Düsseldorf. Die beiden Arbeiter wurden laut Obduktionsergebnis erschlagen. Viele weitere Fragen sind weiterhin ungeklärt. Die wichtigsten Infos im Überblick.
Nach dem Teileinsturz eines leerstehenden Wohnhauses in der Düsseldorfer Innenstadt liegt nun das Obduktionsergebnis vor: Demnach wurden die beiden ums Leben gekommenen Bauarbeiter von den herabfallenden Trümmern erschlagen. Die Todesursache sei laut Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ein „Polytrauma bei massiver stumpfer Gewalteinwirkung“ gewesen. Die Leichen der beiden Männer konnten erst zwei Tage nach dem Unglück geborgen werden. Sie wurden vorige Woche obduziert.
Die Hintergründe der Tragödie sind indes weiter unklar. Die Staatsanwaltschaft geht dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung und Baugefährdung nach. Doch wie ist der aktuelle Ermittlungsstand? Und worin liegt der Unterschied zwischen einer Baugenehmigung und einer Baufreigabe? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Ab wann rechnet die Staatsanwaltschaft mit ersten Ergebnissen?
„Es sind sehr umfangreiche Ermittlungen, die zu tätigen sind“, betont Laura Hollmann, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Düsseldorf auf Anfrage dieser Redaktion. Allein das Abtragen der Trümmerteile werde voraussichtlich mehrere Wochen in Anspruch nehmen. „Aktuell findet die Beweissicherung statt.“ Dazu würden derzeit Zeugen und Beteiligte befragt. Das Baugelände sei weiterhin abgesperrt. Sachverständige begleiten die Arbeiten an der Luisenstraße und erstellen ein Gutachten.
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„Die einzelnen Puzzleteile werden anschließend zusammengesetzt“, so Hollmann. Stand jetzt würden die Ermittlungen aber weiterhin „gegen Unbekannt“ geführt. Wann erste Ergebnisse vorliegen, sei schwer vorherzusehen. Alexander Pirlet, NRW-Landesvorsitzender der Vereinigung der Prüfingenieure für Baustatik, rechnet mit einem langen Ermittlungsprozess: „Wenn Sie in vier Wochen schon etwas Genaueres wüssten, würde ich das für sehr schnell halten.“ Die Aufarbeitung des Unfallhergangs sei sehr aufwendig. „Das ist Detektivarbeit“, sagt Pirlet.
Wie ist der aktuelle Kenntnisstand?
Der Bauherr soll nach Angaben der Stadt Düsseldorf im Februar 2020 Planungen für die weitgehende Sanierung des Anbaus eingereicht haben. Dabei ging es offenbar auch um den Umbau einer tragenden Wand. Fast zeitgleich zum Einsturz habe die Baugenehmigung vorgelegen. „Die Genehmigung kann die Firma aber nicht mehr rechtzeitig erreicht haben“, sagt Stadtsprecher Marc Herringer. Zudem habe die Baufreigabe gefehlt, da die Firma noch einen Standsicherheitsnachweis hätte erbringen müssen. Eine Baubeginnsanzeige sei im Vorfeld der Arbeiten bei der Stadt Düsseldorf ebenfalls nicht eingegangen.
Für welche Arbeiten wird eine Baugenehmigung benötigt?
„Grundsätzlich sind alle Baumaßnahmen genehmigungspflichtig“, sagt Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer NRW. „Es gibt aber einen umfangreichen Katalog geringfügiger Maßnahmen, die keiner Genehmigung bedürfen.“ Falls die Bauarbeiter am Tag des Einsturzes beispielsweise lediglich Fenster ausgetauscht oder Türen erneuert haben, hätte der Bauherr nicht auf die Baugenehmigung und Baufreigabe warten müssen.
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„Eine Baugenehmigung wird vor allem dann benötigt, wenn Sie Tragstrukturen verändern wollen“, so Pirlet. „Das wichtigste Kriterium aus Sicht des Bauamtes sind die Standsicherheit und der Brandschutz.“ Sobald die körperliche Unversehrtheit von Bauarbeitern und Anwohnern gefährdet ist, müsse zunächst eine Baugenehmigung eingeholt werden. Ein klassisches Beispiel sei die Entfernung einer tragenden Wand. Welche Arbeiten die Baufirma im eingestürzten Teil des Wohnhauses verrichtet hat, ist aber aktuell unklar.
Was beinhaltet eine Baugenehmigung und was ist der Unterschied zur Baufreigabe?
„Eine Baugenehmigung beinhaltet eine Menge“, so Pirlet. „Abstandsflächen müssen eingehalten werden, ein Schall- und Wärmeschutznachweis muss vorliegen und Sie müssen beispielsweise auch belegen können, dass das Regenwasser richtig abgeführt wird.“ Sind alle Unterlagen ordnungsgemäß eingereicht worden, seien die Arbeiten am Haus mit Erteilung einer Baugenehmigung grundsätzlich abgesegnet.
„Erst die Baufreigabe berechtigt aber zum Baubeginn“, betont Pirlet. Im Wohnungsbau würden Baugenehmigungen teilweise erteilt, bevor statische Aspekte oder der Brandschutz geprüft wurden. „Sie müssen deshalb erst entsprechende Nachweise vorlegen, bevor Sie eine Baufreigabe erhalten.“ Auch an der Luisenstraße habe nach Angaben der Stadt der erforderliche Standsicherheitsnachweis gefehlt, weshalb eine Baufreigabe zum Zeitpunkt des Einsturzes noch nicht vorlag.
