Duisburg. Werden kriminelle Großfamilien in Duisburg immer mächtiger? Die Zahl der Straftaten steigt. Die Geschäfte laufen aber im Verborgenen.
Werden kriminelle Großfamilien in Duisburg immer mächtiger und aktiver? Das NRW-Innenministerium hat ein Lagebild zu den Machenschaften von türkisch-arabischen Clans veröffentlicht. Landesweit und auch in Duisburg hat 2022 demnach die Zahl der Straftaten in diesem Bereich zugenommen. „Clan-Kriminalität lässt sich nicht wegreden“, sagt Innenminister Herbert Reul (CDU). Doch bedeuten mehr erfasste Straftaten auch mehr Clan-Kriminalität? Die Antwort auf diese Frage ist komplex.
Das veröffentlichte Lagebild Clan-Kriminalität besagt: 236 Tatverdächtige haben 2022 in Duisburg 372 Straftaten begangen. Zehn Personen, die die Polizei einer der bekannten Großfamilien in Duisburg zuordnet, haben innerhalb von zwölf Monaten mehr als fünf Straftaten begangen. Im Vergleich zum Jahr 2021 zeigt deren Anzahl einen leichten Anstieg: Damals führte das Landesinnenministerium 352 Delikte und 215 Tatverdächtige auf.
Clan-Kriminalität in Duisburg: Familien agieren im Verborgenen
Nach Ansicht der Experten bedeutet die Zunahme bei den Straftaten nicht unbedingt einen Anstieg der Aktivitäten im Milieu. Denn: Die kriminellen Clans wollen eigentlich im Verborgenen agieren, ihre Geschäfte machen – so soll ihr Vermögen wachsen.
Nach Berichten der Duisburger Sonderermittler, den „Staatsanwälten vor Ort“, machen die Großfamilien ihr Geld nämlich längst nicht mehr nur mit Drogenhandel, illegalem Glücksspiel, Prostitution und Schutzgelderpressung. Sie investieren es in Unternehmen und Immobilen.
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„Aufmerksamkeit wollen sie dabei gar nicht erregen“, verdeutlicht Polizeisprecher Jonas Tepe. Die Zahl der Straftaten lässt also nur bedingt Rückschlüsse auf das Wirken der Clans zu.
Eskalationen und Gewalt beobachtet das NRW-Innenministerium vor allem dann, wenn es nicht unbedingt um das Geschäft geht, sondern wenn das Ehrgefühl eines Familienmitglieds verletzt wird. „Dann werden familienbezogene Interessen mit Unterstützungen von Familienmitgliedern durchgesetzt“, heißt es in dem Bericht.
Mit Brutalität werde die Ehre der Familie verteidigt. Dazu passt: Die meisten Straftaten sind in der NRW-Statistik als Rohheitsdelikte registriert, nämlich 2031. Fasst jede dritte Straftat, die in Nordrhein-Westfalen einem Clan-Mitglied zugerechnet wird, fällt somit in diesen Bereich.
Die Polizei machte in Duisburg bereits mehrfach die Erfahrung, dass aus vermeintlichen Kleinigkeiten regelrechte Tumulte entstehen können. Zum Beispiel im Mai 2020, als 30 Mitglieder eines libanesischen Clans zwei Beamte bei der Festnahme eines 18-Jährigen in Marxloh bedrängten.
In die aktuelle Statistik fließt auch eine blutige Eskalation vom 4. Mai 2022 ein, an der nach Informationen unserer Redaktion zahlreiche Mitglieder des bekannten Saado-Demir-Clans beteiligt gewesen sein sollen: Auf dem Hamborner Altmarkt lieferten sie sich eine Auseinandersetzung mit den Hells Angels, aus zwei Waffen wurden über 30 Schüsse abgefeuert. Über ein Jahr später nahmen Spezialeinheiten die mutmaßlichen Hauptschützen fest.
