Düsseldorf. In Düsseldorfs Altstadt gibt‘s ein Jugendzentrum, das das einzige seiner Art weit und breit ist. Gut angenommen wird es auch. Was dahintersteckt.
Das Klischee ist schnell parat: männliche Jugendliche, blaues Bildschirmlicht, Energy-Drinks, soziale Verwahrlosung. Bei vielen Eltern haben Gamer und die Gamingszene keinen guten Ruf. Aber ist an diesem Klischee überhaupt etwas dran? Tatsächlich zocken 88 Prozent der Deutschen zwischen 16 und 29. Gaming gehört zur Lebensrealität und ist dabei „mehr als bloßer Eskapismus“, wie Ben Schneider verrät. Schneider leitet das „Good Game“ (GG) E-Sport und Gaming Jugendzentrum in der Düsseldorfer Altstadt. Es ist nach Recherchen von Schneider und seinem Team das einzige seiner Art – „mindestens in Europa“. Aber wofür braucht es das eigentlich?
Düsseldorfer Jugendzentrum fährt vielseitigen Ansatz
Der Bedarf ist offensichtlich da. Das Zentrum wurde ursprünglich als dreimonatiges Projekt geplant und wurde kurz nach der Gründung von der Pandemie eingeholt. „Geöffnet haben wir im Januar 2020, ab 18. März war dann erstmal wieder Schluss.“ Eigentlich hätte es das dann auch sein können, doch Schneider und sein Team ergriffen die Initiative, packten sich und die Rechner ins Homeoffice und eröffneten einen Discord-Kanal. „Gestartet haben wir mit 40 Mitgliedern, innerhalb kürzester Zeit waren es 1700.“ Und da wurden nicht nur Let‘s Plays und Online-Spiele veranstaltet, sondern auch Koch-Streams, Coachings etc.
Diesen vielseitigen Ansatz hat das Jugendzentrum nach der Wiedereröffnung auch in die analoge Welt gerettet. „Es geht bei uns um weitaus mehr als nur Gaming. Klar, mit unseren Hochleistungsrechnern machen wir ein Angebot an Jugendliche. Wer zum ersten Mal zu uns kommt, kommt wegen der Rechner. Wer zum zweiten Mal kommt, kommt wegen uns“, sagt Schneider. Tatsächlich ist der Anteil an Stammpublikum ziemlich hoch, doch es kommen auch immer wieder neue dazu. „Das Besondere ist, dass die Jugendlichen, die hier herkommen, bei allen Unterschieden doch eines gemeinsam haben: Lust am Gaming.“ Dadurch fände selbst „der schüchternste Jugendliche“ schnell Anschluss.
Diversität wird im Zentrum großgeschrieben: „Hier trifft Garath auf Kaiserswerth“
Beim GG-Jugendzentrum achten sie auf Vielfalt, besonders im Team. Etwa die Hälfte der Mitarbeiterinnen sind weiblich und genau das teilt sich auch dem Publikum mit. „Es geht uns darum, dass jeder Jugendliche hier seinen Platz hat. Es gibt queere Jugendliche und nicht-binäre, die hier herkommen. Hier treffen aber auch Jugendliche aus Kaiserswerth und Garath aufeinander.“
Schneider hat Erfahrung mit Jugendzentren, vor dem GG war er zwölf Jahre in einem Jugendzentrum in Oberbilk. Den Vergleich hat er also: „Es ist schon verrückt: Die Jugendlichen gehen mit den Sachen hier richtig gut um. Wenn einer Cola verschüttet, wird nach einem Lappen gerufen.“ Und er weist auf die Wände, an der sich tatsächlich keine einzige Edding-Spur findet. „Die Jugendlichen begreifen das hier offensichtlich als ihren Raum – und genau das ist es auch.“
Die Jugendlichen, die hier hinkommen, werden natürlich nicht sich selbst überlassen. Nach 45 Minuten ist Gaming-Pause angesagt, über den Mitarbeiterrechner können die Intervalle gesteuert werden. Getränke gibt es auch, nur keine Energydrinks und keinen Alkohol. Übrigens alles zum Einkaufspreis, unkommerziell. Das Geld kommt von der Stadt und dem Träger, der evangelischen Jugendkirche. Das Team um Schneider hat für alle Probleme ein offenes Ohr, bietet Workshops an, kann bei Problemlagen selbstverständlich Hilfe vermitteln.
Jugendarbeit, die sich auch an Eltern richtet
Zum Angebot gehören aber auch Fortbildungen für Eltern. Schneider: „Die Vorbehalte gegenüber dem Gaming sind da. Und klar ist auch, dass es Gefahren gibt. Wenn Jugendliche zehn Stunden am Stück am Bildschirm kleben, ist das problematisch. Aber das ist nicht die Realität der meisten.“ Die Fortbildungen finden einmal im Quartal statt und dauern etwa fünf Stunden. Dabei geht es im Kern darum, den Eltern zwei Dinge mitzugeben: „Nehmt das Hobby eurer Kinder ernst, interessiert euch dafür. Und zweitens: informiert euch.“ Eltern müssten die Spiele, die ihre Kinder spielen, auch selbst einmal ausprobieren. „Dabei wird schnell klar, dass Gewalt in vielen Spielen eher strategisch eingesetzt wird und eben nicht zur Gewaltverherrlichung.“ Spiele, die wirklich gewaltverherrlichend sind – „die gibt es, keine Frage“ –, sind bei GG übrigens tabu.
„Das Internet ist kein netter Ort“
Im Übrigen sehen die Streetworker die Gefahren beim Gaming aber auch weniger in den Gewaltdarstellungen als in sogenannten In-Game-Käufen und im Live-Chat während des Spiels. „Das Internet ist kein netter Ort. In Livechats kommt alles ungefiltert. Mädchen, die hier bei uns sind, haben mir berichtet, dass schon in dem Moment, in dem ihre weiblich klingende Stimme wahrgenommen wird, Sprüche kommen, die bei ‚mach mir mal ein Sandwich‘ losgehen und bei wirklich schlimmem landen“. Sexismus sei ein riesiges Problem in der Szene und genau das hat GG als ein wichtiges Handlungsfeld erkannt. „Wir schaffen hier einen Safe-Space. Dienstags etwa sind wir nur für weiblich gelesen Menschen offen: unsere offene Mädchen*gruppe. Da haben dann auch männliche Pädagogen nichts verloren.“
Wie gut das GG Jugendzentrum ankommt, lässt sich daran ermessen, dass 80 Prozent der Jugendlichen, die hier hinkommen, eigentlich zu Hause zocken könnten: „Ohne Time-Limit und ohne nervige Sozialarbeiter“, wie Schneider sagt: „Dass sie trotzdem kommen, empfinden wir als Ritterschlag“. Ein weiterer Indikator: von 50 Google-Rezensionen sind 50 mit 5 Sternen. Damit ist das GG Jugendzentrum mit Abstand das bestbewertete in Düsseldorf.