Duisburg. Trotz Hafen-Verkehr soll Duisburg-Ruhrort umweltneutral werden. Jetzt liegen erste Zahlen vor: Was den meisten Dreck macht, was der Umbau kostet.

Ist ein vollständig umweltneutraler Stadtteil möglich? Noch dazu, wenn der komplette Duisburger Hafen dazu gehört? Das Nachhaltigkeitsprojekt Urban Zero Ruhrort will dieses Ziel bis 2029 erreichen.

Jetzt wurde die „weltweit erste Ökobilanz“ für ein urbanes Quartier vorgestellt. Normalerweise werden Umweltwirkungen für Unterhosen oder T-Shirts von der Herstellung über den Transport bis zur Entsorgung oder Wiederverwertung analysiert. Mitten im Duisburger Hafen, zwischen tuckernden Lkw-Motoren, ging es jetzt um die Umweltwirkungen des gesamten Stadtteils, um die Effekte von 5700 Einwohnern, um die Beheizung ihrer Wohnungen, die Auswirkungen ihrer Mobilität und natürlich die Wirkung von Wirtschaft und Industrie. „Lebenszyklusanalyse“ nennt es Dr. Dirk Gratzel, Gründer von Greenzero.

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Umweltneutrales Ruhrort: Datenanalyse mit echten Zahlen liefert die Basis

Fast zwei Jahre hat sein Team Daten analysiert. Einsparbar sei schon grundsätzlich eine Menge: „Die Städte belegen drei Prozent der Landoberfläche der ganzen Erde, verbrauchen aber 67 Prozent der Energie.“ Wenn man nur den Energieverbrauch in den Blick nehmen würde, wäre die Rückkehr zum Atomstrom naheliegend. „Aber wir wollen ganzheitlich auf die Themen gucken“, betont Gratzel, und dann sei das eben doch keine so gute Idee.

Analysiert wurden Zahlen aus den Themenbereichen Energie, Transport und Abfall, Industrie, Landwirtschaft und privater Konsum. Dafür lieferten Hafen und Wirtschaftsbetriebe, Niag und DVG, die Gebag und die Schornsteinfeger-Innung aus dem Jahr 2021 Zahlen ohne Ende, oder auch „reine Primärdaten“, wie der Analyst sagt. Heraus kamen neben vielen Tabellen, die zusammengefasst auf der Webseite der Greenzero-Group anzuschauen sind, 20 Millionen Euro jährliche Umweltkosten, nur für Ruhrort. Sie umfassen die messbaren potenziellen Umweltwirkungen des Quartiers.

Über hundert Einzelprojekte sind im Duisburger Stadtteil geplant

Im nächsten Schritt werden jetzt Reduktionsmaßnahmen geplant, die Rede ist von über hundert Einzelprojekten. 2029 gehe es dann noch darum, nicht vermeidbare Umweltwirkungen möglichst vor Ort durch Kompensation auszugleichen, „und da reden wir nicht von ein paar Bäumchen“, sagt Gratzel.

Haniel-Prokurist Peter Weidig macht ein Fragezeichen an die Hoffnung, direkt in Ruhrort kompensieren zu können, vermutlich werde man dafür ganz Duisburg in den Blick nehmen müssen. So oder so: Das, was in Ruhrort in den kommenden Jahren entwickelt wird, sei „weltweit einmalig und kann künftig als Blaupause für andere Kommunen dienen“.

Weidig setzt darauf, dass Urban Zero spürbar wird, dass es sichtbare Verbesserungen der Lebensqualität bringt. Unter anderem soll das alte Packhaus am Firmensitz in Ruhrort als Musterobjekt für Sanierungen instand gesetzt werden. Auch der alte Werfthafen sei aktuell eine Ecke mit viel Aufwertungspotenzial.

Das alte Packhaus von Haniel aus dem Jahr 1756 steht auf dem Haniel-Firmensitz in Duisburg-Ruhrort. Es ist das Geburtshaus von Franz Haniel. Im Rahmen von Urban Zero Ruhrort soll es saniert werden. (Archivbild)
Das alte Packhaus von Haniel aus dem Jahr 1756 steht auf dem Haniel-Firmensitz in Duisburg-Ruhrort. Es ist das Geburtshaus von Franz Haniel. Im Rahmen von Urban Zero Ruhrort soll es saniert werden. (Archivbild) © WAZ | EICKERSHOFF, Stephan

Am Thema Tiefenwärme werde gebohrt, ergänzt Gratzel. Und der Hafen überprüft gerade seinen gesamten Hallenbestand, ob die Hallen tragfähig genug sind für Photovoltaik-Anlagen. Bei vielen werde das nicht der Fall sein, aber dann könne man zumindest über eine Teilbelegung mit Solarpaneelen nachdenken, berichtet Alexander Garbar. Und: „Es wird nichts mehr ohne Wärmepumpe und PV-Anlage neu gebaut“.