Polizei beobachtet über 70 Großfamilien in Duisburg
Mit Blick auf die Gesamtkonstellation lässt sich feststellen: Die Zahl der Großfamilien, die die Polizei Duisburg beobachtet, ist in etwa gleich geblieben. Über 70 kriminelle Clans hat die Behörde auf dem Schirm, sammelt nach eigenen Angaben immer mehr Informationen über die Strukturen und ihre Mitglieder. Demnach sind sie im Norden der Stadt besonders aktiv.
Was im Städtevergleich auffällt: In Essen (736 Straftaten), Recklinghausen (551), Gelsenkirchen (436), Bochum (389) und Aachen (383) zählen die Behörden mehr Delikte durch Clan-Mitglieder. Aber: Mit 207 hat die Polizeibehörde Duisburg 2022 die meisten Kontrollaktionen durchgeführt, häufig unterstützt durch Kräfte des Ordnungsamtes.
Dazu zählen öffentlichkeitswirksame, große Razzien, bei denen die Behörden „mit großem Besteck“ an einem Abend zeitgleich in Wettbüros, Shisha-Bars und Cafés einrücken, um dort Personen, Spielautomaten und Geschäftsunterlagen zu kontrollieren. Etwas geräuschloser verlaufen dagegen die Fahrzeugkontrollen, bei denen die Einsatzkräfte in wöchentlichen Schwerpunktaktionen die Insassen von Luxuskarossen gezielt überprüfen.
Wichtige Personalie Dierselhuis
Die Erkenntnisse aus den Razzien und den Fahrzeugkontrollen fließen direkt in die Strukturermittlungen. Wer hält sich wo auf? Welche Personen stehen in einem engen Kontakt? Zwischen welchen Gruppierungen gibt es Schnittpunkte? Zu all diesen Fragen sammeln die Ermittler Material. „Wir wollen noch stärker hinter die Kulissen kommen und das Vermögen abschöpfen“, gab Duisburgs Polizeipräsident Alexander Dierselhuis zu Jahresbeginn als Ziel aus.
Seine Personalie verdeutlicht, wie sehr Duisburg beim Kampf gegen die Clan-Kriminalität doch im Fokus steht: Denn als Ende 2021 und Anfang 2022 nach einem Nachfolger für die langjährige Polizeipräsidentin Elke Bartels gesucht wurde, entschied sich ein Gremium für den Mann, der sich bei seinen vorherigen Stationen ein klares Profil erarbeitet hatte: das eines bundesweit anerkannten Experten im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität.
Dierselhuis steht für eine Politik der „1000 Nadelstiche“ mit einem hohen Kontrolldruck und hohem Personalaufwand bei der Bekämpfung der Clan-Kriminalität. So forciert er auch eine noch engere Zusammenarbeit von Polizei, Justiz, Stadt und Finanzbehörden. Mitarbeiter sollen zukünftig in einem gemeinsamen Büro zusammensitzen und Daten sowie Informationen austauschen.
Das Bestreben: Gemeinsame Durchsuchungen und Überprüfungen in dem Milieu sollen so noch effektiver werden.
>>Über das Lagebild Clankriminalität
- „Der Begriff Clankriminalität bezeichnet die sich aus ethnisch abgeschotteten Subkulturen heraus entwickelnde Kriminalität und bezieht sich im Folgenden allein auf die kriminellen Mitglieder türkisch-arabischstämmiger Großfamilien, soweit diese Bezüge zur Bevölkerungsgruppe der Mhallamiye oder zum Libanon haben. Andere in NRW existente Clanstrukturen werden in diesem Lagebild nicht berücksichtigt“, heißt es in der Einleitung des Berichts.
- Die Einordnung der aufgeführten Straftaten fußt auf der namensgebundenen Recherche, die unter anderem die Grünen kritisieren. Das bedeutet: Die Clan-Mitglieder werden über die abgestimmten Nachnamen identifiziert.
- „In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht alle Personen mit einem entsprechenden Familiennamen kriminell sind“, ordnet der Bericht ein.