch die taktilen Untersuchungen eine Entlastung. Krebs, der früh erkannt wird, hat viel bessere Heilungschancen. Dadurch haben wir weniger Chemotherapien.“

Die MTU als spezialisierte Tasterin kann etwa 30 Prozent mehr und bis zu 50 Prozent kleinere Gewebeveränderungen finden (ab sechs Millimeter) als Ärzte und Ärztinnen (ein bis zwei Zentimeter). Die Ausbildung zur MTU dauert neun bis zehn Monate, in Coronazeiten hat es bei Antje Schwarz allerdings 15 Monate gedauert.

Intensive Schulungen und Eignungstests

Das Sozialunternehmen „Discovering Hands“ („entdeckende Hände“) aus Duisburg organisiert die Ausbildung in Berlin. Neben der intensiven Schulung der Tastfähigkeit lernen die Frauen medizinisches Wissen, soziale Fertigkeiten im Umgang mit den Patientinnen, die Anamnese und mit einem speziellen Programm die schriftliche Dokumentation am Computer. In mehrtägigen Eignungstests wird festgestellt, ob die Interessentinnen die sozialen und kommunikativen Voraussetzungen für den MTU-Beruf mitbringen und die erforderliche Tastfähigkeit.

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Dr. Sabine Fronzek-König mahnt aber an, dass das Thema nicht nur Frauen betrifft. „Mittlerweile gibt es 700 Todesfälle jährlich bei Männern. Etwa ein Prozent der Männer erkranken an Brustkrebs.“ In den letzten 15 Jahren seien die Erkrankungen merklich angestiegen. „Männer lassen sich nicht gern beim Gynäkologen untersuchen. Sie sitzen im Wartezimmer unter Frauen, werden auch meist von einer Frau untersucht. Das ist vielen unangenehm. Und doch werden es mehr, die sich untersuchen lassen. Sie sind dann meistens durch ihre Frauen sensibilisiert“, sagt Fronzek-König. Brustkrebs ist ein Thema, das also alle betrifft, nicht nur im Brustkrebsmonat Oktober.

>> Discovering Hands: 130 kooperierende Arztpraxen

  • Laut „Discovering Hands“ erkranken jedes Jahr in Deutschland 70.000 Frauen an Brustkrebs. Bei rund 18.000 verläuft die Erkrankung tödlich.
  • Momentan arbeiten 50 Medizinisch-taktile Untersucherinnen (MTU) deutschlandweit in 130 kooperierenden Arztpraxen.
  • Unter www.discovering-hands.de/praxisfinder können Frauen nach einer Praxis in ihrer Nähe schauen.
  • Jede Frau kann die Untersuchung in einer der Praxen wahrnehmen, auch wenn sie dort keine Patientin ist. 32 gesetzliche und alle privaten Krankenkassen übernehmen die Untersuchungskosten.