Duisburg. Die ersten Schüler gehen nach Klasse 6 vom Gymnasium ab, weil sie nicht klarkommen. Warum es mehr Jungen trifft und wie Schulen damit umgehen.
Für manche Kinder erweist sich die gewählte Schulform nach der Grundschule als nicht ideal, sie müssen die Schulform wechseln. Immer wieder wechseln Kinder und Jugendliche nach der Erprobungsstufe vom Gymnasium auf eine Gesamtschule, eine Real- oder Sekundarschule, von der Realschule auf eine Haupt- oder Förderschule. Auffällig dabei: Es trifft deutlich mehr Jungen als Mädchen.
Zum Schuljahr 2023/24 wechseln in Duisburg 91 Schülerinnen und Schüler allein nach der Erprobungsstufe, also nach Klasse 6, die Schulform, sagt Gabi Priem, Sprecherin der Stadt Duisburg. Von den vier Realschulen wechseln 14 an die Walsumer Hauptschule, von den Gymnasien wechseln 77 an eine Realschule.
Zusätzliche Klasse für die Schulformwechsler an einer Duisburger Realschule
Da dieses Jahr nicht alle Kinder in bestehende Klassen passen, wird eine Mehrklasse an der Gustav-Stresemann-Realschule eingerichtet, so Priem. Im letzten Jahr konnten die Kinder in den bestehenden Schulklassen untergebracht werden.
In der Erprobungsstufe erfolgt der Wechsel von Klasse 5 auf 6 automatisch. Erst am Ende der Klasse 6 entscheide eine Konferenz, ob für Kinder mit nicht ausreichenden Leistungen eine Wiederholung der Klasse sinnvoll ist oder ob der Wechsel auf eine andere Schulform für den weiteren Bildungsweg förderlicher ist, so Priem.
Da es überwiegend von Gymnasien an andere Schulen geht, wurde früher häufig von einer „Abschulung“ gesprochen. Da die Schülerinnen und Schüler auf einer anderen Schulform aber ebenso erfolgreich einen Abschluss machen können, wird heute wertungsfreier von einem Schulformwechsel gesprochen.
Coronafolgen und familiäre Probleme belasten die Schüler
Am Landfermann-Gymnasium haben in diesem Jahr zwei von 180 Schülerinnen und Schülern ihre Jahrgangsstufe verlassen, berichtet Schulleiter Christof Haering. Spezifische Gründe sehe das Kollegium nicht, „allerdings glauben wir, dass Nachwirkungen von Corona und die soziale Situation zuhause sich weiter und stärker auswirken. Es gibt zudem insgesamt viel mehr sichtbare psychische Erkrankungen von Schülerinnen und Schülern, die uns Sorgen machen“, so Haering, „das gibt die Statistik aber nicht wieder“.
Einen Unterschied zwischen G8, also der Zeit, in der man in acht Jahren das Abitur machen konnte, und dem jetzt wieder gültigen G9-System habe er bei der Häufigkeit von Schulformwechseln nicht beobachten können. Wohl aber bei den Geschlechtern: „Es sind mehr Jungen als Mädchen, die zu einer anderen Schulform müssen.“
Persönlich glaubt der Schulleiter, dass Wiederholungen und damit eine längere Schulzeit zumeist nichts oder wenig bringen, abgesehen von einigen Ausnahmen. „Insgesamt hoffen wir und arbeiten daran, dass es immer weniger Kinder sind, die wechseln müssen.“
Die „Erfahrung des Scheiterns begleitet sie lange“
Damit läuft er bei Fabian Theiß offene Türen ein. Der Schulleiter der Globus-Gesamtschule beobachtet, dass Kinder, die in Klasse 7 an seine Schule kommen, noch lange von der Erfahrung des Scheiterns begleitet werden. Ihnen fehlen zudem zwei Jahre, die die Klassenkameraden bereits zur Bildung ihres Sozialgefüges genutzt haben. Die Schule begegne dem mit dem Klassenlehrerprinzip, mit sozialen Lernzeiten und extra Zeit für Integration. „Duisburg hat ohnehin eine dynamische Bevölkerungsstruktur, viele Weg- und Zuzüge, darauf muss man als Schule reagieren“, sagt Theiß.
In seiner Wahrnehmung würden sich viele Eltern nicht gut informieren. In dem Glauben, dem Kind was gutes zu tun, stecken sie es ins Gymnasium und stehen nach zwei Jahren „vor einem Scherbenhaufen“. Dass es vor allem Jungen trifft, entspreche dem Gesamttrend, dass sie zu den Verlieren des Bildungssystems gehören, weniger Abitur machen, ihre Abschlüsse insgesamt schlechter seien. Hinzu komme, dass an den Grundschulen fast nur Frauen unterrichten und auch an den weiterführenden Schulen männliche Bezugspersonen weniger werden.
In den vergangenen Jahren seien in der Regel eine Handvoll der Schulformwechsler an seiner Schule gelandet, „immer on top, wir halten dafür keine Plätze frei“, betont er. In diesem Jahr entlastet die zusätzliche Realschulklasse das System, das durch Zuwanderung, die Integration Geflüchteter und die Aufnahme von Kindern der geschlossenen Waldorfschule bereits über Gebühr beansprucht sei.
Auch interessant
>>Die Schulformwechsel der letzten Jahrgänge im Detail:
Nach einer Statistik von IT.NRW haben im vergangenen Schuljahr 5889 von 315.024 Schülerinnen und Schüler das Gymnasium in der Sekundarstufe 1 verlassen: 172 von ihnen besuchen seither eine Hauptschule, 3533 eine Realschule, 552 gingen auf eine Sekundarschule und 1547 an eine Gesamtschule, 85 wechselten an eine Förderschule.
In Duisburg wechselten im Schuljahr 2021/22 knapp 80 Kinder die Schulform: Auf eine Gesamtschule wechselten 15 in Klasse 7 – je zur Hälfte Jungen und Mädchen – und 12 in Klasse 10, überwiegend Jungs. In den Jahrgängen dazwischen wechselten nur je etwa eine Handvoll. Auf die Realschulen wechselten in Klasse 8 zehn Kinder, überwiegend Jungs. Nur wenige wechselten auf eine der beiden Sekundarschulen.
Im letzten Schuljahr 2022/23 wurden mit rund 140 deutlich mehr Schulformwechsel gezählt: Vom Gymnasium auf die Gesamtschule gingen 63 Kinder zwischen den Klassen 7 und 10. Insbesondere nach Ende der Erprobungsstufe ist die Zahl der Jungen gegenüber Mädchen, die die Schulform wechseln, um über 75 Prozent höher.
[Duisburg-Newsletter gratis abonnieren + Seiten für Duisburg: Blaulicht-Artikel + MSV + Stadtteile: Nord I Süd I West + Themenseiten: Wohnen & Immobilien I Gastronomie I Zoo]
Zur Realschule wechselten im letzten Sommer 39 Kinder in die Jahrgangsstufen 7, 8 und 9, auch hier waren es überwiegend Jungen.