Düsseldorf. Seit acht Jahren wird hier kein Papier mehr hergestellt, trotzdem hat Hermes eine Anziehungskraft: auf Graffitisprayer, Fotografen und Vandalen.
Das Stahltor ist nur leicht angelehnt. Eine riesige Stahlkette baumelt auf der einen Seite hinunter. Eigentlich sollte das Tor ganz verschlossen sein. Doch irgendwer hat sich einen Weg hindurch gebahnt, auf das Gelände der Papierfabrik Hermes. Über dem Eingang befindet sich sogar noch das alte Schild – mittlerweile deutlich verfärbt, leicht grünliche Schlieren ziehen sich jetzt herüber.
Auch auf dem Gelände hat sich die Natur durchgesetzt. An den grauen und braunen Fassaden rankt sich Efeu und anderer Wildwuchs empor. Dort, wo die Fläche nicht überwuchert ist, schimmern noch Backsteine hindurch, manche Stellen mit bunten Graffitis – manche gekonnt, andere eher nicht – übersäht. Auf dem Boden noch vereinzelt Schutt, hier und da herausgerissene Türen, aber auch massenhaft leere Farbdosen für Graffitis, Bierflaschen und andere Überbleibsel menschlichen Lebens. Dass das mal ein Ort voll reger Betriebsamkeit gewesen sein soll, ist fast nicht mehr vorstellbar.
Unterwegs mit einem Urban Explorer
Seit der Insolvenz im Jahr 2008 sind die Gebäude der Papierfabrik Hermes immer weiter mit Graffitis überzogen, fast alle Fensterscheiben sind eingeschlagen worden. Berühmtheit erlangte sie auch nicht zuletzt durch zahlreiche Brandstiftungen. Eigentümer und Stadt versuchten da mehrmals einen Riegel vorzuschieben. Viele der einst möglichen Ein- beziehungsweise Zugänge in das Innere der Fabrik sind mittlerweile zubetoniert, mit Brettern vernagelt und mit Stahlelementen verschweißt. Die Botschaft der Eigentümer ist klar: „Betreten verboten.“
Denn der Grund dafür ist die fast schon traurige Berühmtheit, die die alte Papierfabrik inne hat – wegen diverser Brandstiftungen. Dabei ist das Gelände ein schöner Ort für so genannte „Urban Explorer“ (Stadterkunder). Sie machen sich – illegal – auf und betreten verlassene Gebäude. Doch was ist die Faszination daran?
Martin (Name von der Redaktion geändert) ist einer von ihnen. Schon als Jugendlicher war mit Freunden unterwegs und ist auf Baustellen herumgekraxelt. Verbotenerweise, aber sie hätten sich nie „wie eine wilde Horde“ benommen. Und heute? Liebt er die alten Gebäude, die Werkshallen. „Das Gelände strahlt seinen ganz eigenen Charme aus. Ausgeräumt und leer wirkt so ein Relikt aus alter Zeit manchmal ruhig, manchmal verstörend. Definitiv anders, als zu benutzen Zeiten“, erzählt Martin mit einem träumerisch-entrücktem Blick. Natürlich sei aber auch der Reiz daran, sich Orte anzuschauen, in die man sonst nicht reinkommt. Dabei ist ihm wichtig, dass beim Betreten eines solchen Ortes nichts zerstört wird. „Es ist ein altes Grundgesetz bei den Urbexern: Nichts mitnehmen, außer Fotos. Nichts hinterlassen, außer Fußspuren. Der Ort soll ja weiterhin erhalten bleiben – auch für die spätere Generationen. Schließlich lernt man dort auch viel über die Vergangenheit.“ Vom Vandalismus, der puren Zerstörungswut, hält er nichts. Der sorgt im Endeffekt nur dafür, dass die Orte wie die Papierfabrik nach und nach hermetisch abgeriegelt werden und so auf eine gewisse Art und Weise für die Nachwelt verloren gehen. Außerdem seien zerschlagene Fenster, zertrümmertes Mauerwerk, oder ausgebrannte Dachstühle gefährlich für jedermann. Gegen Graffitis hat er allerdings nichts – „wenn sie gut gemacht sind.“
Dennoch will er sich nicht davon abbringen lassen, die Papierfabrik und andere Orte dieser Art zu besuchen – auch wenn er weiß, dass manche Teile einsturzgefährdet sind. „Ich will weiterhin neue Eindrücke sammeln, eben Dinge die man nicht jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit, Studium, oder was auch immer sieht.“
Außerdem fotografiere er einfach gerne. „In vielen Lost Places verewigen sich Künstler diverser Arten. Gerade in der Streetart Szene können sie sich dort viel freier ausdrücken, als sie es auf Stadtparkmauern, oder ähnliches je könnten.“
Alles begann 1878
Die Geschichte der Papierfabrik Hermes reicht ins 19. Jahrhundert zurück. Zu dieser Zeit, genauer gesagt 1878, gründete Hugo Hermes eine Papier- und Packmittelgroßhandlung. Die Nachfrage an Papier war besonders hoch, die Industrialisierung war im vollen Gange. Die rheinisch-westfälische Eisen- und Textilindustrie befand sich im Aufschwung. Kein Wunder also, dass Hugo Hermes die Expansion suchte. Nach nicht allzu langer Suche erwarb Hermes 1898 nicht nur die Papierfabrik Dr. Bock in Bilk, sondern auch die von Gustav Eichhorn.
Aufschwung zum großen Produzenten
Hermes schwang sich mit dieser strategischen Entscheidung zum großen Produzenten auf. Seinem Unternehmergeist waren keine Grenzen gesetzt, mehr und mehr vergrößerten sich seine schon erworbenen Areale – bis sie an ihre Grenzen stießen. Ein neues Territorium musste her – und so errichtete er im Jahre 1911 die Papierfabrik Hermes an der Fringsstraße im Düsseldorfer Hafen. Der Beginn eines wahrhaftigen Imperiums.
1915 verstarb Hugo Hermes. Doch seine Familie übernahm die Fabrik. In den darauffolgenden Jahren wurden dort unter anderem die Pappe für die Kartons von Persil hergestellt. Die Produktion lief Jahrzehnte lang weiter. Es wurde Papier von höchster Qualität hergestellt. Als eine Besonderheit in der Papierfabrik Hermes galt zu jener Zeit, dass Altpapier in den Produktionskreislauf zurückgeführt wurde – lange bevor es „Recycling“ im heutigen Sinne gab.
Seit 2003 war Hermes eine Tochter der Curtis 1000Europe AG, die die Anlage aus der RWE Umwelt übernommen hatte. Doch die neue Gesellschaft wollte weg von der Papierproduktion. Denn das Geschäft hatte sich nicht weiter rentiert.
Die Absatzzahlen für Papier waren einfach zu schlecht, die Produktionskosten auf der anderen Seite aber einfach zu hoch. Hermes schrieb nur noch rote Zahlen – bis das Unternehmen am 29. Juli 2008 die Insolvenz anmeldete. Bis dato hatten in den alt-ehrwürdigen Hallen 90 Mitarbeiter gearbeitet. Sie mussten alle entlassen werden.