Voerde. Zwischen Wehmut und Aufbruch: Mit dem Kühlturm verschwindet eine Landmarke aus Voerde. Was Anwohner kurz vor dem großen Knall bewegt.

Freitagmorgen in Möllen, knapp 48 Stunden bleiben da noch, aus nächster Nähe, von der Frankfurter Straße aus einen Blick auf den Kühlturm zu werfen. Dort zeigt sich der Koloss auf Stelzen in seiner ganzen Dimension, lassen sich die 120 Meter Durchmesser, die er an der breitesten Stelle misst, erahnen. Auf einer Seite ist ein riesiger Schlitz zu sehen – wie die anderen wurde er in die Wand eingefräst, damit der Kühlturm am Sonntagmittag bei der Sprengung, wie beabsichtigt, zuerst leicht kippt und dann kollabiert.

Fallen soll er in Richtung Norden, also zur Rahmstraße hin, wie Olaf Winter, Sprecher von RWE, die Eigentümerin des Grundstücks ist, erklärt. Dass der Kühlturm auf Stelzen steht, liegt daran, dass von unten die kalte Umgebungsluft angesaugt wurde, die wichtiger Teil innerhalb des Funktionsablaufs war.

Eine Frau wird den riesigen Kühlturm von Voerde zu Fall bringen

Zum Kippen bringen wird den Koloss eine Frau: Ulrike Matthes, Sprengmeisterin der Thüringer Spreng GmbH aus Kaulsdorf (Kreis Saalfeld-Rudolstadt), wird es am Sonntag, 11 Uhr, auf dem Kraftwerksgelände „krachen“ lassen. 2021 hatte sie die Sprengung des zweiten „Weißen Riese“ , eines 90 Meter langen und 60 Meter hohen Wohnblocks aus drei verbundenen Gebäuden, in Duisburg-Hochheide verantwortet. Wenn am ersten Advent der Kühlturm in sich zusammenfällt, wird laut RWE-Sprecher Winter ein Großteil in der sogenannten Kühltasse landen.

Wegen der Sprengung des Kühlturms gilt auf der Friedrichstraße in Möllen am Sonntag, 3. Dezember, absolutes Halteverbot.
Wegen der Sprengung des Kühlturms gilt auf der Friedrichstraße in Möllen am Sonntag, 3. Dezember, absolutes Halteverbot. © FUNKE Foto Services | Markus Joosten

Die Rahmstraße wird am Sonntag auf dem Abschnitt ab der Dinslakener Straße bis zur Frankfurter Straße in etwa ab Höhe der dortigen Eisenbahnbrücke im Bereich der Straße Auf der Horst gesperrt sein. Ein paar hundert Meter weiter südlich sind bereits Vorboten darauf zu sehen, wie sich der Fall der Landmarke auf den Verkehr auswirken wird. Am Rand der Friedrichstraße stehen zu beiden Seiten alle paar Meter mobile Schilder, die ein absolutes Halteverbot ab Sonntag, 3. Dezember, 7 Uhr, ausweisen.

Die Ruhe vor dem großen Knall in Möllen

Derweil auf dem ausgedienten Kraftwerksgelände die Arbeiten für den großen Tag am 1. Advent auf Hochtouren laufen, geht in der Möllener Ortsmitte das Leben seinen gewohnten Gang. Ein Mann ist mit seinem Hund unterwegs, an der Haltestelle an der Schlesierstraße warten Menschen frierend auf den Bus, zwei Männer tragen ein großes Möbelstück von der einen auf die andere Straßenseite. Es ist die Ruhe vor dem großen Knall, den sich viele Möllener vom heimischen Balkon aus ansehen werden, wenn die Blickrichtung passt.

Detlef Damm (60) aus Voerde hat den Niedergang des Bergbaus hautnah miterlebt.
Detlef Damm (60) aus Voerde hat den Niedergang des Bergbaus hautnah miterlebt. © FUNKE Foto Services | Markus Joosten

Bei der Anwohnerin, die gerade schnellen Schrittes in Richtung Barbara-Apotheke geht, ist das so. Die 62-Jährige, die ihren Namen nicht nennen möchte, wurde in Möllen geboren. Sie sieht die Sprengung als einen Wegbereiter: „Für Neuerungen finde ich das gut“, sagt sie, „was sein muss, muss sein.“

Der Kühlturm wird vielen fehlen - er war „das Wahrzeichen“

Bei vielen derer, die sich an diesem Morgen gegenüber der NRZ äußern, ist aber vor allem auch Wehmut über den Abschied im Spiel: „Irgendwie wird das fehlen“, sagt eine andere Frau, die ebenfalls lieber anonym bleiben will. Die 67-Jährige ist in Möllen geboren und mit dem Bild des Kraftwerks, das die Optik des Voerder Ortsteils dominiert, aufgewachsen. Nicht nur für sie ist es „das Wahrzeichen“ von Möllen gewesen. Dieses Wort fällt mehrfach. Auch Brigitte Schmidt nennt die Landmarke so. „Es wird fehlen. Aber da gewöhnt man sich dran“, ist sie sich sicher.

