Duisburg. Stress zuhause, Drogen, Knast: Junge Erwachsene und Minderjährige fliegen aus der Kurve, sind wohnungslos. Wie sie im Youtel auf Kurs kommen.

Es ist für Lucas ein Zuhause auf Zeit: Gut 12 Quadratmeter groß, Bett, Kühlschrank, Kleiderschrank, Gemeinschaftsküche, auf dem Schreibtisch stehen Nudeln und Fertigsoße, an der Wand hängen Fotos von seiner Freundin, von seiner Mama. Hinter dem 22-Jährigen liegen zwei Jahre Knast, vor ihm eine Zukunft mit vielen Möglichkeiten. Dabei helfen ihm rund um die Uhr die Pädagogen und Sozialarbeiter des Duisburger Youtel.

Dass es diese Unterkunft für wohnungslose junge Erwachsene überhaupt gibt, ist einer Lücke im System geschuldet: In der Regel hilft das Jugendamt bis zum 18. Lebensjahr, die Wohnungslosenhilfe greift ab dem 21. Geburtstag, erklärt Youtel-Leiterin Lea Frings. Straßenkids nimmt sie bereits ab 16 Jahren auf, um ihre Klienten kümmert sie sich bis Mitte 20.

Das Youtel in Duisburg ist „ein Zwischenreich“, das auf die Zukunft vorbereitet

„Sie kommen mit einem Rucksack voller Probleme hier an, wir versuchen, ihn kleiner zu machen“, erklärt Lea Frings. Sie klären die persönliche und finanzielle Situation, stoßen Schulabschlüsse oder einen Job an und gucken, welche nächste Wohnform nach dem Youtel gut wäre: Schaffen es die jungen Menschen allein in einer Bude oder wäre Betreutes Wohnen besser? Alternativ gibt es auch noch das GSL-Wohnen des Diakoniewerks, ein teilstationäres Angebot für junge Männer, Haftentlassene und Wohnungslose, die Unterstützung brauchen.

„Wir sind hier in einem Zwischenreich, in dem sich jeder auf seine Zukunft vorbereiten kann“, beschreibt es die Sozialarbeiterin. In der Gemeinschaftsküche können sich die Bewohner selbst versorgen, alternativ das Mittagessensangebot des Kontaktcafés Pro Kids unten im Haus nutzen. Auf Wunsch üben die Betreuer am Wochenende auch das Kochen mit ihnen, Weihnachten werden Plätzchen gebacken.

Mit 18 Jahren ist man erwachsen, viele brauchen aber weiter Unterstützung

Die Statistik zeigt, dass mehr junge Männer diese Hilfe benötigen. Die Statistik zeigt aber auch, dass junge Menschen mit Beginn der Volljährigkeit nur selten sofort auf eigenen Beinen stehen. „Im Schnitt ziehen Kinder mit 23,6 Jahren von Zuhause aus“, sagt Beine. Bis dahin haben sie ein soziales Umfeld, das sie lenkt und leitet. Anders ist es bei Kindern aus instabilen Verhältnissen, mit Eltern, die psychisch krank sind, drogensüchtig, überfordert. Oder bei jenen, die in die falschen Kreise gerieten und damit an Drogen.

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Plätze im Youtel sind nur selten frei, „wir sind kontinuierlich ausgebucht, trotzdem haben wir täglich Anfragen, auch aus anderen Städten“, sagt Frings.

Aus der Haft ins Youtel

Lucas ist aus der Haft heraus im Youtel eingezogen. Zwei Jahre hat er gesessen und die Zeit für sich genutzt: Seinen Hauptschulabschluss konnte er mit einem Schnitt von 1,6 nachholen. Jetzt will er mit Hilfe der Sozialarbeiter einen Ausbildungsplatz finden, Maler und Lackierer werden, oder im Garten-Landschaftsbau arbeiten. Der 22-Jährige ist zuversichtlich, „ich bekomme hier viel Unterstützung“.