Wozu dient die Baubeginnsanzeige, die vor dem Start der Arbeiten ans Bauamt geschickt wird?
„Eine Baubeginnsanzeige muss erfolgen, damit die Stadt weiß, wann die Arbeiten losgehen“, erklärt Stadtsprecher Herringer. Das Bauaufsichtsamt könne somit laut Pirlet bei Bedarf rechtzeitig einen Prüfer für Baustatik informieren, der zur Baustelle fährt und die Baumaßnahmen kontrolliert. Damit die Stadt genug Vorlaufzeit hat, muss die Baubeginnsanzeige mindestens eine Woche vor Baustart erfolgen, erklärt Lehrmann: „Hierbei dürfen bautechnische Nachweise und deren Prüfung nachgereicht werden.“
Da aber an der Luisenstraße ohnehin noch keine Baufreigabe vorlag, konnte die zuständige Firma auch noch keine Baubeginnsanzeige verschicken. Sollten zum Unfallzeitpunkt also Arbeiten durchgeführt worden sein, die nicht genehmigt wurden, sei die fehlende Baubeginnsanzeige – entgegen anderer Medienberichte – laut Herringer kein zweiter gravierender Verstoß, sondern lediglich ein Versäumnis, das sich aus der ebenfalls fehlenden Baufreigabe ergibt.
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Wie lange dauert es für gewöhnlich, bis eine Baugenehmigung erteilt wird?
„Von dem Bauantrag bis zur Genehmigung vergehen in Köln und größeren NRW-Städten rund neun Monate“, sagt Pirlet. „Und dann können Sie noch froh sein“, so der Landesvorsitzende der Vereinigung der Prüfingenieure für Baustatik. Die Baufirmen würden die Wartezeit nutzen, um ihre Planungen voranzutreiben. „Eine Baufreigabe kommt dann nach Erteilung der Baugenehmigung für gewöhnlich binnen einer Woche.“
Was droht Firmen, die mit genehmigungspflichtigen Arbeiten beginnen, bevor die Baufreigabe vorliegt?
„Falls eine Baugenehmigung vorliegt, aber noch keine Baufreigabe, und Sie werden erwischt, begehen Sie eine Ordnungswidrigkeit“, erklärt Pirlet. „Wenn Sie dabei Leute gefährden oder es kommt sogar zu einem Unfall, bei dem Mitarbeiter oder Unbeteiligte verletzt werden, ist es eine Straftat.“ Baufirmen könnten deshalb kein Interesse daran haben, Arbeiten durchzuführen, die von der Stadt noch nicht freigegeben wurden.
Ist es denkbar, dass ein Absprachefehler zwischen Baufirma, Bauleiter und den Bauarbeitern zum Einsturz geführt hat?
Die Gefahr eines Absprachefehlers schätzt Lehrmann gering ein: „Nach unserer Erfahrung kann das nur ein Einzelfall sein. Zunächst handeln Baufirma und Bauleiter auf vertraglichen Grundlagen mit dem Bauherrn, in denen auch die Befugnisse geregelt sein sollten.“ So stelle der Bauleiter zum Beispiel auch die Bauzeitenpläne auf, die den Arbeitsablauf koordinieren und Missverständnisse vermeiden. „Hinzu kommt bei größeren Baustellen die Pflicht, dass der Bauherr einen Sicherheits- und Gesundheitsschutz-Koordinator bestellt.“ Dieser entwickle ein genaues Konzept, das Fehler bei der Zusammenarbeit verschiedener Firmen vermeiden soll.
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Auch Pirlet hält einen Kommunikationsfehler für eher unwahrscheinlich: „Abbrucharbeiten werden genau geplant und beschrieben.“ Zudem müsse ein Dolmetscher hinzugezogen werden, falls Bauarbeiter nicht fließend Deutsch sprechen. „In Deutschland haben wir ein ausgeklügeltes System.“ Wer genau für den Einsturz des Wohnhauses an der Luisenstraße verantwortlich ist, sei deshalb schwierig nachzuvollziehen. „Die Kette ist lang“, so Pirlet. Um eine Gefährdung der Mitarbeiter auszuschließen, müssten alle beteiligten Personen gewissenhaft arbeiten. Auch wenn die Einhaltung der Sorgfaltspflicht im Arbeitsalltag manchmal lästig sein könne.
Hätte die Bauamtsaufsicht nicht sofort die Baustelle kontrollieren und eingreifen müssen?
Die meisten Bauaufsichtsämter setzen laut Pirlet sogenannte „Stadtläufer“ ein: „Das sind Personen, die durch die Stadt gehen und überprüfen, ob Bauarbeiten durchgeführt werden, die mit der Bauaufsicht nicht abgestimmt wurden. Die können aber nicht jeden Tag überall sein.“ Im Düsseldorfer Fall habe die Bauaufsicht keinen Fehler begangen. Schließlich lagen nach aktuellem Kenntnisstand zwischen Baubeginn und Einsturz des Wohnhauses nur wenige Minuten. Einen Verstoß gegen das Baurecht würden Stadtläufer je nach Mitarbeiteranzahl in der Regel binnen vier Wochen bemerken. (mit dpa)