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Nicole Krause (44) aus Möllen konnte den Turm aus dem Fenster ihres Kinderzimmers sehen.
Nicole Krause (44) aus Möllen konnte den Turm aus dem Fenster ihres Kinderzimmers sehen. © FUNKE Foto Services | Markus Joosten

Noch gut können sie und Christa Behrendt sich an die Anfangsjahre des Kraftwerks erinnern, an den vielen Staub, der sich auf die Fensterbänke legte. Es war die Zeit, als es noch keine Rauchgasentschwefelungsanlage gab. Damals war sie noch nicht gesetzlich vorgeschrieben. „Die Leute haben hier Arbeit gehabt. Das war wichtig“, sagt Brigitte Schmidt. Zwar nicht im Kraftwerk Voerde, aber an Orten, wo Steinkohle abgebaut wurde, war Detlef Damm tätig. „Es ist nun mal so“, sagt der Voerder zu dem bevorstehenden Verschwinden des alten Industriebetriebs, der mit der Verfeuerung des fossilen, klimaschädlichen Brennstoffs Strom erzeugte. Detlef Damm hat den Niedergang des Bergbaus hautnah miterlebt. Die drei Zechen, für die er gearbeitet hat, wurden alle zugemacht.

Fanfarenstöße werden ertönen

Mit entsprechenden Warnsignalen werden der Start und das Ende der Kühlturm-Sprengung am Sonntag, 3. Dezember, angekündigt. Zuerst erfolgt um 9 Uhr ein langer Fanfarenstoß, der signalisiert: „Achtung! Absperrung herstellen! In Deckung gehen!“ Danach darf sich niemand mehr innerhalb der Sperrzone aufhalten, die an dem Tag ab 9 Uhr bis voraussichtlich 13 Uhr im Umfeld des Kühlturms eingerichtet sein wird. Zwei kurze Fanfarenstöße kündigen gegen 10.45 Uhr an: „Achtung! Es wird gezündet!“ Bis es dann zum großen Knall kommt, vergeht dann noch einmal eine Viertelstunde. „Die gesamte Zündtechnik wird hochgefahren“, erklärt Olaf Winter, Sprecher von RWE, die Eigentümerin des alten Kraftwerksgeländes in Möllen ist. Nachdem der Kühlturm dem Erdboden gleichgemacht ist, wird es bis zur Aufhebung der Sperrung noch eine Zeitlang dauern: „Das gesamte Umfeld muss dahingehend kontrolliert werden, dass alles gezündet hat“, erläutert Winter. Ist dies geschehen, wird mit drei kurzen Fanfarenstößen „Sprengung beendet!“ signalisiert.

Tikri Tetik war wie Detlef Damm auch auf Schacht Walsum, dessen Kapitel 2008 endete. „Die Kohle von da kam hierher“, erzählt er. Der 54-Jährige sitzt gerade vor dem Kiosk an der Straße Auf dem Bünder, ein Heißgetränk in der Hand. Als der Kühlturm – für ihn „ein Navigationsgerät“ – gebaut wurde, war er zehn, elf Jahre alt: „Ich kann mich noch erinnern, wie er hochgezogen wurde.“ Tetik findet es schade, dass der Kühlturm, später das gesamte Kraftwerk von der Bildfläche verschwunden sein werden.

Für Brigitte Schmidt (86) aus Möllen ist es ein komisches Gefühl, dass der Kühlturm am Sonntag fällt.
Für Brigitte Schmidt (86) aus Möllen ist es ein komisches Gefühl, dass der Kühlturm am Sonntag fällt. © FUNKE Foto Services | Markus Joosten

Nicole Krause (44), die gerade mit Elke Himmelberg hinter der Ladentheke des Kiosks steht, hatte von ihrem Kinderzimmer aus den Blick auf den Kühlturm, den massigsten Bau auf dem rund 60 Hektar großen Gelände an der Frankfurter Straße. „Man hat sich halt an den Blick gewöhnt. Es wird ungewohnt sein, wenn er nicht mehr da ist“, sagt Elke Himmelberg. Die Sprengung ist natürlich auch im Kiosk an der Straße Auf dem Bünder das Gesprächsthema. Vor allem anfangs hätten Kunden viel darüber geredet, berichten die beiden Frauen. Als bekannt wurde, dass der Kühlturm fällt, hätten die Leute gefragt, ob evakuiert und ob es viel Dreck geben wird. Am ersten Advent wird Möllen ein Hotspot sein und das Ereignis vom gefallenen Koloss viel Gesprächsstoff auch im Kiosk liefern...