Komplett umweltneutral kann man nicht leben, wenn man nicht nackig bleiben will

Eine komplett umweltneutrale menschliche Existenz sei nicht möglich, „wir atmen ein und aus, wollen im Winter nicht nackig rumlaufen“, verdeutlicht Dirk Gratzel. Aber durch Veränderungen im Konsum, der alleine schon 26 Prozent der Umweltkosten ausmacht, beim Energieverbrauch und der Mobilität könne man viel bewegen.

Bus und Bahn sind ein wunder Punkt. Oberbürgermeister Sören Link bekennt, „dass die Stadt da noch nicht so weit ist“. Alexander Garbar von Duisport ergänzt, dass der Lkw-Verkehr am Hafen „ein nicht unerheblicher Treiber sei“. Feinstaub und Treibhausgase bleiben Duisburg langfristig erhalten: Bei der Entwicklung des Güterverkehres „reden wir künftig eher von mehr als von weniger“. Deshalb „werden wir als Hafen die eine oder andere bittere Kröte schlucken müssen“.

Katrin Witthaus (Gebag, v.li.), Alexander Garbar (Duisport), Oberbürgermeister Sören Link und Peter Weidig (Haniel) sind beim Projekt „Urban Zero Ruhrort“ in Duisburg zuversichtlich.
Katrin Witthaus (Gebag, v.li.), Alexander Garbar (Duisport), Oberbürgermeister Sören Link und Peter Weidig (Haniel) sind beim Projekt „Urban Zero Ruhrort“ in Duisburg zuversichtlich. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Ruhrorter sollen mitdiskutieren

Oberbürgermeister Sören Link, der das Projekt unterstützt, bekennt seine Ahnungslosigkeit zu Beginn: „Umweltneutral? Ich dachte, die haben sich versprochen und meinen klimaneutral.“ Dann habe er das Ausmaß der Idee begriffen, sich dafür begeistern können: „Junge, Junge, das ist ambitioniert!"

Jetzt wünscht er sich, dass die Ruhrorter mitdiskutieren, mitmachen, nicht in eine Abwehrhaltung rutschen. Man könne nicht Ruhrort für den privaten Autoverkehr sperren, aber Autofrei-Versuche wie am Neumarkt könnten Möglichkeiten aufzeigen. „Geht es nicht, fahren wir das auch wieder zurück“, betont Link.

Genaue Zahlen zu den Kosten geben Haniel, Gebag, Greenzero und duisport von der Projektgesellschaft nicht preis. Link sagt, dass er den Rat hinter sich wisse, man sei bereit, Geld in die Hand zu nehmen. „Wir brauchen aber auch die Unterstützung von Bund, Land und EU. Wir wollen sehr schnell und messbar was erreichen.“

Das ein bisschen vergleichbare Projekt Innovation City, das in Bottrop entwickelt wurde, habe einen hohen dreistelligen Millionen-Betrag gekostet, ergänzt Gratzel, vieles davon auf den Schultern einzelner. Auch in Ruhrort müsse man das private Engagement der Bürger mit dem privaten Engagement der Unternehmer verknüpfen. „Um Blaupause für andere zu sein, muss es auch ökonomisch ein Erfolg werden.“

Ob Ruhrort da das richtige Pflaster ist, bleibt abzuwarten: Der Stadtteil hatte zuletzt mit 28,7 Prozent die zweithöchste Schuldnerquote im ganzen Ruhrgebiet, kurz hinter der Dortmunder Nordstadt.

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>>UMWELTLOKAL DIENT ALS ANLAUFSTELLE FÜR DIE BÜRGER RUHRORTS

  • Das Umweltlokal ist die zentrale Anlaufstelle und Herzstück des Projektes: Hier sollen Ruhrorterinnen und Ruhrorter mitgenommen, informiert und dazu aktiviert werden, sich am Projekt zu beteiligen.
  • Am Freitag feierte es an der Weinhagenstr. 23 sein 125-tägiges Bestehen. Weitere Infos: www.urbanzero.de