Duisburg. Mit ihren Krakenarmen greifen die kriminellen Clans nach dem Nachwuchs. So werden Kinder schon früh in verlockende Schattenwelt hineingezogen.
Über 70 kriminelle Großfamilien beobachtet die Polizei in Duisburg. Und diese Clans greifen mit ihren Krakenarmen nach dem Nachwuchs. Die Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor (Grüne) hat nach eigenen Schilderungen erlebt, wie Jugendliche schon im Alter von zwölf oder 13 Jahren angeworben werden und abdriften.
Armut und fehlende Perspektiven seien ein Nährboden für die Nachwuchsgewinnung der mächtigen Familien. Gerade im Duisburger Norden, dort wo diese meist türkisch-libanesischen Organisationen besonders aktiv sind. „Wenn die Perspektivlosigkeit groß ist, ist es das Interesse daran, Achtung zu gewinnen, auch“, sagt Kaddor. Sie hat sich als Islamwissenschaftlerin, Innenpolitikerin und auch Lehrerin intensiv mit dem Milieu auseinandergesetzt.
Kriminelle Großfamilien zeigen glitzernde Seite der Parallelwelt
Kaddor schildert: „Schnell arbeitet man als Zuhälter, bekommt Achtung und Geld.“ Experten beschrieben bereits in der Vergangenheit den schleichenden Prozess, mit dem die Clans die jungen Menschen an sich binden: Geschenke und Anerkennung für kleinere Botengänge gehören dazu. Zum Beispiel eine Fahrt in einem teuren Sportwagen oder eine Uhr. Die glitzernde Seite der Parallelwelt lockt.
Nachwuchs, der in kriminellen Großfamilien aufwächst, bekomme nach Schilderung der Szene-Kenner schon früh die vermeintlich lukrativen Chancen aufgezeigt. Etwa, wenn der Vater am Küchentisch das Bargeld zählt. Eine „Karriere“ wie sie der Vater oder Onkel hingelegt hat, ist für viele spannend – gerade, weil sie mit ihren Namen und ihrer Familienzugehörigkeit sonst wenig Möglichkeiten für sich sehen.
Um Kinder vor dem Weg in die Kriminalität zu bewahren, spielt nach Meinung von Lamya Kaddor die Ausbildung eine entscheidende Rolle. Eltern sollten sich fragen, welche Perspektiven sie ihren Kindern nahe legen können. „Sie müssen zeigen, dass es erstrebenswert ist, Polizistin, Lehrer oder Elektrikerin zu werden“, so die Grünen-Politikerin.
Nach ihrer Ansicht müsse man in den Kopf der Jugendlichen kommen. Ihnen deutlich machen, dass sie nur mit einer legalen Beschäftigung später ein Vorbild für ihren eigenen Nachwuchs sein können. Auch die Religion sei ein Thema. Denn als gläubiger Muslim könne man zum Beispiel im Drogen- oder Rotlichtmilieu kein religiöses Leben führen.
Aussteigerprogramme und die Erfahrungen
Polizei, Justiz und Politik versuchen mit verschiedenen Präventionsangeboten dem Griff der organisierten Kriminalität nach der Jugend die Stirn zu bieten. Dazu gehört auch das Aussteigerprogramm des Innenministeriums „Integration, Orientierung und Perspektiven! 360 Grad – Maßnahmen zur Vorbeugung von Clankriminalität“.
Darin kümmern sich pädagogische Fachkräfte um Jugendliche, die Angehörige von Clans sind oder engen Kontakt zu den Familien haben. Experten haben sie in einem Screening-Verfahren identifiziert. Dabei bewerteten sie unter anderem strafrechtliche Auffälligkeiten, analysierten Clan-Strukturen und griffen auf Daten der NRW-Initiative „Kurve kriegen“ zurück, bei dem die Polizei Duisburg jugendliche Intensivtäter anspricht.
Erfahrungen aus dem Programm zeigten schnell eine überraschende Erkenntnis: Beim Ausstieg kommt den Müttern eine große Bedeutung zu. Sie seien eine nicht zu unterschätzende Hebelwirkung in den Familienstrukturen. „Letztlich möchte keine Mutter ihr Kind im Gefängnis sehen“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul kurz nach Start der Maßnahme.
Angehörige der Familien sind differenziert zu betrachten
Wie kompliziert die Gemengelage in den Familien ist, verdeutlicht auch eine Aussage von Lamya Kaddor: „Es ist sicherlich nicht der Regelfall. Aber wenn ein Junge sagt, er möchte nicht mitmachen, kann es schon sein, dass seine Cousins ihn unter Druck setzen.“
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Dabei sei wichtig zu wissen: Viele Angehörige der Familien tragen einfach nur den Namen derer, die in den kriminellen Strukturen agieren, ohne selber jemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten zu sein.