Essen. Gynäkologe Hoffmann setzt erfolgreich Talent blinder Frauen bei Bruskrebs-Früherkennung ein. Warum sein Sozialunternehmen in Schieflage geriet.

Die Idee kam ihm unter der Dusche. Seither ist der Duisburger Gynäkologe Frank Hoffmann international der erste Sozialunternehmer, der blinden und sehbehinderten Frauen eine Chance gibt, ihren Tastsinn bei der Untersuchung der weiblichen Brust einzusetzen. Dadurch wachse die Wahrscheinlichkeit, bösartige Tumore im Frühstadium zu erkennen, um 20 Prozent, erklärt Hoffmann im

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„Brustkrebs ist die häufigste bösartige Todesursache für Frauen“, sagt Frank Hoffmann nüchtern. Bis zu 70.000 Frauen pro Jahr erkranken in Deutschland daran, 18.000 sterben. „Brustkrebs ist dann gefährlich, wenn die Zellen in den Körper geschossen werden. Metastasen sind die Killer“, warnt der Mediziner. Es gebe aber Hoffnung: Je früher der Tumor gefunden werde, desto größer seien die Erfolgsaussichten, die betroffenen Frauen heilend zu behandeln.

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Wenn’s hoch kommt, hat der Gynäkologe aus Duisburg aber gerade einmal drei Minuten Zeit, um die Brüste seiner Patientinnen abzutasten. Dabei finde er Tumore, die ein oder zwei Zentimeter groß seien. Blinde Frauen seien dagegen in der Lage, Mini-Geschwülste von sechs bis acht Millimeter Durchmesser zu ertasten. „Ein ganz kleiner Tumor hat gar nicht die Zeit, sich im Körper auszubreiten“, unterstreicht Hoffmann die Bedeutung der Früherkennung.

Arbeitsplätze für blinde Frauen

Diese Fähigkeit wollte der Arzt nutzen, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu erschlagen: die Früherkennung von Brustkrebs zu verbessern und blinden Frauen eine Arbeitsplatz-Chance als Medizinisch Taktile Untersucherinnen (MTU) eröffnen. „Ich bin weltweit der Erste, der diese Methode entwickelt hat“, sagt Hoffmann von sich selbst.

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Mit Forschungsgeldern des Landschaftsverbands Rheinland und Erkenntnissen aus einer Studie des Uniklinikums Essen ließ sich der Arzt bestätigen, dass der Einsatz von blinden Frauen die Diagnose-Genauigkeit um 20 Prozent erhöhe. Nach einem weiteren Pilotprojekt gründete Hoffmann 2011 in Mülheim das Sozialunternehmen Discovering Hands, das Tasterinnen ausbildet und beschäftigt. Aktuell sind rund 50 blinde oder sehbehinderte Frauen bundesweit in gynäkologischen Praxen tätig, die meisten davon in NRW.

Discovering Hands in der Planinsolvenz

Doch mit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 stieß das mit Erfolg gestartete Geschäftsmodell an seine Grenzen. Brustuntersuchersuchungen kamen aus hygienischen Gründen zeitweise weitgehend zum Erliegen. Die Corona-Beschränkungen sind inzwischen aufgehoben. Doch jetzt leidet Discovering Hands unter einer anderen Entwicklung. „In Zeiten der Inflation blicken viele Frauen auf ihre Haushaltskasse. Viele Frauen sagen ab. Das führt zu Abfluss von Geld“, räumt Hoffmann ein.

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Nur 35 Krankenkassen mit 11,3 Millionen weiblichen Versicherten übernehmen die 65 Euro für eine taktile Untersuchung. Als dann Anfang des Jahres auch noch eine zugesagte beträchtliche Spende wegbrach, beantragte das Unternehmen im April ein Insolvenzverfahren in Eigenregie. Gemeinsam mit Beratern entwickelt Hoffmann nun ein neues Geschäftsmodell und plant die Zusammenarbeit mit Brustzentren, während die taktilen Untersuchungen ohne Einschränkungen weiterlaufen.

Frank Hoffmann: Tasterinnen ersparen Sozialkassen Geld

Die wirtschaftlichen Probleme vermögen den Idealismus des Mediziners aber nicht zu erschüttern. Vom Konzept des Sozialunternehmens, das nicht auf Profit schiele, ist er nach wie vor überzeugt. Für Hoffmann zählt auch der „social impact“, also der gesellschaftliche Gewinn, den Discovering Hands abwerfe.

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„Zehn MTUs, die fünf Jahre arbeiten, ersparen den Sozialkassen 750.000 Euro“, rechnet der Arzt vor. Hinzu kämen Einsparungen im Gesundheitswesen, weil die Früherkennung von Brustkrebs teure Therapien unnötig mache. Und für Hoffmann kommt noch ein Aspekt hinzu: „Blinde Frauen erhalten einen Arbeitsplatz, weil sie etwas besser können als die Sehenden. Damit generieren wir einen Perspektivwechsel hin zu Menschen mit Behinderungen, die eigentlich Menschen mit Begabungen sind.“