Düsseldorf. Nach der Räumung der Baugrube am Grand Central leben weiterhin viele Drogenabhängige auf der Straße. Sie erzählen, was die Droge mit ihnen macht.
Aus der Grube an die Gleise – das war das Schicksal einiger Menschen, die im Zuge der Baugrubenräumung am Düsseldorfer Grand Central weiterziehen mussten. Freilich konnten einige Menschen in Unterkünfte vermittelt werden. Aber nicht für alle war das Angebot passend, aus den unterschiedlichsten Gründen.
Oliver Ongaro von Düsseldorfer Straßenmagazin Fiftyfifty berichtet, dass sich das Geschehen nach der Räumung lediglich verlagert hätte. Genau das sei zu befürchten gewesen. Während einige Menschen wieder in Richtung Worringer Platz abgewandert sind, campieren andere nun unter der Brücke Werdener Straße - nur wenige hundert Meter vom Grand Central entfernt. Dort stehen zwei aus Planen und Bauzäunen gezimmerte Hütten, wie schon in der Baugrube. In einer sitzen etwa fünf Menschen. Feuerzeuge klicken, leises Gemurmel dringt nach draußen. Der große Unterschied zur Grube ist, dass es hier deutlich beengter zugeht. Hier ist es dunkel, der Boden Gleisschotter. Bis an die Gleise liegt Müll – Spritzen, ein roter BH, eine leere Lachgaskartusche.
Hohe Fluktuation unter der Brücke
Nach wenigen Augenblicken kommen andere Menschen, warten vor der Hütte, sprechen mit gesenkter Stimme. Soweit man es von außen erkennen kann, sind vor allem junge Leute in der Hütte. Der älteste hier ist Reza. Reza ist eigentlich einer von den Menschen, die in einer Unterkunft untergebracht werden konnten. Der Mann ist gesundheitlich schwer angeschlagen, kann sich kaum auf den Beinen halten, Schuhe trägt er keine. Er arbeitet sich aus der Hütte heraus, schildert seine Situation: „Ich habe ein Zimmer bekommen, aber das liegt im fünften Stock, ich kann da nicht hoch, schaffe das nicht.“ Er berichtet, dass er sich nach dem Treppensteigen übergeben müsse, vermutet, dass er Probleme mit dem Herzen oder der Lunge hat. Bei einem Arzt war er bisher nicht.
Weil sich Reza kaum auf den Beinen halten kann, kommt ein junger Mann Anfang 20 aus der Hütte, Hamid, und organisiert Reza kurzerhand einen Stuhl aus dem aufgeschütteten Müll. Dankbar setzt sich Reza, Hamid gibt ihm noch eine angerauchte Zigarre. Oliver Ongaro kennt Reza seit einem Jahr. Er sagt, Reza habe eine steile Entwicklung nach unten gemacht. Der Grund? Crack.
Crack als Einfallstor einer „steilen Entwicklung nach unten“
Reza gibt zu, dass er auf Crack ist. Und er bedauert es zutiefst. Immer wieder bricht er in Tränen aus, wenn er seine Entwicklung schildert. Vor einem Jahr hatte er noch eine Arbeit, eine Familie. Er ist Vater eines Sohnes, einer kleinen Tochter. Zum Sohn und seinem Bruder besteht noch Kontakt, aber Reza ist inzwischen so tief in der Suchtspirale, dass er immer wieder zur Pfeife greift. Auf die Frage, wie alt er sei, sagt er: „45 oder 46“. Er sei „müde von diesem Leben“, könne nicht mehr. Aber gleichzeitig plagt ihn die Angst vor dem Tod, er spüre, dass es nicht mehr lange so gehe.
Unterdessen kommen immer wieder neue Menschen unter die Brücke. Einige sind nur wenige Augenblicke da, kaufen sich Crack und verschwinden wieder. Unter den Konsumenten sind auffällig viele Frauen, junge Frauen, denen man in ihre Drogensucht nicht ansieht. Was man allerdings sieht, ist, dass viele Menschen hier verschämt sind. Fast demütig stehen sie herum.
Das sagt auch Said. Der Mittdreißiger ist bereits seit 2007 in Deutschland. Hatte Arbeit, hat auch eine Unterkunft bei der Flüchtlingshilfe, doch auch er ist nun auf Crack. Er und Reza kennen sich. Wie überhaupt eine Gemeinschaft zwischen vielen hier zu bestehen scheint. „Wir kümmern uns schon umeinander“, sagt Said, „aber es gibt immer solche und solche“. Gerade, wenn es um Drogen geht, sei Vertrauen wirklich schwer. Auch Said sagt, dass er müde ist: „Ich weiß nicht mehr, warum ich weitermache.“ Es gehe nur noch um die Droge. „Aber ich kann mich nicht einfach...“, sagt er und deutet an, sich die Pulsschlagadern aufzuschneiden. „Aber es ist einfach weg. Ich mache irgendwie weiter. Immer weiter.“
Frauen in der Drogenszene
Eine junge Frau hat derweil eine Pfeife geraucht. Sie wirkt aufgedreht, sagt in Richtung eines unsichtbaren Gegenübers, dass sie interessiert sei. Woran erzählt sie nicht. Ihre Arme und Beinen zucken, immer wieder entfernt sie sich von der Gruppe, kommt zurück, tänzelt umher. Eine andere junge Frau, Layla, ist auf der Suche nach jemandem, der ihr ein bisschen Geld gibt. Wofür? Da ist sie ehrlich: „Rauchen“. Sie habe heute noch nicht geraucht, lebe seit etwa einem Jahr auf der Straße. Ansehen tut man ihr das nicht. „Dass hier so viele Frauen sind, überrascht mich“, sagt Oliver Ongaro. Und es entspricht auch nicht dem Durchschnitt. Laut Wohnungslosenbericht der Bundesregierung sind etwa 63 Prozent aller wohnungslosen Männer. In dem Camp nahe des Düsseldorfer Amts- und Landgerichtes nähert sich das Verhältnis stark einem von 50:50.
Said sagt, dass er wisse, er sei selbst an seiner Misere schuld. Er sei es gewesen, der Crack genommen habe und nun süchtig sei. Ihm ist es wichtig, dass gerade junge Leute über die Gefahren aufgeklärt werden. „Die Droge ist die Hölle, sie macht gute Menschen kaputt. Wenn du einmal angefangen hast, hat die Droge dich.“ Während er das sagt, nimmt er Layla in den Arm.
Die Menschen hier leben teilweise in Unterkünften, einige zelten unter der Brücke an der Werdener Straße, wieder andere haben eigene Wohnungen, kommen nur zum Kaufen hierher. Dass es so schwierig sei, diese Menschen zu erreichen, liege vor allem an der Droge, wie Ongaro berichtet. Er zieht den Vergleich zu Heroin: „Da gibt es Ersatzstoffe, die beim Entzug helfen können.“ Bei Crack nicht. Und noch etwas kommt hinzu. Klienten an der Nadel seien eine gute halbe Stunde nach dem Schuss so weit, dass man mit ihnen arbeiten könne. Crack aber sorgt für eine ungleich heftigere Spirale: Schon zwanzig Minuten nach dem Konsum geht das Verlangen wieder los. Zeit für Soziale Arbeit bleibt da nicht. „Die Verelendung schreitet voran.“