Marvin hört interessiert zu. Er ist bereits einmal vom Youtel aus durchgestartet, nachdem ihn seine psychisch kranke Mutter rausgeworfen hatte. Als jetzt aber seine Beziehung zerbrach und der Kontakt zum Kind immer schwieriger wurde, klopfte Marvin wieder an. „Allein hab ich es einfach nicht hinbekommen“, bekennt der junge Vater. Die Corona-Pandemie habe es ihm nicht eben leicht gemacht. Familiäre Unterstützung: Fehlanzeige. „Ich brauch doch jemanden zum reden!“

Viele der ehemaligen Bewohner halten Kontakt zu den Sozialarbeitern, kommen auf einen Kaffee im Kontaktcafé Pro Kids vorbei. Und wenn soziale Schwierigkeiten es begründen und Platz da ist, dürfen sie auch noch mal einziehen, sagt Frings. Sie hört den beiden jungen Männern interessiert zu, hakt nach, die Chemie stimmt, die professionelle Distanz auch.

Lea Frings ist die Leiterin des Youtel in Duisburg.
Lea Frings ist die Leiterin des Youtel in Duisburg. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Schwierig ist für alle Beteiligten die Suche nach einer Anschluss-Wohnung, „auf Anschreiben in den Immobilienportalen bekommen wir zu 95 Prozent keine Rückmeldung“, bedauert Frings. Einfacher sei es hingegen mit dem Jobcenter, „das läuft schnell und reibungslos“.

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Beratungs- und Betreuungsaufwand für Minderjährige größer

Je jünger die Bewohner sind, desto arbeitsintensiver sind sie, sagt Diplom-Pädagoge Matthias Beine. „Die wollen noch bespielt und bespaßt werden, halten sich weniger an Regeln.“ Der Bedarf sei groß. Alternative Angebote für Wohnungslose wie das Hotel Salm seien „alle zum Bersten voll“, außerdem könne man „Minderjährige da schlecht parken, wenn sich der Bettnachbar eine Spritze drückt“.

Für Lucas ist das Youtel ein sicherer Hafen: „Ich fühle mich hier wohl, kann mir eine Zukunft aufbauen.“ Man merkt es ihm an, er hat den Willen, er hat Ziele. „Wenn ich die Hilfe nicht annehmen würde, würde das ja auch nichts bringen.“

Im Knast schaffte er den Absprung vom Drogenkonsum, sicherheitshalber geht er jetzt regelmäßig zur Jugendsuchtberatung. Seine Haltung zum Leben änderte sich schlagartig, als seine Mutter starb, während er in Haft war und ihr nicht beistehen konnte. Jetzt will er sie posthum stolz machen, Oma und Opa gleich mit. „Die Haft habe ich gebraucht“, bekennt Lucas, „erst da hat es Klick bei mir gemacht.“ Dabei sei die Verführung hinter Gittern groß gewesen: Drogenhandel, Erpressung, „im Knast sind nur wenige, die anständig sind“.

Lucas freut sich auf seine Zukunft, „ich habe einen guten Weg gefunden, Probleme zu lösen“, sagt er. Sein Rucksack sei zwar noch nicht viel leichter geworden, „aber meine Schultern sind jetzt stärker!"

Bereit für den Einzug: Gerade ist ein Mädchen aus ihrem Zimmer im Duisburger Youtel ausgezogen, um Platz zu machen für die nächste Bewohnerin.
Bereit für den Einzug: Gerade ist ein Mädchen aus ihrem Zimmer im Duisburger Youtel ausgezogen, um Platz zu machen für die nächste Bewohnerin. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

>>DAS YOUTEL IN DUISBURG

  • Im Duisburger Youtel mitten in der Innenstadt finden drei Mädchen und sechs Jungen für maximal sechs Monate ein Zuhause, außerdem gibt es zwei Außenwohngruppen für je zwei Klienten. Seit 2010 gibt es die Einrichtung.
  • Rund um die Uhr sind Betreuer vor Ort. Besuch ist gestattet, Übernachtungen nicht.
  • Das integrierte niederschwellige Streetwork- und Kontaktcafé Pro Kids ist montags bis donnerstags von 14 bis 18 Uhr geöffnet.
  • Träger ist das Diakoniewerk. Betont wird: „Das Youtel ist kein Erziehungsprogramm!“
  • Das Youtel wird regelfinanziert. Das Bürgergeld der Bewohner fließt direkt in die Kosten für die Unterbringung. Ausgezahlt werden ihnen Taschen- und Verpflegungsgeld.